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       # taz.de -- Polizeiberichte über Leipzig-Connewitz: Die Bösen sind immer die Linken
       
       > Lebensbedrohliche Gewaltszenarien und hinterhältige Angriffe: Wenn die
       > Polizei über ihre Arbeit berichtet, wird es schnell fantasievoll.
       
   IMG Bild: Immerhin ein Fotobeleg dafür, dass Polizei am Morgen des 1. Januar in Connewitz war
       
       Was haben Eisenspeere mit einem Angriff auf die Hamburger Davidwache, einem
       unter Strom gesetzten Türknauf und einer lebensrettenden Notoperation
       gemeinsam? Klingt nach einem etwas bemühten Witz, ist es aber nicht. Denn
       die Antwort lautet: Sie alle wurden von der Polizei erfunden, um eine
       Erzählung zu verbreiten, in der linke Aktivist*innen oder Demonstrant*innen
       Polizeieinheiten in bürgerkriegsartige Kämpfe verwickeln. So auch jüngst in
       Leipzig-Connewitz.
       
       Was anfangs schockierend klang – einem Polizisten wurde von linken
       Krawallos so zugesetzt, dass er notoperiert werden musste –, entpuppte sich
       als Fake News. Und zwar nicht, weil die Polizei ihre Falschmeldung von
       alleine korrigierte, sondern [1][weil Journalist*innen die Angaben
       überprüft haben] (was schließlich ihre Aufgabe ist), auch [2][mithilfe
       eines Privat-Videos]. Die Polizei hat daraufhin eingeräumt, was nicht mehr
       zu leugnen war – allerdings nicht auf eine besonders erwachsene oder
       professionelle Art.
       
       Das hätte ungefähr so klingen können: „Im Eifer des Gefechts ist uns ein
       bedauerlicher Fehler in der Kommunikation unterlaufen. Die Verletzung des
       Beamten ist weniger schlimm, als wir es anfangs dargestellt hatten. Er
       musste nicht notoperiert, sondern lediglich am Ohr genäht werden.“
       Stattdessen versucht der Leipziger Polizeipräsident Torsten Schultze noch
       den Fehler zu vertuschen. „Eine Not-OP im engeren Sinn lag nicht vor“,
       räumte er ein, und es wäre besser gewesen, „von einem dringlich
       erforderlichen Eingriff zu sprechen – was aber noch immer eine Not-OP im
       weiteren Sinn ist.“ Ähm, sorry, aber nein.
       
       Auch die anfängliche Behauptung Schultzes, der Angriff auf die Polizisten
       sei „von Unmenschen“ „geplant und organisiert“ gewesen, stellte sich als
       falsch heraus. Aber anstatt sich für die Wortwahl und die
       Falschbehauptungen zu entschuldigen, schoss der sächsische
       Landespolizeipräsident Horst Kretzschmar am 3. Januar den Vogel ab. Er
       sagte [3][zur Leipziger Volkszeitung]: „Die Polizei wird nie
       Falschmeldungen verbreiten.“
       
       Das ist eine ziemlich dreiste Aussage. Natürlich kann schon mal niemand in
       die Zukunft gucken, aber geschenkt. Die Aussage ist auch deshalb extrem
       ärgerlich, weil die Polizei im Ranking der Verbreitung von Falschmeldungen
       sehr weit vorne liegt.
       
       ## Beweise? Indizien? Irgendwas?
       
       Eine kleine Gedächtnisstütze: Als die Hamburger Polizei 2014 mehrere
       Innenstadtviertel zum Gefahrengebiet erklärte, reagierte sie damit auf
       einen Angriff von 40 Autonomen auf die Davidwache auf St. Pauli. [4][Nur
       dass es den nie gab]. Ähnlich war es beim G20-Einsatz im Schanzenviertel,
       wo die Polizei stundenlang abwesend war und das später mit Sorge vor einem
       Hinterhalt rechtfertigte. Linke hätten sich mit Eisenspeeren bewaffnet.
       Beweise? Indizien? Irgendwas? Legte die Polizei nie vor, [5][Eisenspeere
       hat es aller Wahrscheinlichkeit nach nie gegeben].
       
       Die Behörde rückte dennoch nicht von ihrer Behauptung ab. Als ebenfalls im
       Jahr 2017 die Berliner Polizei den Kiezladen Friedel54 räumte, twitterte
       sie, ein Türknauf sei unter Strom gesetzt worden, mit 230 Volt Spannung.
       Lebensgefahr habe für die Beamt*innen bestanden. [6][Erst am nächsten Tag
       korrigierte sie die Falschmeldung]. Die Liste ließe sich problemlos
       fortsetzen.
       
       Was sagt das über die Polizei? Einerseits, dass sie Fehler macht, wie alle
       Menschen Fehler machen, aber das ist eh klar. Andererseits aber auch, dass
       es dort keinen guten Umgang mit Fehlern gibt – keine Bereitschaft, sie zu
       korrigieren, schon gar nicht öffentlich, außer es ist unvermeidbar.
       
       Hinzu kommt, dass es doch das tägliche Geschäft der Polizei ist, einen
       Tathergang zu rekonstruieren. Aber wenn sie selbst involviert ist, wie bei
       Konfrontationen mit Linken auf Demos, bei der Räumung von Blockaden oder
       Häusern, neigt sie dazu, den Tathergang zu ihren eigenen Gunsten zu
       verfälschen. Erwachsene Menschen in Verantwortungspositionen erfinden dann
       Geschichten von lebensbedrohlichen Gewaltszenarien und hinterhältigen
       Angriffen.
       
       Die Rollen in diesen Märchen sind klar verteilt: Die Bösen sind immer die
       Linken. Man könnte sich glatt gruseln – je nachdem, vor den Bösen, oder vor
       den Märchenonkeln –, wenn man die Geschichten nicht schon so oft gehört
       hätte.
       
       7 Jan 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Angriff-auf-Polizei-in-Leipzig/!5649887
   DIR [2] /Gewalt-Nacht-in-Connewitz/!5650283
   DIR [3] https://www.lvz.de/Leipzig/Polizeiticker/Polizeiticker-Leipzig/Kretzschmar-Die-Polizei-wird-nie-Falschmeldungen-verbreiten
   DIR [4] /Hamburger-Polizei-korrigiert-sich/!5051365
   DIR [5] /Kommentar-G20-Polizeistrategie/!5451123
   DIR [6] /Raeumung-von-Berliner-Kiezprojekt/!5429802
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina Schipkowski
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
   DIR Leipzig-Connewitz
   DIR Friedel54
   DIR Schwerpunkt G20 in Hamburg 
   DIR Leipzig
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