URI: 
       # taz.de -- Falsche Berichte über Mordrate in Berlin: Dünne Beweislage
       
       > Berlin bleibt relativ sicher: Medienberichte über eine sehr hohe Mordrate
       > in der Stadt haben sich als Quatsch entpuppt.
       
   IMG Bild: Alles halb so wild: So viele Tatorte von Morden gibt es in Berlin auch wieder nicht
       
       Berlin taz | Das eigentlich recht renommierte Deutsche Institut für
       Wirtschaftsforschung DIW veröffentlichte vor zwei Wochen [1][eine Studie]
       mit dem bedeutungsschweren Titel „Berlin auf dem Weg ins Jahr 2030“ und
       zeichnet darin ein düsteres Bild. In keiner europäischen Hauptstadt werde
       mehr gemordet als hier: 4,4 Morde je 100.000 EinwohnerInnen habe es im Jahr
       2016 gegeben, auf Platz 2 folgen mit großem Abstand Paris vor Brüssel,
       Prag, Budapest, Warschau und London. Kein Wunder also, dass die
       Lebenszufriedenheit in Berlin so niedrig ist, schlussfolgern die AutorInnen
       der Studie.
       
       Jedem, der sich in den letzten Jahren mit der Sicherheitslage in dieser
       Stadt beschäftigt hat, mag das latent komisch vorkommen. Berlin ist ja
       vieles, aber die Hauptstadt der Mörder*innen?! Trotzdem titelte der
       Berliner Kurier mit „Mordmoloch Berlin“ und bemühte sich im Artikel „Die
       Mörder sind unter uns“ um Erklärungen der vermeintlichen Fakten: Clans und
       andere Banden, Terroristen und andere „Menschen, die sich Feinde gemacht
       haben“, die große Obdachlosenszene und nicht zuletzt die vielen
       nichtdeutschen Berliner macht der Autor als Ursachen des mörderischen
       Treibens aus.
       
       In der [2][Berliner Zeitung] breitete derselbe Autor seine Theorien etwas
       weniger reißerisch unter dem Titel „Metropole der Morde“ aus. Dafür wurde
       dort der Historiker Götz Aly schon vor einer Woche ganz grundsätzlich und
       stellte vor dem Hintergrund der Studie [3][die Frage], wen man eigentlich
       noch wählen könne in Berlin und ob die Regierenden „das Thema“ ganz und gar
       der AfD überlassen wollten. Letztere verbreitete „die Fakten“ fleißig an
       ihre Anhänger*innen.
       
       Nur: „Die Fakten“ sind gar keine, „das Thema“ gibt es gar nicht. Berlins
       Spitzenplatz als mörderischste Hauptstadt entpuppte sich inzwischen als
       statistischer Fehler. Tatsächlich handelt es sich bei den 167 Berliner
       Fällen, die mutmaßlich in das Ranking einflossen, nicht um Morde, sondern
       um sämtliche „Straftaten gegen das Leben“.
       
       ## Straftaten gegen das Leben
       
       In dieser Deliktgruppe erfasst die Berliner Polizei nicht nur vollendete
       Morde und Totschläge (was im deutschen Strafrecht ja schon ein Unterschied
       ist), sondern auch versuchte. Und sowieso auch nur die abgeschlossenen
       Fälle (so tauchen etwa die Opfer des terroristischen Anschlags auf dem
       Breitscheidplatz in der Statistik von 2016 noch nicht auf).
       
       Außerdem fallen in die Deliktgruppe „Straftaten gegen das Leben“ auch Fälle
       fahrlässiger Tötung (etwa Kunstfehler mit Todesfolge oder tödliche
       Arbeitsunfälle aufgrund von Nichteinhaltung geltender
       Arbeitsschutzbestimmungen) sowie Verstöße in Sachen Schwangerschaftsabbruch
       wie etwa unerlaubte Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft.
       
       Aber zurück zum eigentlichen Thema: Unter den 167 „Straftaten gegen das
       Leben“, die Berlin bei der aktuellen Studie wohl den Spitzenplatz in Sachen
       Morde einbrachte, waren 37 vollendete Fälle von Mord und Totschlag. Mit
       dieser Zahl, etwa ein Mord pro 100.000 Einwohner, landet Berlin im Ranking
       des DIW recht unspektakulär im Mittelfeld, etwa gleichauf mit Stockholm.
       Vorausgesetzt die Zahlen der anderen Hauptstädte sind solider erfasst.
       
       Die erwähnten Berichte wurden inzwischen online weitgehend ausgetauscht.
       Beim DIW will man die Datenbasis noch einmal prüfen. „Das DIW Berlin
       bedankt sich für die zahlreichen wertvollen Hinweise darauf, dass die Daten
       zur Mordrate unplausibel erscheinen“, heißt es in einer am Dienstag
       veröffentlichten Erklärung.
       
       7 Jan 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.diw.de/de/diw_01.c.701225.de/publikationen/politikberatung_kompakt/2019_0144/berlin_auf_dem_weg_ins_jahr_2030.html
   DIR [2] https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/kritik-an-diw-studie-zu-hoher-mordrate-in-berlin-li.4337
   DIR [3] https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/goetz-aly-berlin-verschlampt-und-moerderisch-li.4060
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Manuela Heim
       
       ## TAGS
       
   DIR Mord
   DIR Statistik
   DIR Medien
   DIR Berliner Zeitung
   DIR Berliner Zeitung
   DIR Bauernfrühstück
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Aufarbeitung im Berliner Verlag: Nochmal von vorn
       
       Michael Maier ging einst hart gegen Stasi-Mitarbeiter in der „Berliner
       Zeitung“ vor. Wie sieht er die IM-Vergangenheit von Holger Friedrich?
       
   DIR Berliner Verlag: Ein Schatz an sensiblen Daten
       
       Im Berliner Verlag haben die neuen Verleger längst nicht nur aufgrund von
       Stasi-Vorwürfen für Unruhe gesorgt.
       
   DIR Verleger der „Berliner Zeitung“: Er ist einer von vielen
       
       Der neue „Berliner Zeitung“-Verleger Holger Friedrich soll Stasi-IM gewesen
       sein. Der Umgang damit erzählt viel über den Osten – aber auch den Westen.