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       # taz.de -- Überlebenskampf der Clubs in Berlin: Tanzen bis zum Schluss
       
       > Berlin boomt, auch dank der Clubs. Viele sind gerade deswegen bedroht,
       > sie müssen Investoren weichen. Nun gibt es eine neue Rettungskampagne.
       
   IMG Bild: Die Clubsszene Berlins ist legendär – das Clubsterben in der Stadt leider auch
       
       Berlin taz | Die Liste geschlossener Berliner Clubs ist lang – und sie wird
       sicher noch länger. In den vergangenen Jahren mussten beliebte Läden wie
       das Stattbad Wedding, Chalet, Farbfernseher, Rosi’s, Johnny Knüppel und
       Horst Krzbg [1][dichtmachen]. Andere namhafte Institutionen wie das About
       Blank am Ostkreuz, das KitKat in Mitte und die Griessmuehle in Neukölln
       könnten bald verschwinden, wenn das Clubkulturerbe der Stadt nicht besser
       geschützt wird. Die Griessmuehle hat kurz vor Silvester [2][eine
       Rettungskampagne angekündigt.] „Wir müssen jetzt handeln“, heißt es darin
       auf Englisch. Und: „Dieses Silvester könnte unser letztes sein …“
       
       Dass Clubs verschwinden, hat viele Gründe: Sie sind mit explodierenden
       Mieten, lärmempfindlichen Nachbar*innen und einer schwachen rechtlichen
       Lage konfrontiert. Hinzu kommt, dass die Zahl an Nachwuchsinstitutionen
       ernüchternd gering bleibt. Der Leerstand, der Berlin seit 1989 zur
       Technohauptstadt verhalf, ist ein Phänomen von gestern. Es gibt immer
       weniger Ausweichoptionen.
       
       Ein [3][Bundestagsantrag der linken Abgeordneten] Caren Lay soll Clubs
       besser schützen. Bislang gelten sie in der Baunutzungsverordnung nicht wie
       Theater- und Opernhäuser als Kulturstätten, sondern wie Bordelle und
       Spielhallen als Vergnügungsstätten. Lay will das ändern. Letztlich geht es
       beim Einsatz für Clubs auch um eine grundsätzliche Frage: In was für einer
       Stadt wollen wir leben?
       
       ## Weichen für die A 100
       
       Beim linksalternativen Technoclub About Blank erhält diese Frage eine
       groteske Dimension in Zeiten der Klimakrise: Der Friedrichshainer Laden auf
       dem Markgrafendamm soll in den nächsten Jahren weichen – für eine Autobahn.
       Der Club liegt direkt auf der Trasse der geplanten Verlängerung der A 100,
       Ende 2022 läuft der Mietvertrag mit dem Bezirk aus. Klar war das bereits
       2010 beim Einzug in den ehemaligen Kindergarten.
       
       Dass aber eine Autobahn direkt durch einen Wohn- und Kulturkiez fahren
       soll, findet Bernd Blanche aus dem Clubkollektiv absurd: „Ein spannenderes
       Konfliktfeld für gesellschaftliche Kämpfe kann ich mir kaum vorstellen. Es
       ist ein exemplarisches Beispiel für die Auseinandersetzung um die Zukunft
       der Gesellschaft.“
       
       Erfreulicherweise schreiten Berliner Bauprojekte bekanntlich nur langsam
       voran. So konnte der Mietvertrag immer wieder um zwei Jahre verlängert
       werden. Auch wegen einer Verlängerung über 2022 hinaus bleibt der Club
       optimistisch. Der Bezirk hat allerdings ein Sonderkündigungsrecht für den
       Fall, dass das Gelände zum Autobahnbau benötigt wird. Von seiner besonderen
       Lage hat der Club aber auch profitiert: das Gelände ist schwer verwertbar
       für andere Interessenten. „Überall, wo das Kapital sich nicht voll
       verwerten kann, findet eine Zwischennutzung statt, entstehen Freiräume, die
       halt nicht so einen starken Verwertungsdruck haben“, so Blanche weiter.
       
       Auch die Clubs Salon zur wilden Renate und die Else liegen auf der
       geplanten Autobahntrasse. Eine Absage des Bauprojekts würde aber längst
       nicht heißen, dass alle diese kulturellen Einrichtungen sicher wären.
       Blanche befürchtet in diesem Fall eine Aufwertung der Gegend: „Wenn Kapital
       in unseren Kiez richtig reinfließen kann, dann bedroht uns das genauso
       stark wie eine Autobahn. Wir wünschen uns eine Stadtgesellschaft, die in
       der Lage ist, Freiräume zu erhalten und aufzubauen und diese Kreisläufe von
       Verdrängung und Aufwertung zu unterbrechen.“
       
       Auch der Neuköllner Club Griessmuehle ist dieser Verwertungslogik
       ausgesetzt und vom mangelnden mietrechtlichen Schutz betroffen. In den
       vergangenen acht Jahren haben der Betreiber David Ciura und sein Team ein
       postindustrielles Gelände zwischen S-Bahn-Gleisen und Kanal am südlichen
       Ende der Sonnenallee in ein subkulturelles Biotop verwandelt. Wo früher ein
       architektonisches Niemandsland war, blüht heute ein Kulturzentrum mit
       globalem Appeal.
       
       Doch Anfang 2020 läuft der Mietvertrag aus – schon wieder. Der Club erhielt
       immer nur eine Mietvertragsverlängerung in Abständen von sechs Monaten, wie
       eine Sprecherin des Clubs der taz bestätigt. Eine gängige Praxis von
       Vermietern in der Clubbranche, die laut Caren Lays Bundestagsantrag künftig
       verhindert werden soll. Die Griessmuehle selbst ist nur Untermieter,
       Hauptmieter ist ein Logistikunternehmen.
       
       Zurzeit laufen Verhandlungen mit dem Eigentümer über eine Verlängerung über
       sechs Monate hinaus. Sollte ein Investor sich für das Gelände im immer
       angesagter werdenden Süd-Neukölln interessieren, könnte bald Schluss sein
       mit Technopartys. Den MacherInnen ist das offenbar bewusst: Ein Newsletter
       vom 30. Dezember endete mit dem Hashtag #savegriessmuehle. Weitere Infos
       will der Club in Kürze bekannt geben.
       
       Von einer ähnlichen Situation sind der KitKat-Club und der Sage Club in der
       Köpenicker Straße bedroht. Das „Kitty“ gibt es seit 1994 an
       unterschiedlichen Orten, seit 2008 im Sage Club in der Köpenicker Straße.
       Die Adresse im früheren Geisterbahnhof Heinrich-Heine-Straße hat Tradition:
       Seit 1991 wird das Gebäude als Club benutzt, damals war der legendäre
       Afterhour-Laden Walfisch dort zu Hause. Nach 29 Jahren droht der Location
       das Aus.
       
       Denn im November wurde bekannt, dass der Sage-Betreiber und Mieter der
       Räumlichkeiten, Sascha Disselkamp, die Kündigung vom Eigentümer erhalten
       habe – einem Münchner Immobilienunternehmer, der den Großteil des Areals
       besitzt. Bis Ende Juni 2020 sollen beide Clubs einen guten Teil der
       Räumlichkeiten verlassen, weil der Eigentümer das Gelände verkaufen wolle
       und Investoren an einem Hotel oder Bürobauten interessiert seien.
       
       Allerdings dementiert Henry Neil Howe, der Verwalter des Grundstücks,
       Disselkamps Schilderung. Dem Tagesspiegel sagte Howe: „Ich sehe keine
       Bedrohung.“ Man habe den Mietvertrag des Sage-Clubs auslaufen lassen, um
       einen neuen Vertrag mit dem Untermieter KitKat auszuhandeln. Von
       Verhandlungen zwischen dem KitKat und dem Eigentümer wisse Disselkamp
       wiederum nichts. Liegt das an schlechter Kommunikation oder einem
       postfaktischen PR-Manöver des Eigentümers? Mittlerweile sucht Disselkamp
       selbst nach Investoren, um das ganze Gelände zu kaufen, wie es im
       Tagesspiegel weiter hieß.
       
       Weder Disselkamp noch die KitKat-Betreiber*innen Simon Thaur und Kirsten
       Krüger reagierten auf eine taz-Anfrage. Die Lage bleibt rätselhaft. Der
       Fall ist jedoch ein weiteres Beispiel dafür, wie fragil Berlins
       Clublandschaft ist.
       
       3 Jan 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Gentrifizierung-in-Berlin/!5475940
   DIR [2] http://griessmuehle.de/sos
   DIR [3] /Linke-Caren-Lay-ueber-Berlins-Clubkultur/!5642788
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nicholas Potter
       
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