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       # taz.de -- Was tun mit alten Ölbohrplattformen?: Schrott in der Nordsee
       
       > Eigentlich sollen alte Bohrinseln aus dem Meer entfernt werden. Jetzt
       > will Shell eine Ausnahme. Die Bundesregierung befürchtet einen
       > Präzedenzfall.
       
   IMG Bild: Zum Abwracken bereit: die stillgelegte Ölplattform Brent Delta im Hafen von Hartlepool
       
       Hamburg taz | Bei der Nordsee entscheidet sich in den kommenden Monaten, ob
       sie zu einem Friedhof für [1][ausgediente Ölbohrinseln] wird. Deutschland
       und andere Länder verhandeln mit Großbritannien darüber, ob der
       Shell-Konzern die Fundamente und Fördereinrichtungen von vier ausgedienten
       Bohrinseln einfach stehen lassen darf.
       
       Das würde bedeuten, dass Schwerkraftfundamente voller ölhaltiger Pampe
       unter Wasser dem Zahn der Zeit überlassen wären – in der Hoffnung, dass das
       Öl im Zuge des Verrottens von Bakterien aufgefressen würde.
       
       [2][Shell argumentiert], dass es zu riskant und teuer wäre, die
       gigantischen Unterwasser-Bauten aus dem deutlich mehr als 100 Meter tiefen
       Meer zu hieven. Der mögliche Gewinn für die Umwelt stehe in keinem
       vernünftigen Verhältnis dazu. Deutschland dagegen verweist auf das
       [3][Ospar](Oslo-Paris)-Übereinkommen, in dem sich die Nordsee-Anrainer dazu
       verpflichtet haben, den Nordostatlantik und dessen Ressourcen zu schützen
       und zu erhalten.
       
       Die Bundesregierung beruft sich auf einen [4][Ospar-Beschluss von 1998],
       der das Versenken und Vor-Ort-Belassen von Anlagen im Meer grundsätzlich
       verbietet. Der war eine Konsequenz aus dem Konflikt um die Ölplattform
       Brent Spar, die Shell Mitte der 90er-Jahre in der Nordsee versenken wollte.
       Die Umweltorganisation Greenpeace besetzte die Plattform und rief zum
       [5][Boykott der Shell-Tankstellen] auf. Die Aktion schlug dermaßen durch,
       dass Shell schließlich nachgab und die Bohrinsel an der Küste zerlegte.
       
       ## Deutschland erhebt Einspruch
       
       Weil sie den Fall für so schwerwiegend hält, hat die Bundesregierung eine
       Sondersitzung der Ospar-Kommission mit Blick auf den Anti-Dumping-Beschluss
       beantragt – ein Novum. „Wir schaffen einen Präzedenzfall“, sagte
       Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth (parteilos) anlässlich der Sitzung
       im Oktober. In den kommenden Jahren stünden eine Vielzahl von Plattformen
       zur Außerbetriebnahme an.
       
       „Ich hoffe, dass sich alle Vertragsparteien ihrer Verantwortung bewusst
       sind und ohne Ausnahme die aktuellen Shell-Pläne ablehnen“, sagte der
       Staatssekretär. Andernfalls seien die ökologischen Konsequenzen
       unvorhersehbar.
       
       Mitte Dezember trafen sich die Ospar-Mitglieder erneut, um zu diskutieren,
       unter welchen Voraussetzungen Ausnahmen von der Entsorgungspflicht für
       Offshore-Anlagen gemacht werden könnten. Christian Bussau von Greenpeace
       wertete das als Teilerfolg. „Wir sind erst mal zufrieden, dass das nicht
       durchgewunken wurde“, sagte er der taz.
       
       Auch Bussau, der bei der Besetzung der Brent Spar dabei war, betont die
       Bedeutung des aktuellen Verfahrens. Zwar seien auch in der Vergangenheit
       vereinzelt Anlagen auf dem Meeresgrund belassen worden. Aber bei dem Antrag
       von Shell widerspreche die Grundintention dem Ospar-Beschluss. „Die haben
       gar nicht vor, alles rauszuholen“, sagt Bussau. So etwas habe bisher noch
       keine Ölfirma vorgeschlagen.
       
       Konkret geht es um vier Bohrinseln im Ölfeld Brent zwischen den
       Shetland-Inseln und Norwegen. Die Förderplattformen sind vom Meeresboden
       bis zur Spitze des Förderturms so hoch wie der Eiffelturm. Plattform Alpha
       ist mit Pfählen im Meeresgrund verankert; bei Bravo, Charlie und Delta
       stehen die Pfähle auf Schwerkraftfundamenten, die die Plattformen durch ihr
       schieres Gewicht am Boden halten.
       
       Shell möchte die Schwerkraftfundamente, die Pfähle, deren Fundamente und
       die Rohre für das Bohrgestänge vor Ort lassen und auch nicht die
       ölverseuchte Umgebung der Bohrlöcher auskoffern. Als Ergebnis „zehnjähriger
       Forschung und unabhängiger Prüfung“ wartet der Konzern mit zwei Optionen
       auf: die Pfeiler nach dem Abbau der Überwasser-Plattformen auf 55 Meter
       Tiefe abzusägen, wie es die Regeln der Internationalen
       Schifffahrtsorganisation (IMO) vorsehen, oder sie einfach stehen zu lassen
       und mit einem Warnzeichen zu versehen.
       
       Ohne etwas zu tun, würden die Pfeiler bis zu 250 Jahre über dem
       Wasserspiegel und weitere bis zu 500 Jahre unter Wasser stehen bleiben. Die
       20 Meter dicken Betonpfeiler etwa mit einem Diamantseil durchzusägen sei
       „technisch herausfordernd und kostspielig“. Segmente abzusägen und zu
       heben, sei 40 Mal riskanter als das in der Offshore-Industrie als
       akzeptabel geltende Risiko.
       
       Jedes der teils Öl gefüllten Schwerkraft-Fundamente wiege 300.000 Tonnen,
       Shell zufolge sind sie damit so schwer wie das Empire State Building in New
       York. Die Mischung aus Wasser, Sand, Kies und Öl, die sie enthalten, fließe
       nicht und sei schwierig zu handhaben. Sie in einen Tanker oder in trockene
       Ölquellen zu pumpen, sei der Mühe nicht wert.
       
       ## Unausgegorene Studien
       
       Eine [6][Bewertung dieser Kosten-Nutzen-Risiken-Abwägung] im Auftrag der
       Bundesregierung kommt zu einem anderen Schluss: Die Vorschläge seien nicht
       vereinbar mit dem Ospar-Beschluss. Die von den Briten für Shell vorgelegte
       Alternativenprüfung zugunsten eines Belassens vor Ort sei voreingenomen. In
       die Abwägung seien falsche Daten und unausgegorene technische Studien
       eingeflossen.
       
       Die Bundesregierung hält es für inakzeptabel, insgesamt 11.000 Tonnen Rohöl
       in den Fundamenten und an den Bohrlöchern zu belassen. „Ein Absaugen der
       ölhaltigen Flüssigkeiten und Sedimente ist technisch grundsätzlich
       durchführbar“, stellt Flasbarth fest. Das belegten unabhängige Gutachten.
       Zudem habe Shell nicht ausreichend untersucht, wie sich die Betonpfeiler
       abtragen ließen.
       
       „Es ist besser, zu agieren, solange man noch die Kontrolle hat“, findet
       auch Bussau. Das Kostenargument lässt er nicht gelten, schließlich hätten
       die Ölfirmen Milliarden mit der Förderung verdient.
       
       5 Jan 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Umwelt-Gefahr/!5044218
   DIR [2] https://www.shell.co.uk/sustainability/decommissioning/brent-field-decommissioning/cell-contents.html
   DIR [3] https://www.ospar.org/convention
   DIR [4] https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=4&ved=2ahUKEwibnsz-x-fmAhWR_KQKHZO2AUIQFjADegQIBRAC&url=https%3A%2F%2Fcil.nus.edu.sg%2Fwp-content%2Fuploads%2Fformidable%2F18%2F1998-OSPAR-Decision-98-3.pdf&usg=AOvVaw1XGxgFiSpynshHrO4lL0RV
   DIR [5] /Die-Strategien-von-Greenpeace/!5056377
   DIR [6] https://www.bmu.de/download/fachgutachten-zum-von-grossbritannien-vorgeschlagenen-vorgehen-des-rueckbaus-der-vier-shell-brent-oelpl/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gernot Knödler
       
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