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       # taz.de -- Der Biesdorfer Goldraub: In jeder Hinsicht bemerkenswert
       
       > In dieser Kriminalgeschichte geht es ums organisierte Verbrechen, Kunst,
       > enttäuschte Kinder und einen Schatz: Die ganze Geschichte eines
       > Goldraubs.
       
   IMG Bild: Da war das Kunstwerk „24kt“ des Künstlers Thorsten Goldberg, ein Nest aus Goldästen, noch da
       
       Wir befinden uns in Marzahn, genauer gesagt in Biesdorf, am östlichen Rand
       Berlins, umgeben von Einfamilienhäusern und Schmetterlingswiesen, nahe dem
       Flüsschen Wuhle. Die Gegend ist neuerdings bei Familien beliebt, der Neubau
       der Fuchsberg-Grundschule an der Apfelwicklerstraße stellte sich schon bei
       der Fertigstellung im September 2018 als zu klein heraus. In der Nacht vom
       14. auf den 15. Mai 2019 ereignete sich genau hier das Verbrechen, ein
       mutmaßlich von langer Hand geplanter Einbruch. Profis stahlen den Schatz
       der Schule.
       
       Was, häh? Schatz der Schule? Sie werden sich vielleicht wundern. Aber da,
       wo bei anderen Neubauschulen ein schnödes Wandgemälde oder eine schwer
       zugängliche Skulptur die Geister inspirieren sollen, prangte in der
       Fuchsberg-Grundschule ein Nest aus feinen Goldästen, 74 an der Zahl.
       Präsentiert in einer Vitrine, ins Mauerwerk eingelassen, von innen und
       außen bestaunbar (siehe Foto). Kunst am Bau nennt man das – in Berliner
       Neubauschulen ist das Standard.
       
       Dieses Kunstwerk aber ist in jeder Hinsicht bemerkenswert. Der Berliner
       Künstler Thorsten Goldberg hat es ersonnen und sich dabei Folgendes
       gedacht: Das Nest mit dem offiziellen Titel „24kt“ – für 24 Karat Gold –
       sollte 14 Jahre lang gut gesichert in der Schule verbleiben und dann, so
       steht es in einem extra abgeschlossenen Vertrag, in die Verantwortung der
       Schüler:innen übergehen. Die hätten es einschmelzen, weiter ausstellen,
       verkaufen, verlosen oder weiß der Geier damit machen können. Wenn das kein
       künstlerischer Mehrwert ist!
       
       ## Ein Wert von 80.000 Euro
       
       Rund 30.000 Euro betrug der Goldwert zum Zeitpunkt der Anschaffung, der
       Wert des Kunstwerks soll sich inklusive Honorar und Vitrine auf 80.000 Euro
       belaufen haben. Die Schüler:innen jedenfalls, so erzählt man es sich, haben
       sich an der Vitrine die Nase platt gedrückt.
       
       Nun wissen wir spätestens seit der „Big Maple Leaf“, jener Riesenmünze, die
       [1][2017 aus dem Bode-Museum verschleppt wurde], dass die Faszination von
       Gold, mit der der Künstler hier spielt, sich nicht auf zarte
       Schüler:innenseelen beschränkt. Bereits wenige Tage nach der Installierung
       der Vitrine im November 2018 soll es einen Einbruchversuch gegeben haben,
       im Februar 2019 einen zweiten.
       
       Auch auf den Polit- und Medienbetrieb schwappte das Interesse über. Der
       „Goldschatz“ von Marzahn erfuhr schon zu dieser Zeit eine Aufmerksamkeit,
       die wohl noch keinem Kunstwerk an einer Schule dieser Stadt zuteil wurde.
       
       Und es sollte noch mehr davon geben: In der Nacht des 14. Mai 2019 wurde
       das Biesdorfer Goldnest tatsächlich entwendet. Die Täter:innen sollen ein
       Fenster eingeschlagen, eine Tür aufgebrochen und das Objekt mit
       Spezialwerkzeug aus der Vitrine geholt haben. Als Mitarbeiter der
       Sicherheitsfirma die Polizei informierten, waren die Diebe schon über alle
       Berge. So weit hatten wir auch schon im Mai berichtet. Doch die Geschichte
       um das goldene Nest ist damit mitnichten zu Ende.
       
       ## Empörung und Belustigung
       
       Zunächst einmal drängten sich natürlich die Fragen nach den Täter:innen,
       dem Verbleib des Kunstwerks und dem „Wie war das möglich?“ in den
       Vordergrund. Wie schon bei der Big Maple Leaf stand der Verdacht auf
       Clankriminalität im Raum, Tage vor der Einbruchnacht sollen bereits
       verdächtige Personen die Schule ausgekundschaftet haben.
       
       Die Polizei jedenfalls reagierte auf den nunmehr gelungenen Diebstahl mit
       mehreren Durchsuchungen „im Milieu“, bei denen allerdings nicht einmal ein
       Stäubchen Gold, geschweige denn ganze Äste gefunden wurden. Dabei ist es
       bis heute geblieben, die unbekannten Täter:innen haben den Schüler:innen
       die Entscheidung zur weiteren Verwendung des Goldnests wohl vorfristig
       abgenommen und es schnöde eingeschmolzen.
       
       Die Frage nach dem „Wie konnte das passieren“ löste in Medien und Politik
       zweierlei aus: Empörung und Belustigung, was ein solch Begehrlichkeiten
       weckendes Kunstwerk in einer Schule zu suchen habe. So beschäftigte sich
       die Antwort der Marzahn-Hellersdorfer Schulaufsicht auf eine schriftliche
       Anfrage aus der SPD Ende August 2019 mit der Sicherung und Versicherung des
       Objekts.
       
       ## Stahltresor und Vakuum
       
       Die Antwort zu den Sicherheitsvorkehrungen ist so feinteilig, dass wir sie
       in Gänze wiedergeben wollen: „Die vorab bestückte und geschlossene sowie
       dichtverschweißte Vitrine, innen mit Vakuum versehen, wurde in einen
       Stahltresor, der in einer Wandaussparung eingebaut wurde, von innen
       eingeschoben. Die Klinker der Außenwand verdecken den umlaufenden
       Stahlrahmen. Die Vitrine ist thermisch mit einer Isolierschicht vom
       Stahltresor getrennt und anschließend mit diesem verschweißt und
       verschraubt worden. Ein Herausnehmen ist somit nicht möglich. Der
       Stahltresor besteht aus VA-Stahlblech 1.4571. Die Glasscheiben der Vitrine
       bestehen aus Verbundsicherheitsglas (VSG) P8B 36mm und PVB Folie 0,76mm.
       Die Folie dient der Abwehr von Axt- und Hammerschlägen. Eingelassen in das
       Glas ist eine ESG Alarmsicherheitsschleife von 6mm. Ebenso erfolgte eine
       zusätzliche Sicherung mit einer Glasscheibe, die vom Innenhof aus
       angebracht wurde. Das Kunstobjekt wurde videoüberwacht und war an die
       Alarmanlage der Schule und somit an das zuständige Wachschutzunternehmen
       angeschlossen.“
       
       Zur Frage nach der Versicherung fiel die Antwort deutlich schlichter aus:
       „Eine Versicherung seitens des Bezirksamtes Marzahn-Hellersdorf gab es
       nicht.“ Dazu sei allerdings gesagt, dass dies nach Aussage des zuständigen
       Schulstadtrats Gordon Lemm (SPD) grundsätzlich für alle Kunst am Bau gilt.
       Besonders teuer war der Goldschatz im Vergleich auch nicht: Bis zu 1
       Prozent der Bausumme darf Kunst am Schulneubau kosten. Die Errichtung der
       Fuchsberg-Schule hatte 17,5 Millionen Euro verschlungen, das Kunstwerk
       hätte also auch locker das Doppelte kosten dürfen.
       
       Der Aufwand jedenfalls, den die Diebe betrieben haben müssen, um angesichts
       der vielfachen Sicherung das Nest zu entwenden, war riesig. Und das Risiko,
       dabei entdeckt zu werden, immens. Mit einer 120 Dezibel lauten Spezialsäge,
       die zuvor mutmaßlich bei einer Feuerwehr entwendet wurde, hatten sich die
       Diebe wohl Zugang verschafft. 120 Dezibel – das ist lauter als ein
       Presslufthammer. Zudem sollen die drei Alarmsicherungsanlagen zwar
       angesprungen, der Sicherheitsdienst aber offenbar nicht unmittelbar
       reagiert haben. Genauso wenig wie die umliegenden Nachbar:innen.
       
       Aufwand und Risiko, da sind sich Politiker, Polizei und Künstler einig,
       standen jedenfalls in keinem Verhältnis zu dem für Profidiebe eher dürren
       Goldwert. Zur Erinnerung: Die ungleich schlechter gesicherte Big Maple
       Leaf, für deren Entwendung offenbar nur ein Rollbrett, ein Seil und eine
       Schubkarre vonnöten waren, hatte einen Wert von 3,75 Millionen Euro.
       Vielleicht, so Schulstadtrat Lemm, handelte es sich eher um einen Probelauf
       für einen größeren Diebstahl. Oder um eine Mutprobe für angehende
       Profidiebe. Eine Machtdemonstration.
       
       ## Und die Konsequenzen?
       
       Das Nest ist also weg, die Vitrine in der Fuchsberg-Grundschule leer, eine
       Versicherung gibt es nicht. In der Schule selbst habe man sich um die
       Wiederherstellung eines Gefühls von Sicherheit bei Schüler:innen und Eltern
       bemüht, so Lemm. Denn die seien „durchaus verstört gewesen von dem
       Ereignis“. Acht Monate nach dem Diebstahl liege in der Schule aber eher die
       Frage nach dringend benötigten Erweiterungsbauten obenauf als die weitere
       Beschäftigung mit dem Goldnest. Bleibt die Frage nach den Konsequenzen für
       die Politik, sozusagen der Moral von der Geschicht.
       
       Im Oktober hatte der Bund der Steuerzahler das Goldnest in seine
       bundesweite Liste der 10 absurdesten Steuerverschwendungen aufgenommen.
       „Wir haben einen Sanierungsrückstau an den Berliner Schulen in
       Milliardenhöhe, und der Senat hat nichts Besseres vor, als dort massives
       Gold einzubauen. Die Schule hat jetzt eine leere Glasvitrine. Das ist
       ärgerlich!“, empörte sich der Vorsitzende des Bundes der Steuerzahler
       Berlin, Alexander Kraus, in den Medien. Die CDU im Bezirk hatte schon
       vorher in die gleiche Kerbe geschlagen.
       
       Die Erzählung vom Marzahner Goldschatz, das sagt die Marzahner
       Kulturstadträtin Juliane Witt (Linke) heute, habe ihr schon vor dem
       Diebstahl nicht gefallen. Das habe die Debatte nur auf den Materialwert
       verschoben, weg vom künstlerischen Wert und von der eigentlichen Intention
       des Künstlers. „Dass Kunst am Bau durch diesen Vorfall grundsätzlich in
       Frage gestellt wird, das ist eine ärgerliche Entwicklung“, so Witt. Die
       individuellen Kunstwerke verliehen ansonsten recht uniformen Neubauten
       Identifikationspotenzial. In einem Plattenbaubezirk, in dem ansonsten jede
       Kita, jede Schule gleich aussah, sei das schon früher Gold wert gewesen.
       
       „Als Material ist Gold für Kunst am Bau aber künftig wohl nicht mehr
       zustimmungsfähig“, sagt Schulstadtrat Gordon Lemm. Für eine kürzlich im
       Bezirk fertiggestellte Sekundarschule wurde jedenfalls eine großflächige
       Installation aus Quarzsteinen ausgewählt. Der Materialwert sei da zu
       vernachlässigen, so Lemm.
       
       ## Einzigartigkeit und Identifikation
       
       Die Faszination und der Wert für die Schüler:innen aber vielleicht auch.
       Solche Beschränkungen der Kunst seien völliger Unfug, sagt jedenfalls der
       Künstler des Goldnests, Thorsten Goldberg, der seit Jahren immer wieder
       Mitglied diverser Gremien für Kunst im öffentlichen Raum ist.
       
       Die Auffassung des Bunds der Steuerzahler bezeichnet er als
       „Kulturvandalismus“. Der Künstler will dafür kämpfen, dass die
       Schüler:innen der Fuchsberg-Grundschule wieder einen Schatz haben, über
       dessen Verbleib sie in 13 Jahren entscheiden könnten. „Warum sollten
       wertvolle Materialien nur in Kirchen und Ministerien ausgestellt werden und
       nicht auch in einer Schule in Marzahn?“
       
       Einzigartigkeit und Identifikation: Das Goldnest der Biesdorfer Grundschule
       habe alle Merkmale guter Kunst am Bau erfüllt, sagt Kulturstadträtin
       Juliane Witt. Dass diese Geschichte vorerst so ausgegangen ist, dass der
       Künstler unverstanden bleibt, die Schüler:innen täglich an einer leeren
       Vitrine vorübergehen und Politiker:innen sich Dinge verbieten wollen, sei
       tragisch. Aber vielleicht entsteht daraus auch eine neue Debatte, wann
       Kunst am Bau wirklich bedeutsam ist – und es möglichst auch bleibt.
       
       10 Jan 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Prozess-um-gestohlene-Goldmuenze/!5563895
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Manuela Heim
       
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