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       # taz.de -- Dokumentarfilmerin über Jagd: „Eine Wahnsinnsschlacht“
       
       > Für „Auf der Jagd“ sprach Alice Agneskirchner mit 300 Jäger*innen. Mit
       > herkömmlichem Marketing hätte ihr Film kaum die nötige Aufmerksamkeit
       > erzielt.
       
   IMG Bild: Szene aus „Auf der Jagd“
       
       taz: Frau Agneskirchner, wann sind Sie zum ersten Mal auf die Jagd
       gegangen? 
       
       Alice Agneskirchner: 2011 hatte ich die Idee für eine TV-Serie über
       Wilderei. Das zerschlug sich, und ich habe den Stoff zu einem
       Dokumentarfilm über das System Jagd umgeschrieben. Dafür hatte ich eine
       Drehbuchförderung der FFA, der Filmförderanstalt des Bundes, und
       Entwicklungsgelder des Programms Documentary Campus. Das hat dann natürlich
       nochmal anderthalb Jahre gedauert, den Trailer haben wir 2015 gedreht.
       
       Und dann konnte es richtig losgehen? 
       
       Von wegen: Ich hatte zwar ein fertig entwickeltes Projekt plus Trailer,
       aber null weitere Finanzierung. ZDF und Arte kamen dann an Bord – aber
       alleine mit TV-Geld kann man heute keinen Dokumentarfilm machen. Der wäre
       ohne das Kino und die entsprechende Filmförderung nicht denkbar. Denn das
       Fernsehen – egal welcher Sender – zahlt auf jeden Fall zu wenig.
       
       Wie viel bekommt man denn da? 
       
       Mit konkreten Zahlen setzt man sich leider immer in die Nesseln. Die
       Aufteilung ist ungefähr: Ein Siebtel bis ein Achtel des Geldes kommt vom
       Fernsehen, der Rest kommt aus den verschiedenen Kino-Fördertöpfen. Dabei
       müsste es sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk eigentlich leisten,
       solche Produktionen komplett zu finanzieren. Bei fiktionalen Programmen wie
       dem „Tatort“ geht das ja auch, und die sind wesentlich teurer.
       
       Der lange Dokumentarfilm muss zuerst mal ins Kino? 
       
       Der Film darf, muss und soll ins Kino. Doch laufen heute doppelt so viele
       neue Filme wie vor 15 Jahren – pro Jahr 600 bis 700. Das ist eine
       Wahnsinnsschlacht um die Aufmerksamkeit. Die 35. Auflage von Luke Skywalker
       mit einem Marketing-Budget von Zigmillionen konkurriert dann mit einem
       Dokumentarfilm wie „Auf der Jagd“, der 50.000 Euro Verleihförderung
       bekommt. Und damit hatte ich schon Glück.
       
       Wie findet der Dokumentarfilm denn die Aufmerksamkeit, die er verdient? 
       
       Auf dem klassischen Weg funktioniert das nicht mehr. Da bräuchte man
       vielleicht eine Millionen allein fürs Marketing – also mehr, als die
       meisten Dokumentarfilme als komplettes Budget haben. Wir müssen strategisch
       komplett umdenken. Also die Menschen erreichen, die mit dem Thema was
       anfangen können und die dann wiederum eigene Netzwerke haben. Bei „Auf der
       Jagd“ waren das zunächst mal die Jäger*nnen, die den Film weiter nach
       draußen getragen haben. So kam er dann auch bei den Landwirtschafts- und
       Fischereiverbänden an. Dadurch ergab sich eine Sogwirkung. Dazu braucht man
       dann gar nicht so viel Geld, sondern eher Menschen, die bereit sind, dieses
       Netzwerken zu übernehmen.
       
       Wann war der Film im Kino und warum kommt er erst jetzt im Fernsehen? 
       
       Es gibt per Gesetz für geförderte Kinofilme eine zweijährige Sperre ab
       Fertigstellung. Unser Film war ab Frühjahr 2018 im Kino und hatte dort rund
       50.000 Zuschauer*nnen. Das ist für einen Dokumentarfilm schon eine Menge,
       denn wir hatten auf der Website des Films einen Button integriert mit dem
       Angebot „Wir wollen in dem uns nächstgelegenen Kino eine Veranstaltung zum
       Film organisieren“. Dann hat der Verleih mit diesen Gruppen Kontakt
       aufgenommen und diese Veranstaltungen organisiert. Das ist natürlich
       mühselige, kleinteilige Arbeit – und für viele Kinoverleiher noch total
       ungewohnt.
       
       Sind Streamingdienste heute generell die neuen weißen Ritter in Sachen
       dokumentarische Formate? 
       
       Netflix produziert ja selber Dokus. Aber da geht es natürlich um serielles
       Erzählen, das ist mit Sicherheit auch eine Zukunft für das dokumentarische
       Genre. Ein Streamingdienst wird sich aber bei einer Doku-Serie niemals
       darauf einlassen, bei Drehbeginn noch ergebnisoffen zu sein. Die Geschichte
       muss fest stehen, wie eine fiktionale Serie. Das Wichtige beim
       Dokumentarfilm ist aber das Einlassen auf das Geschehen, das erst beim
       Drehen passiert. Damit wird das Ergebnis erst im Schneideraum sichtbar.
       Daher sehe ich hier weiter die öffentlich-rechtlichen Sender gefordert. Das
       ist Teil ihres Auftrags: die Wirklichkeit in ihren Facetten zu betrachten,
       neugierig und auch jenseits einer vorher festgelegten Dramaturgie.
       
       Und wann gehen Sie selbst wieder auf die Pirsch? 
       
       Ich habe gar keinen Jagdschein. Ich jage nur Bilder.
       
       15 Jan 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Steffen Grimberg
       
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