URI: 
       # taz.de -- Korruption im Gewichtheben: Hohnlachen auf der Titanic
       
       > Christian Baumgartner glaubte, den Weltverband der Gewichtheber
       > reformieren zu können. Er scheiterte an Tamás Aján, dem Präsidenten der
       > IWF.
       
   IMG Bild: Chinesische Gewichtheberin bei der WM 2019
       
       Vielleicht liegt es auch am Job des Christian Baumgartner, dass er gern mal
       genau hinschaut. Der Veterinär ist spezialisiert auf „Rohmilchanalytik“,
       und von diesem Fachgebiet ist es gar nicht so weit zur Dopinganalytik im
       Sport. Baumgartner ist Geschäftsführer des bayerischen Milchprüfrings,
       verantwortlich für „die Umsetzung der Milchgüte-Verordnung in Bayern“. Er
       guckt sich also an, ob die Sachen sauber laufen, und weil er in seiner
       Jugend mal Gewichte gehoben hat, kam es irgendwie, dass er eine Karriere im
       deutschen Gewichtheber-Verband machte und Ende 2012 sogar auf dem Posten
       des Präsidenten landete.
       
       Das Wahlvolk wollte jemanden, der nicht „weichgespült und opportunistisch“
       ist, wie er selbst sagt. Baumgartner kümmerte sich fortan sozusagen um die
       Umsetzung der Sportgüte-Verordnung, was eine vertrackte Sache ist, denn der
       Verbandssport ist nicht nur hochkomplex, sondern auch oft eine Sache von
       Mauschlern und Teilzeit-Potentaten wie dem Präsidenten des internationalen
       Heber-Verbandes IWF, des Ungarn Tamás Aján, 80, der seit 1976 die Geschäfte
       in Budapest führt und mit den Jahren ein System der Vetternwirtschaft und
       Korruption geschaffen hat.
       
       Fördergelder des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in
       Millionenhöhe sind auf zwei Schweizer Konten verschwunden. Das
       Anti-Doping-Programm klang auf dem Papier stets ambitioniert, doch in der
       Umsetzung durch die ungarische Testagentur Hunado haperte es massiv. Wer
       allerdings erwischt wurde mit Mitteln zur Muskelmast, und das waren in den
       vergangenen zwanzig Jahren über 600 Athleten, der musste nicht selten
       blechen an Ajáns Adjudanten, gern in bar.
       
       ## Sprudelnde Einnahmequelle
       
       Ab drei Dopingverstößen wurde der verantwortliche Landesverband gesperrt,
       er konnte sich allerdings freikaufen mit einer Strafzahlung von 50.000
       Dollar. Wurden neun oder mehr Doper in einem Jahr erwischt, was tatsächlich
       vorkam, verschickte der IWF schon mal eine Rechnung über 500.000 Dollar.
       Der Verband testete nicht nur schlampig, er bereicherte sich auch noch per
       Kollektivstrafe an denen, die im Kontrollnetz hängen blieben. Im
       Olympiajahr 2012 wurden die russischen Heber im Training zum Beispiel gar
       nicht auf Dopingsubstanzen getestet, obwohl Tamás Aján zwei
       Trainingskontrollen pro Athlet versprochen hatte.
       
       „Ich habe das damals richtig als Hohn empfunden“, sagt Baumgartner heute,
       „für mich war ab diesem Zeitpunkt klar: Ihr könnt reden, was ihr wollt, am
       Ende passiert ja doch, was passieren soll.“ Das heißt: Es geschah, was
       Tamás Aján nutzte. Die ARD-Dokumentation „Der Herr der Heber“ hat am
       vergangenen Wochenende noch einmal alle Facetten des Systems Aján
       beleuchtet. Es stellt das sinistre Treiben der Fifa in den Schatten, denn
       der Fußball-Weltverband bemüht sich nach öffentlichem Druck um die
       Etablierung von Good-Governance-Standards, die IWF hat da noch einen weiten
       Weg vor sich – und nicht nur Baumgartner glaubt, dass sich grundlegende
       Reformen erst nach dem Ableben des Ungarn realisieren lassen.
       
       Christian Baumgartner hat damals, als er 2013 in die Exekutive des
       Weltverbandes gewählt wurde, versucht, Licht ins Dunkel der Finanzströme zu
       bringen. An der Spitze der Bewegung, die sich um Aufklärung und Transparenz
       bemühte, stand der Italiener Antonio Urso, der noch heute Chef des
       europäischen Heberverbandes ist. Er wagte es, nachdem eine interne
       IWF-Kommission nicht durchdrang, sich an den internationalen
       [1][Sportgerichtshof Cas] in Lausanne zu wenden. Urso wollte wissen, ob
       nicht das IOC einschreiten und den IWF sanktionieren müsse, wenn in dem
       Fachverband IOC-Millionen verschwinden.
       
       ## Weigerung des IOC
       
       Die Cas-Richter fühlten sich aber nicht zuständig und orientierten sich
       offensichtlich an einem Schreiben, das das IOC im Mai 2011 nach Rom
       geschickt hatte: „Aus Respekt vor der Autonomie des internationalen
       Fachverbandes wird sich das IOC nicht in die Debatte einmischen.“ Der
       damalige IOC-Präsident Jacques Rogge weigerte sich, die olympische
       Ethikkommission einzubinden. Damit gaben sie Aján freie Hand und
       legitimierten sein Vorgehen.
       
       Baumgartner empfand das als Nackenschlag: „Wenn man die Charta und die
       Grundsätze des IOC liest, dann würde man als Laie denken, das IOC müsste
       sich engagieren. Wir waren sehr enttäuscht, dass das nicht passiert ist.“
       Der Deutsche sprach das Thema im IWF-Vorstand noch einmal an, doch seine
       Kollegen folgten dem Appell von Aján, dass Zusammenhalt und Verbandsfrieden
       wichtiger seien als eine korrekte Buchführung. „Bis zu einem gewissen Punkt
       hat die Argumentation auch bei mir verfangen, weil nichts mehr zu gewinnen
       war“, sagt Baumgartner rückblickend, „bei der Finanzproblematik war damals
       einfach der Deckel drauf.“
       
       Das Lager der Aufrührer hat es damals verpasst, weitere juristische
       Schritte gegen Aján einzuleiten, aber Baumgartner gibt zu Bedenken, dass
       schon der Cas-Vorstoß ein unerhörtes Geschehen im Weltsport darstellte.
       Warum? „So etwas macht man nicht. Man vertraut vielmehr darauf, dass die
       Dinge intern im Sport geregelt werden. Autonomie ist vielen ja heilig, sie
       führt aber eben auch dazu, dass solche Netzwerke wie im IWF aufgebaut
       werden und im Grunde keiner Kontrolle mehr unterliegen.“
       
       Baumgartner hat sich dann mit den Gegebenheiten im IWF arrangiert, eher
       eine „neutrale Position“ eingenommen, weil er „Sachthemen“ habe bearbeiten
       wollen. Mit dieser Einstellung ist er etwas in Abseits geraten. Im IWF mit
       seinen „dramatisch verhärteten Fronten“ zwischen dem Urso-Lager und den
       Aján-Leuten ist man eigentlich dazu verdammt, eine Entscheidung zu treffen:
       „Entweder du bist für Aján oder gegen ihn.“
       
       Bei der letzten Präsidentenwahl 2017 waren 58 Prozent der Delegierten für
       ein Weiter-so. „Das Aján-Lager hat sich durchgesetzt“, sagt Christian
       Baumgartner. Etwas deutlicher ist der Italiener Antonio Urso geworden. Er
       sagte: „Die neu gewählten Funktionäre sehen aus wie das Orchester der
       Titanic, sie erfreuen sich gegenseitig am Untergang des Schiffs.“
       
       11 Jan 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://jurisprudence.tas-cas.org/Shared%20Documents/2474.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Markus Völker
       
       ## TAGS
       
   DIR Gewichtheben
   DIR Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
   DIR Schwerpunkt Korruption
   DIR Kolumne Frühsport
   DIR Transfeindlichkeit
   DIR Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Korruption und Betrug im Gewichtheben: Verschworene Reißer und Stoßer
       
       Der neueste Thriller aus der finsteren Welt des Sportbetrugs spielt in der
       Gewichtheberszene. Dort hat man wenig Interesse an Aufklärung.
       
   DIR Boykott-Kampagnen in Armenien: Im richtigen Film
       
       Aus der früheren Gewichtheberin Meline Daluzjan ist ein Mann geworden. Die
       Reaktionen in Armenien sind extrem transphob.
       
   DIR Doping im Gewichtheben: Ein Heben und Nehmen
       
       Der Sport ist verseucht und hat eine der höchsten Dopingraten. Das
       Kontrollsystem der dominanten Nationen funktioniert nicht.
       
   DIR Dopingsportart Gewichtheben: Die allerschwerste Aufgabe
       
       In Paris findet momentan die Gewichtheben-WM statt. Der deutsche Verband
       will den Doping-durchseuchten Sport weltweit sauberer machen – mit der
       Hilfe Walther Trögers.