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       # taz.de -- Serie: Was von 2019 bleibt: Ein Jahr voller Angst
       
       > Rassismus gegen syrische Geflüchtete hat in der Türkei 2019 zugenommen.
       > Nicht registrierte Geflüchtete wurden umgesiedelt oder abgeschoben.
       
   IMG Bild: Geflüchtete, die nicht in Istanbul registriert sind, müssen die Stadt verlassen (Archivbild)
       
       In der Türkei ist der Rassismus gegen die ungefähr sechs Millionen
       Migrant*innen in diesem Jahr deutlich gestiegen. Laut einer Umfrage, die
       vor den vergangenen Kommunalwahlen gemacht wurde, wurden vor allem in
       Istanbul die knapp vier Millionen syrischen Geflüchteten als eines der
       größten Probleme des Landes wahrgenommen. Die negative Wahrnehmung von
       Geflüchteten verstärkte sich, als sich die wirtschaftliche Krise weiter
       zuspitzte.
       
       Im Juli entschied der Istanbuler Gouverneur, dass alle syrischen
       Geflüchteten, die nicht in Istanbul registriert sind, die Stadt verlassen
       müssen. Der neu gewählte Bürgermeister Ekrem İmamoğlu hat die Entscheidung
       des Istanbuler Gouverneurs mitgetragen. Nach diesem Beschluss begann eine
       wahre Hexenjagd auf Geflüchtete. Nicht nur Syrer*innen wurden dabei zur
       Zielscheibe. In Stadtteilen, in denen viele Geflüchtete leben, wurden im
       öffentlichen Nahverkehr und an Arbeitsplätzen Ausweiskontrollen
       durchgeführt.
       
       Die Bilanz dieser Maßnahme, die viele Geflüchtete in Panik geraten ließ:
       Von Mitte Juli bis Mitte November wurden mehr als 6.400 nicht in Istanbul
       registrierte Syrer*innen in vorübergehende Asylunterkünfte gebracht. Knapp
       43.000 irreguläre Geflüchtete wurden in Rückführungszentren gebracht. Der
       türkische Innenminister Süleyman Soylu erklärte, dass bis September mehr
       als 75.000 Geflüchtete ausgewiesen wurden und dass es bis Ende des Jahres
       bis zu 95.000 sein werden.
       
       ## Unrechtmäßige Abschiebungen nach Syrien
       
       Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Seit einiger Zeit schickt die
       Türkei Syrer*innen auch in Gebiete in Nordsyrien, die sie seit dem ersten
       Einmarsch der türkischen Armee 2016 besetzt hat. Zuletzt schuf die Türkei
       mit der Militäroffensive „Operation Friedensquelle“ im Oktober eine
       sogenannte Sicherheitszone von 145 Kilometern Länge und 30 Kilometern
       Breite. In diesem Gebiet plant die türkische Regierung, eine Million
       Syrer*innen anzusiedeln.
       
       Laut Berichten des türkischen Menschenrechtsvereins İHD und Amnesty
       International wurden viele Syrer*innen verhaftet und dann abgeschoben. Die
       Rückführungen nach Syrien wurden von den Menschenrechtsorganisationen als
       unrechtmäßig bezeichnet. Die Generaldirektion für Migrationsverwaltung
       erklärte daraufhin, diese Abschiebungen seien nicht “erzwungen“ worden,
       sondern “freiwillig“ geschehen.
       
       Laut der Behörde haben bis zum 25. Oktober knapp 365.000 Syrer*innen ein
       Dokument über freiwillige Rückkehr unterschrieben, bevor sie die Türkei
       anschließend verlassen haben. Dem Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu zufolge
       ist die Zahl im Dezember auf mehr als 371.000 angestiegen.
       
       Als Folge der türkischen Politik flüchten wieder mehr Menschen aus der
       Türkei nach Europa. Nach Zahlen des UN-Menschenrechtsrats von Anfang
       Dezember sind 2019 knapp 70.000 Menschen aus der Türkei nach Griechenland
       geflüchtet. 2018 waren es noch rund 50.000.
       
       ## 102 Geflüchtete starben bei Arbeitsunfällen
       
       Die steigenden Migrationszahlen führten in Europa zu Besorgnis. Anfang
       Oktober reiste der deutsche Innenminister Horst Seehofer in die Türkei. Bei
       seinem Besuch drängte er darauf, dass der Flüchtlingsdeal, der 2016
       zwischen der Türkei und der EU geschlossen wurde, “noch erfolgreicher“
       umgesetzt werden sollte, und stellte mehr finanzielle Unterstützung in
       Aussicht.
       
       Erdoğan hingegen findet die finanzielle Unterstützung der EU von 6
       Milliarden Euro unzulänglich und behauptet weiterhin, bis jetzt schon 40
       Milliarden Dollar ausgegeben zu haben.
       
       Trotz allem denken viele Geflüchtete, die in der Türkei leben, nicht daran,
       das Land zu verlassen. Diejenigen, die es geschafft haben, eine Arbeit zu
       finden, sind besonders harten und gefährlichen Arbeitsbedingungen
       ausgesetzt. Manche verlieren dabei sogar ihr Leben. Laut der NGO İşçi
       Sağlığı ve İş Güvenliği Meclisi (dt.: Gremium für Arbeitergesundheit und
       Arbeitssicherheit) wurden in den vergangenen 11 Monaten 1.606
       Arbeiter*innen bei Arbeitsunfällen getötet. Darunter waren 102 Geflüchtete.
       
       Eine Gesetzesänderung, die vor einigen Tagen von der AKP ins Parlament
       eingebracht wurde, lässt erahnen, wie das kommende Jahr für die
       Geflüchteten laufen wird. Der Vorschlag beinhaltet neben einigen
       bürokratischen Vereinfachungen vor allem Reglementierungen für Geflüchtete
       und ihre Unterstützer*innen.
       
       Demnach sollen auch Personen bestraft werden, die “versuchen“, die Türkei
       auf irregulärem Weg zu verlassen. Ein solcher „Versuch“ wird aber nicht
       weiter definiert. Auch die Frist für eine Revision nach einem
       Abschiebeurteil soll von 14 Tagen auf 7 Tage gesenkt werden. Personen, die
       unregistrierten Geflüchteten helfen, können zukünftig zu Geldstrafen
       verurteilt werden.
       
       Aus dem Türkischen von Julia Lauenstein
       
       18 Dec 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Meral Candan
       
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   DIR Schwerpunkt Syrien
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