URI: 
       # taz.de -- Krieg in Libyen: Schlachtfeld international
       
       > Immer mehr Mächte greifen in Libyen ein. Nun könnten sich türkische
       > Soldaten und russische Söldner in dem Land gegenüberstehen.
       
   IMG Bild: Vorbereitung auf den Kampf gegen Haftar: Milizionäre in Tripolis, April 2019
       
       Istanbul/Berlin taz | Nach Syrien droht jetzt auch [1][Libyen] zum
       Schauplatz einer bewaffneten internationalen Auseinandersetzung im
       Mittelmeerraum zu werden. Immer mehr ausländische Mächte steigen im Kampf
       um Bodenschätze und Stützpunkte auch mit militärischen Mitteln in den
       Konflikt in dem nordafrikanischen Land ein, das seit dem Sturz von Muammar
       al-Gaddafi 2011 von Bürgerkriegen zerrissenen ist.
       
       Am Montag ratifizierte das türkische Parlament in Ankara ein Abkommen zur
       militärischen Unterstützung der Regierung in Libyens Hauptstadt Tripolis,
       die von Ministerpräsident Fajes al-Sarradsch geführt wird. Die
       Sarradsch-Regierung wird zwar von der UNO anerkannt, ist aktuell aber akut
       bedroht durch die Truppen des in Ostlibyen herrschenden Generals Chalifa
       Haftar. Der hatte im April eine Offensive auf Tripolis gestartet. Nachdem
       seine Libysche Nationalarmee (LNA) lange nicht vorankam, steht Haftar nun
       offenbar kurz davor, Tripolis zu erobern und die Regierung Sarradsch zu
       stürzen.
       
       Am Sonntagabend hatte ein langer Militärkonvoi aus den LNA-Gebieten die
       südlichen Vororte von Tripolis erreicht. Die LNA veröffentlichte Videos von
       am Straßenrand winkenden Menschen in der Stadt al-Adschilat westlich von
       Tripolis. Haftar hatte zuvor die „Stunde null“ verkündet – die finale
       Offensive auf Tripolis. Sollte er in den kommenden Tagen weiter vorrücken,
       drohen die Kämpfe im Süden der libyschen Hauptstadt zu einem erbitterten
       Häuserkampf zu eskalieren.
       
       Noch geht das Leben in weiten Teilen von Tripolis aber normal weiter.
       Wenige Kilometer von der Frontlinie und dem internationalen Flughafen
       entfernt stecken die Autos im Berufsverkehr fest. Viele Bewohner der
       Hauptstadt halten von beiden Kriegsparteien nichts. Unklar ist deshalb
       auch, wie groß die Anhängerschaft Haftars unter den rund zwei Millionen
       Einwohnern des Großraums Tripolis ist. Nachdem über 100.000 Bewohner vor
       den Kämpfen in den südlichen Vororten der Stadt fliehen mussten und immer
       mehr Wohngebiete von der Offensive betroffen sind, hoffen viele nur noch
       auf ein Ende des Krieges.
       
       ## Sarradsch als Partner im Gasstreit
       
       Doch danach sieht es nicht aus. Das von der Türkei und der
       Sarradsch-Regierung unterzeichnete Abkommen ist in Ankara in aller Eile
       verabschiedet worden, damit die Türkei noch Truppen nach Tripolis schicken
       kann, bevor es zu spät ist. Sarradsch, der auch für die EU der legitime
       Ansprechpartner in Libyen ist, war in den vergangenen Wochen mehrmals in
       der Türkei, zuletzt am Sonntag in Istanbul, um sich mit Präsident Recep
       Tayyip Erdoğan zu treffen und Unterstützung für seine Regierung zu sichern.
       
       Es wird damit gerechnet dass Sarradsch schon in den kommenden Tagen
       offiziell um türkische Truppen anfragen wird. In Ankara, so berichten
       türkische Medien, laufen die Vorbereitungen für eine Truppenentsendung
       bereits. Für Erdoğan ist die Sarradsch-Regierung der einzige Partner, um im
       östlichen Mittelmeer gegen eine Allianz von Griechenland, Zypern, Israel
       und Ägypten im [2][Streit um Gas- und Ölvorkommen] vorgehen zu können.
       
       Erst vor drei Wochen hatte Sarradsch ein weiteres Abkommen mit Erdoğan
       unterzeichnet, in dem beide Regierungen eine exklusive Wirtschaftszone im
       Mittelmeer vereinbarten. In dieser dürfen laut Abkommen keine Drittländer –
       also vor allem nicht Israel, Griechenland und Ägypten – Öl- und Gas suchen
       oder fördern. Am Wochenende kam es bereits zu zwei Zwischenfällen: Ein
       türkisches Marineschiff drängte ein israelisches Bohrschiff aus dieser Zone
       ab; später flog die israelische Luftwaffe Scheinangriffe auf ein türkisches
       Bohrschiff.
       
       Die Türkei hat zur Unterstützung von Sarradsch bereits große Mengen
       militärisches Gerät und Ausbilder für die Milizen geschickt, die auf der
       Seite von Sarradsch kämpfen und Tripolis gegen die angreifenden
       Haftar-Truppen verteidigen. Auch Katar hat Experten, Waffen und Drohnen an
       die Truppen der Sarradsch-Regierung geschickt, die 2015 von den Vereinten
       Nationen und einer ehemaligen Anti-Gaddafi Allianz installiert wurde. Das
       Sarradsch-Lager wirft dem vorrückenden General Haftar vor, eine Diktatur
       wie zu Zeiten Gaddafis errichten zu wollen.
       
       ## Mehr als 1.000 Wagner-Söldner im Land
       
       Haftars LNA wiederum wird von einer Allianz aus Ägypten, den Vereinigten
       Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien und Russland gestützt. Auch Frankreich
       unterstützt Haftar zumindest indirekt, weil der französische Ölkonzern
       Total im LNA-kontrollierten Gebiet Öl fördert. Insbesondere Russland greift
       auch militärisch aufseiten der LNA in den Konflikt ein.
       
       Nach Angaben der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin befinden sich
       deutlich über 1.000 Söldner des privaten russischen Sicherheitsunternehmens
       Wagner in Libyen. Die Regierung in Tripolis spricht von 600 bis 800
       Söldnern, die die Haftar-Truppen im Kampf um Tripolis unterstützen.
       
       Das Haftar-Lager wirft der Sarradsch-Regierung in Tripolis vor, die
       Ministerien und staatlichen Unternehmen in der Hauptstadt den mit ihr
       verbündeten Milizen überlassen zu haben. Seinen Angriff auf Tripolis
       begründete Haftar zudem damit, islamistische Gruppen in den Reihen des
       Sarradsch-Lagers vertreiben zu wollen.
       
       In dieser Gemengelage in Libyen könnten sich in wenigen Tagen dann auch
       türkische und russische Kombattanten gegenüberstehen, was allerdings auch
       hier – wie in Syrien – zu einem Deal zwischen Putin und Erdoğan führen
       könnte. Anfang Januar wird Putin zur Einweihung einer Gaspipline in Ankara
       erwartet.
       
       16 Dec 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Libyen/!t5008603
   DIR [2] /Griechen-und-Tuerken-im-Erdgas-Streit/!5648129
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Gottschlich
   DIR Mirco Keilberth
       
       ## TAGS
       
   DIR Milizen in Libyen
   DIR Libyen
   DIR Chalifa Haftar
   DIR Türkei
   DIR Erdgas
   DIR Libyen
   DIR Libyen
   DIR Türkei
   DIR Schwerpunkt Türkei
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Zypern
   DIR Schwerpunkt Flucht
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Vereinbarung für Libyen: Der Coup von Moskau
       
       Libyens Premier al-Sarradsch und der aufständische General Haftar sind nach
       Russland gereist. Sie sollen dort ihren Waffenstillstand bestätigen.
       
   DIR Neue Kämpfe in Libyen: Die Waffen schweigen … nicht
       
       Haftars LNA hat im Kampf gegen die Regierung Libyens größten
       Militärflughafen eingenommen. Das durchkreuzt die türkischen
       Interventionspläne.
       
   DIR Machtkampf im Nahen Osten: Erdoğans nächste Front
       
       Türkeis Präsident will Truppen nach Libyen entsenden. Es geht um einen
       Kompromiss mit Russlands Staatschef Putin – auch in Syrien.
       
   DIR Kämpfe in Libyen: Erdoğans neuer Kriegsschauplatz
       
       Die Türkei will dem Vorrücken von General Haftar in Libyen nicht länger
       zusehen. Erdoğan will nun auch Kampfpanzer in das Land schicken.
       
   DIR Libyen-Direktor der IOM über Flüchtlinge: „84 Prozent kommen zum Arbeiten“
       
       Anfang des Jahres eskalierte in Libyen der Bürgerkrieg. Federico Soda von
       der IOM erklärt, warum viele Geflüchtete trotzdem im Land bleiben.
       
   DIR Griechen und Türken im Erdgas-Streit: Athen droht mit der Marine
       
       Die Türkei plant Erdgas-Bohrungen in einer mit Libyen vereinbarten
       Wirtschaftszone im Mittelmeer. Griechenland droht sich militärisch zu
       wehren.
       
   DIR Seenotrettung und Libyen: Warnschüsse auf Rettungsschiff
       
       Die Küstenwache feuert auf das deutsche Schiff „Alan Kurdi“ Warnschüsse ab.
       Dabei waren die Behörden vorab über die Aktion informiert.