URI: 
       # taz.de -- Anna Bergmann am Badischen Staatstheater: Die Schauspieldirektorin
       
       > Ein Theaterkindergarten, das ist höllisch kompliziert: Wie Anna Bergmann
       > in Karlsruhe an der Geschlechtergerechtigkeit schraubt.
       
   IMG Bild: Anna Bergmann, Regisseurin und Schauspieldirektorin am Staatstheater Karlsruhe
       
       Die Idee zur totalen Frauenquote stammt von einem Mann. Peter Spuhler,
       Generalintendant des Staatstheaters Karlsruhe, plädierte für 100 Prozent,
       als die Regisseurin Anna Bergmann sein Angebot, als Schauspieldirektorin
       ans Haus zu kommen, mit der Forderung quittierte, eine Frauenquote von 80
       Prozent einzuführen. Anna Bergmann wurde so ab der Spielzeit 2018/19 nicht
       nur die erste Frau auf dem Posten der Karlsruher Schauspieldirektion,
       sondern auch rasch berühmt: als Chefin eines Schauspiels, das
       ausschließlich Regisseurinnen engagiert.
       
       Das brachte dem Theater viel Publicity, auch die New York Times berichtete.
       Klappern gehört zum Geschäft. Mittlerweile hat sich die Aufregung gelegt,
       selbst strikte Gegner des Modells scheinen kleinlaut geworden, und Anna
       Bergmann präsentiert in ihrer laufenden zweiten Spielzeit auch zwei
       Regisseure. 13 Inszenierungen, 10 Regisseurinnen, 2 Regisseure. Ein Unikum
       in der hiesigen Theaterlandschaft, wo die weibliche Regiequote bei etwa
       einem Drittel liegt.
       
       Doch es rührt sich was. [1][Das Berliner Theatertreffen hat sich eine Quote
       von mindestens 50 Prozent auferlegt,] die neue Hannoveraner Intendantin
       Sonja Anders eine Regie-Quote eingeführt, das Schauspiel Frankfurt plant
       eine für die kommende Spielzeit. To be continued.
       
       In Karlsruhe kann man studieren, wie unaufgeregt so etwas vonstatten gehen
       kann. Bei Licht betrachtet, interessiert dieses Thema ohnehin in erster
       Linie Theaterblasenbewohner und diejenigen, die grundsätzlich für
       feministische Fragestellungen brennen. Das durchschnittliche
       Theaterpublikum schert sich um derlei eher nicht. Dieses giert, wie auch
       Anna Bergmann weiß, nach packenden Theaterabenden.
       
       ## Ibsens Frauen nehmen ihr Schicksal in die Hand
       
       Ihr selbst geht es um Gerechtigkeit, als Feministin würde sie sich nicht
       bezeichnen. 1978 in Stendal geboren, erwähnt sie ihre Ost-Sozialisation.
       Sie studierte Theaterwissenschaft, Philosophie und Anglistik an der Freien
       Universität Berlin, anschließend Regie an der Hochschule für
       Schauspielkunst „Ernst Busch“. Kaum ein Porträt über sie, das nicht auch
       auf ihre langen blonden Haare und ihre helle Stimme zu sprechen käme.
       „Honey, I got heels higher than your standards“, lautet der Merksatz auf
       einem Bild in ihrem Büro, ein Geschenk der Regisseurin Christina Paulhofer.
       
       Anna Bergmann, die in jeder Spielzeit auch zwei eigene Inszenierungen in
       Karlsruhe präsentiert, hat ein gutes Händchen für Abende, die ihre eigenen
       Vorlieben mit den Bedürfnissen des Publikums in Einklang bringen. Zum
       Auftakt ihrer Intendanz in Karlsruhe legte sie ein Henrik-Ibsen-Mash-up
       unter dem Titel „Nora, Hedda und ihrer Schwestern vor“. Ibsens
       Protagonistinnen erscheinen im Stück von Ulrike Syha als Vertreterinnen
       unterschiedlicher Epochen und Frauenbilder.
       
       Ein Abend, an dem es viel zu gucken gibt, die Bühne gleicht einem
       Puppenhaus, und am Ende nehmen die Frauen ihr Schicksal selbst in die Hand
       und emanzipieren sich vom Finale, das Ibsen ihnen vorgeschrieben hat.
       
       ## Hochemotionale Stoffe
       
       Schweden ist Anna Bergmanns Lieblingsland, sie hat schon ein paarmal dort
       inszeniert und hegt eine große Bewunderung für Ingmar Bergman. [2][„Szenen
       einer Ehe“ gehört zu ihren Erfolgsinszenierungen], „Persona“, ebenfalls
       nach einem gleichnamigen Bergman-Film und eine Koproduktion vom Deutschen
       Theater Berlin und dem Malmö Stadsteater, brachte ihr 2019 eine Einladung
       zum Berliner Theatertreffen. Und erst kürzlich verschraubte sie drei
       weitere Bergman-Filme zu einem Abend übers Mensch- und Verlorensein:
       „Passion – Sehnsucht der Frauen“. Hoch emotionale Stoffe, in denen die
       Figuren nicht selten an ihrem So-Sein zugrunde gehen.
       
       Kein Wunder, dass das Entstehen einer Emotion auf der Bühne für Anna
       Bergmann der Glutkern des Theaters ist. Als Live-Erlebnis sei das
       unschlagbar, findet sie. In ihren eigenen Inszenierungen verstärkt sie das
       gemeinsame Erlebnis schon mal, indem sie den Saal zur Partymeile adelt. So
       in ihrer konsequenten Einrichtung von „The Broken Circle“ nach dem
       Erfolgsfilm von Felix Van Groeningen. Anna Bergmann macht daraus einen
       Konzertabend, Liveband, Schnäpse und Tanzeinlagen des Publikums inklusive.
       Das kommt in Karlsruhe gut an, auch weil es auf so zivile Art und Weise
       geschieht. Niemand wird vorgeführt, alle dürfen sich eingeladen fühlen.
       
       Das führt dazu, dass selbst der Rezeptionist im kleinen Hotel auf der
       anderen Straßenseite ins Schwärmen gerät über diesen Aufbruch am Karlsruher
       Staatstheater. Anna Bergmann erläutert, ihr sei schon das Avantgardistische
       wichtig, aber es solle eben auch unterhaltsam sein: „Ich möchte, dass die
       Leute dranbleiben.“ Das Soghafte interessiert sie, und wie man es
       herstellt. Viele schätzen genau das an ihren Inszenierungen.
       
       ## Intendantin für Mütter und Väter
       
       Eine Kritikerin erlebte in der jüngsten Bergmann-Bergman-Inszenierung ein
       Gefühl wie nach einem Binge-Watching-Serienmarathon. Ein sehr zeitgemäßes
       Gefühl.
       
       Ebenso zeitgemäß sind die neuen alten Gedanken zu einer besseren
       Vereinbarkeit von Familie und Beruf am Theater. Ein zentraler Knackpunkt in
       der Diskussion um Geschlechtergerechtigkeit. Anna Bergmann beschäftigt
       nicht nur überwiegend Regisseurinnen, sondern auch viele Mütter und Väter.
       Ein Theaterkindergarten wäre deshalb naheliegend. Man sei in Verhandlungen,
       erzählt sie, alles sei höllisch kompliziert.
       
       Das komplette Leitungsteam, neben ihr selbst noch die Dramaturgin Anna
       Haas, die auch ihre Stellvertreterin ist, sowie die geschäftsführende
       Dramaturgin Sonja Walter, hat Kinder. Anna Bergmann selbst ist Mutter eines
       kleinen Sohns, vom Vater, der Schauspieler in ihrem Ensemble ist, lebt sie
       getrennt.
       
       In ihrem Büro hängen Porträtfotos ihrer Schauspielerinnen und Schauspieler.
       In der zweiten Spielzeit hat sie es geschafft, die im Theater übliche
       Unwucht zwischen Männern und Frauen auszugleichen. Jetzt herrscht hier
       Fifty-Fifty. Das hat zur Folge, dass Männer in Karlsruhe auch mal Beiwerk
       einer Inszenierung sind.
       
       So weit, so schön, doch glaubt Anna Bergmann wirklich, dass Frauen einen
       anderen Führungsstil haben, einen besseren gar? „Wir können richtig zuhören
       und suchen den Fehler auch mal bei uns und nicht gleich beim Gegenüber“,
       sagt sie und weiß natürlich, dass sie pauschalisiert. Doch bei allem Guten,
       was sie über Frauen sagen kann, lässt sie keinen Zweifel an ihrer eigenen
       Durchsetzungskraft. „Da kannst du mal bei mir auf die Proben kommen“, duzt
       sie die Besucherin plötzlich und stellt Rumbrüllerei vom Feinsten in
       Aussicht. Man kann es sich vorstellen.
       
       Dabei schafft es Anna Bergmann, sich in einem Satz derb über Frauen zu
       echauffieren, die sich wie Prinzessinnen gebärden und im nächsten Satz
       selbst spitz zu verkünden: „Ich liebe Pink!“ Im Gespräch erweist sie sich
       als eine, die weiß, was sie will. Sie liebe es zu inszenieren und könne
       sich nichts anderes vorstellen. In der nächsten Spielzeit wird sie auch am
       Theater in der Josefstadt in Wien und am Deutschen Theater in Berlin
       arbeiten.
       
       Ihren Agenten, Tom Stromberg, hat sie nach wie vor. Kein unkluger
       Schachzug, wird doch gerade Frauen oft nachgesagt, sich in Geldfragen
       leicht über den Tisch ziehen zu lassen. Das lässt sich Tom Stromberg nicht
       nachsagen.
       
       In Karlsruhe hat Anna Bergmann aber längst lernen müssen, selbst zu
       verhandeln, nun eben auf der anderen Seite des Tisches. Als Direktorin, die
       unterschiedliche Interessen vertreten muss. Eine Herausforderung für sie,
       doch sie lässt keinen Zweifel daran, dass sie über kurz oder lang ihr
       eigenes Theater haben möchte. Und sie weiß genau, wem sie das erzählen
       muss, um es publik zu machen.
       
       4 Jan 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Theater-und-die-Quote/!5594980
   DIR [2] /Archiv-Suche/!5029661&s=Anna+Bergmann/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Shirin Sojitrawalla
       
       ## TAGS
       
   DIR Theater
   DIR Frauenquote
   DIR Karlsruhe
   DIR Geschlechtergerechtigkeit
   DIR Henrik Ibsen
   DIR Thalia-Theater
   DIR Theater
   DIR Theater
   DIR Oper
   DIR Theatertreffen Berlin
   DIR Theaterfestival
   DIR taz.gazete
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Thalia-Theater unter neuer Leitung: Vieles neu am Alstertor
       
       Mehr Farbe, mehr Frauen: Die neue Leitung des Hamburger Thalia-Theaters hat
       die erste von ihr verantwortete Spielzeit vorgestellt.
       
   DIR Buch über vergessene Dramatiker:innen: Wie man Wünsche in Text packt
       
       Unbekannte Autor:innen und vergessene Stücke: „Spielplanänderung“ von Simon
       Strauss will das Theater ändern – eine Literaturgeschichte.
       
   DIR Juryauswahl für das Theatertreffen 2020: Ritual und Vorfreude
       
       Sandra Hüller als sturer Hamlet und mehr Frauen in der Regie als Männer:
       Das Theatertreffen Berlin stellte seine Auswahl für dieses Jahr vor.
       
   DIR Opernregisseurin Ulrike Schwab: Die Liebe zur Stimme
       
       Aufregend und berührend ist das Musiktheater von Ulrike Schwab. In Berlin
       werden ihre „Wolfskinder“ an der Neuköllner Oper wieder gespielt.
       
   DIR Theater und die Quote: Strichlisten und Ästhetik
       
       Das Theatertreffen macht sich weiter auf den Weg hin zur Parität. Ein
       Wochenkommentar.
       
   DIR Festival „Radikal jung“ in München: Bleibende Spur von Schmerz
       
       Frauen können auch böse: Das zeigt das Festival „Radikal jung“ in München
       mit Gastspielen, vor allem von Regisseurinnen, aus New York und Berlin.
       
   DIR Sexismus in Kultur und Medien: Der Geniekult ist männlich
       
       Erstmals ist es amtlich: Frauen werden in Kultur und Medien benachteiligt.
       Eine Studie des Kulturrats empfiehlt eine Quote für Gremien.