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       # taz.de -- Rücktritt wegen rechter Hetze: „Massivste Bedrohungen“
       
       > Der niedersächsische SPD-Kommunalpolitiker Arnd Focke tritt als
       > Bürgermeister von Estorf zurück. Die Anfeindungen überschritten jedes
       > erträgliche Maß.
       
   IMG Bild: Drohgebärde per T-Shirt: Rechtsradikaler, der seine Gesinnung zur Schau trägt
       
       Hamburg taz | Nach acht Jahren verlässt Arnd Focke die niedersächsische
       Kommunalpolitik. Der bisherige Bürgermeister der Gemeinde Estorf und
       stellvertretende Bürgermeister der Samtgemeinde Mittelweser tritt zurück.
       Den Grund benennt der SPD-Kommunalpolitiker offen: „Ich nehme angesichts
       massivster persönlicher rechter Anfeindungen, Bedrohungen und
       Diffamierungen meinen Hut, um mich und mein privates Umfeld zu schützen.“
       Diese „Entscheidung war und ist absolut alternativlos“ gewesen, schreibt er
       auf seiner Facebook-Seite.
       
       In den zwei Wochen vor Neujahr soll Focke bedroht worden sein. Den Anlass
       gab offenbar eine vom Rat beschlossene Erhöhung der Grundsteuer. „Das muss
       man aushalten“, sagte Focke der regionalen Tageszeitung Die Harke. „Nicht
       okay sind hingegen die seit acht Tagen bestehenden anonymen nächtlichen
       Anrufe“, schreibt Focke dann in einer E-Mail an die anderen Ratsmitglieder.
       „Abzockerarschloch verpiss Dich endlich aus Estorf“ sei schon „harter
       Tobak“. „Themen, wie,Geh zu Deinen Ziegenfickern' oder,Dich sollte man mit
       der Antifa vergasen'“, seien dazugekommen, schreibt Focke. „Aber nicht so
       ausgeprägt“ wie dieses Mal. Im aktuellen Fall „handelt es sich um Ausdrucke
       aus meinem Briefkasten und ebenfalls Anrufe“. Da war das Maß für ihn voll.
       Aber die unbekannten Täter gingen noch weiter und beschmierten etwa sein
       Auto mit Hakenkreuzen.
       
       Focke war seit 2011 Bürgermeister in der Gemeinde, die zwischen Bremen und
       Hannover liegt. Zum 31. Dezember legte er nun alle Ämter nieder. „Eine
       Flucht nach vorne zum Schutz der Familie und des Amtes“ nannte er das. Am
       frühen Silvestermorgen machte er diese Entscheidung öffentlich: „Heute ist
       der Tag dann gekommen,,Schluss ohne lustig’ sozusagen!“, schrieb er auf
       seiner Facebook-Seite. Und: „#keinmilimeternachrechts bleibt mein Motto,
       nur die Bühne wird vielleicht kleiner, ich werde unbequem bleiben,
       versprochen!“.
       
       Er war schon früher wegen seiner ablehnenden Haltung gegenüber der AfD
       angegangen worden. Nach einer AfD-Veranstaltung im April 2018 nahm das zu.
       
       Focke ist nicht der einzige, der auf diese Art bedroht wird. In den
       vergangenen Monaten hatte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius
       (SPD) auf die zunehmende Hetze gegen Kommunalpolitiker*innen, die ihre
       Funktionen zumeist als Ehrenamt ausfüllen, von rechts hingewiesen. Denn
       konkrete Morddrohungen gegen Lokalpolitiker*innen gebe es immer wieder, so
       Pistorius.
       
       Im März 2015 löste der Rücktritt des Bürgermeisters von Tröglitz in
       Sachsen-Anhalt, Markus Nierth, erstmals eine bundesweite Debatte aus. Nach
       massiven Anfeindungen seitens der NPD und nach einem zugelassenen Aufmarsch
       vor seinen Haus legte er sein Amt nieder – auch weil er sich von den
       Verantwortlichen allein gelassen fühlte und die Solidarität der
       Gesellschaft ausgeblieben war. Nierth hatte sich für eine Unterkunft für
       Geflüchtete eingesetzt und war so ins Visier der Rechten geraten.
       
       Mittlerweile wird fast jeder zweite Bürgermeister bedroht, wenn er sich für
       Geflüchtete einsetzt, schrieb Juliane Streich im Jahr 2016 in ihrem Buch
       „Brandgefährlich. Wie das Schweigen der Mitte die Rechten stark macht“. Die
       Situation hat sich seither kaum geändert.
       
       Im Sommer 2019 ergab eine repräsentative Umfrage, die das Magazin
       „Kommunal“ im Auftrag des ARD-Politmagazins „Report München“ unter
       Bürgermeistern durchführt hat, dass schon in jeder zwölften Stadt oder
       Gemeinde Politiker*innen oder Beschäftigte der kommunalen Verwaltung
       körperlich angegriffen worden waren – ein Anstieg um 25 Prozent innerhalb
       von zwei Jahren. In rund 40 Prozent der Kommunen waren Hassmails
       eingetroffen. Dass es nicht bloß bei Mails auf kommunaler Ebene bleiben
       muss, sondern Taten folgen können, belegt die Ermordung des Kasseler
       Regierungspräsidenten, Walter Lübcke im Juni 2019.
       
       Auf einem Empfang der evangelisch-lutherischen Landeskirche im Kloster
       Loccum erklärte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) zum
       Rücktritt Fockes, dass sich eine Gesellschaft nicht mit solchen Bedrohungen
       abfinden darf. Es sei nicht normal, dass Menschen beschimpft und bedroht
       werden, weil sie in der Kommunalpolitik tätig sind. Anja Piel,
       Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag wird noch deutlicher: „Dieser
       Rücktritt ist ein schlimmes Signal für eine wehrhafte Demokratie.“
       
       8 Jan 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Speit
       
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