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       # taz.de -- Behindertenparlament in Berlin: Demokratie bald barrierefrei
       
       > Christian Specht aus dem Vorstand der Lebenshilfe will ein eigenes
       > Parlament für Menschen mit Behinderung gründen. Im Sommer soll es
       > erstmals tagen.
       
   IMG Bild: Nicht barrierefrei: Das Abgeordnetenhaus soll zugänglicher werden – in vielerlei Hinsicht
       
       Berlin taz | Christian Specht aus dem Vorstand der Lebenshilfe Berlin
       erhofft sich einiges von diesem Jahr. „Das Berliner Behindertenparlament
       soll Türen öffnen für die Anliegen der Behindertenverbände“, sagt er. Noch
       diesen Sommer soll das Parlament zum ersten Mal im Abgeordnetenhaus tagen.
       Lange und ausdauernd hat Specht in den letzten Jahren für diese Idee
       geworben, sich vernetzt und an Vorbereitungstreffen teilgenommen. Er möchte
       „etwas Neues in Berlin anstoßen“, denn gemeinsam könne man mehr erreichen.
       Bei der Lebenshilfe hat er Mitstreiter:innen für sein Projekt gefunden.
       
       „Christian Specht ist Initiator des Parlaments“, sagt Daniel Fischer,
       Geschäftsführer der Lebenshilfe Berlin. „Mit ihm haben wir einen Menschen
       mit kognitiver Behinderung in der Vorbereitungsgruppe, der sich selbst
       vertritt und der sehr politisch denkt.“ Inspiration für das Berliner
       Vorhaben ist das Bremer Behindertenparlament, das vergangenes Jahr sein
       25-jähriges Bestehen feierte. Bisher ist es in seiner Art bundesweit
       einzigartig.
       
       In Berlin ist man angesichts stadtspezifischer Herausforderungen noch
       dabei, seinen eigenen Weg zu finden: „Die Behindertenhilfe ist sehr
       heterogen in Berlin, und möglichst viele Beteiligte sollen sich
       angesprochen und mitgenommen fühlen“, erklärt Fischer. Man befinde sich
       noch mitten im Prozess. „Für das Parlament wollen wir einen möglichst
       breiten Konsens über die Organisation sowie erste Strukturen und Inhalte.“
       Rund 170 weitere Organisationen wurden zu einer morgigen
       Kick-Off-Veranstaltung eingeladen, um ihre Ideen einzubringen.
       
       Das Vorbereitungsteam besteht zurzeit aus Vertreter:innen der Lebenshilfe
       Berlin, des Landesverbands Selbsthilfe Berlin, des Berliner
       Behindertenverbands, des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin sowie der
       Landeszentrale Berlin für politische Bildung. Auch die
       behindertenpolitischen Sprecher:innen der Regierungsparteien Stefanie Fuchs
       (Die Linke), Fatoş Topaç (Bündnis 90/Die Grünen) und Lars Düsterhöft (SPD)
       unterstützen die Vorbereitungen.
       
       ## Breites Spektrum soll mitmachen
       
       Dominik Peter, Vorsitzender des Berliner Behindertenverbands „Für
       Selbstbestimmung und Würde e. V.“ und Teil des Vorbereitungsteams, erhofft
       sich von dem Parlament sowohl eine Außenwirkung – dass die Belange von
       Menschen mit Behinderungen im Abgeordnetenhaus mehr Gehör finden – als auch
       eine Innenwirkung: „In Berlin gibt es eine sehr bunte Szene von behinderten
       Menschen, und diese können artikulieren: Was sind denn wichtige Themen, die
       noch abgehandelt werden müssen?“ Dafür müsse man ein breites Spektrum an
       Menschen einladen, denn: „Ich bin auch nur Rollstuhlfahrer.“ Menschen mit
       Behinderungen sind im Vorbereitungsteam derzeit noch in der Minderheit.
       
       Im Vorfeld der ersten Sitzung sollen Fokustreffen zu Themen wie Wohnen,
       Arbeit, Bildung und Gesundheit stattfinden. Dort können die Teilnehmenden
       Forderungen formulieren und Anträge ausarbeiten, die dann im neu
       geschaffenen Parlament debattiert und gegebenenfalls beschlossen werden.
       Die Auswahl der zukünftigen Delegierten für eine möglichst repräsentative
       Zusammensetzung bereitet dem Vorbereitungsteam momentan noch
       Kopfzerbrechen. Eine Wahl soll es nicht geben. Die Organisator:innen denken
       stattdessen über eine Verteilung der Plätze nach Verbänden und Initiativen
       unter Berücksichtigung unterschiedlicher Formen der Behinderung nach. Doch
       auch Personen, die bisher noch nicht organisiert sind, sollen eine Chance
       auf einen der ungefähr 80 Delegiertensitze haben.
       
       Bis zum Sommer bleibt auch logistisch noch einiges zu tun, denn das
       Vorbereitungsteam möchte für alle Teilhabe gewährleisten. Wenn das
       Präsidium der Nutzung des Abgeordnetenhauses formal zustimmt, müssten die
       Organisator:innen sich unter anderem um Rampen, ausreichend Platz für
       Rollstuhlfahrende und Assistenzen, Gebärdensprachdolmetscher,
       Simultandolmetscher, leichte Sprache, Schriftübersetzung und
       Evakuierungspläne kümmern.
       
       Eine Sprecherin des Berliner Abgeordnetenhauses sagte auf taz-Anfrage, dass
       man sich auch selbst das Ziel gesetzt habe, den barrierefreien Zugang zu
       allen Flächen im Haus zu gewährleisten. Der Umbau wird das Haus jedoch noch
       die nächsten Jahre beschäftigen.
       
       ## „Ein Instrument, um Inklusion zu verankern“
       
       Wir wirksam kann das neue Parlament sein? „Es gibt keine gesetzliche
       Verpflichtung, auf die Ergebnisse des Behindertenparlaments einzugehen“,
       sagt Fischer. „Aber wir wollen, dass man da politisch nicht mehr dran
       vorbeikommt. Wir wünschen uns, dass bei den Sitzungen alle Senatoren
       anwesend sind, ressortübergreifend, denn Inklusion ist ein
       Querschnittsthema.“
       
       Dem kann die Abgeordnete Fuchs (Die Linke) nur zustimmen. Sie hat die
       Vorbereitungstreffen initiiert. „Nicht alle Politiker:innen haben zurzeit
       die inklusive Stadt als Ziel. Wir haben uns das aber in den
       Koalitionsvertrag geschrieben“ – entsprechend müsse man nun handeln. Fuchs
       wünscht sich, dass die Delegierten des Behindertenparlaments ihre
       Bedürfnisse formulieren und „die Berliner Politik vor sich hertreiben“.
       
       Längerfristig sei das Ziel, dass es das Behindertenparlament nicht mehr
       brauche, da Menschen mit Behinderung im gewählten Abgeordnetenhaus
       mitstreiten. Viele Menschen in Berlin lebten mit Beeinträchtigungen, ihr
       Anteil sei aber parlamentarisch nicht ausreichend repräsentiert, sagt
       Fuchs. Ähnlich sieht das Fischer: „Solange Inklusion nicht verstanden und
       umgesetzt wird, ist das Behindertenparlament ein starkes Instrument, um
       Inklusion zu verankern.“ In der Zwischenzeit streben die Organisator:innen
       einen eigenen Haushaltstitel an, damit das Behindertenparlament nachhaltig
       arbeiten kann. Denn Arbeit gibt es mehr als genug.
       
       6 Jan 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Henrike Koch
       
       ## TAGS
       
   DIR Inklusion
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