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       # taz.de -- Gute Vorsätze für das neue Jahrzehnt​: Null und Nullkommafünf
       
       > Klimakrise, Artensterben, ja, auch Welthunger und Gerechtigkeitsgap: Nie
       > waren gute Vorsätze so wichtig wie zu Beginn der Zwanziger Jahre.
       
   IMG Bild: Im Schmelzkäsekoma mag man sich noch für nachhaltig halten, aber wehe, man wacht auf
       
       Vor dem Raclette-Essen war die Frage so unvermeidlich wie hinterher die
       Erkenntnis, wieder zu viel Käse und Kartoffeln verschlungen zu haben: „Was
       habt ihr für Vorsätze fürs neue Jahr?“, fragte ich die erweiterte Familie
       am Neujahrsabend, bevor alles im Sturm auf die Pfännchen unterging. Die
       Antwort: Kauen und Schweigen. Gute Vorsätze? Nicht bei uns.
       
       Das bedeutet natürlich: Wir leben bereits so nachhaltig, dass es ökologisch
       und sozial nichts mehr zu verbessern gibt. Jede Autofahrt wird mit selbst
       gekeltertem Biosprit befeuert, jede Wurst von totgestreichelten
       Ökoschweinen erzeugt, jedes Ziel in Übersee per Segelboot erreicht.
       Nirgends Streit, nur Fairness, Glück und Inklusion.
       
       Das mag für eine Familie im Schmelzkäse-Koma noch akzeptabel sein. Aber für
       uns alle sind keine guten Vorsätze kein gutes Zeichen. Oder haben Sie etwas
       darüber gehört, wie wir alle in dieses Jahr und in dieses Jahrzehnt gehen
       wollen? Die Kanzlerin mahnt uns zwar in ihrer Neujahrsansprache zu mehr Mut
       und Zuversicht („wir schaffen das“ in Grün), aber eine Selbstverpflichtung
       ist das nicht. Und dass so etwas am Beginn der wilden Zwanziger fehlt, ist
       ein Problem. Denn es heißt: weitermachen wie bisher. Und das reitet uns nun
       wirklich nur weiter in die Siewissenschon.
       
       Zur Erinnerung: Wir haben noch dieses Jahrzehnt, um bei den beiden großen
       Meta-Mega-Problemen die Notbremse zu ziehen: Bis 2030, besser schneller,
       muss weltweit die Ausrottung von Tier- und Pflanzenarten aufhören, müssen
       die weltweiten Treibhausgasemissionen halbiert werden. Noch mal: Schluss
       und halbiert. Null und Nullkommafünf. Kann man sich doch gut merken, wenn
       nach guten Vorsätzen gefragt wird.
       
       ## Sorry, wir konzentrieren uns auf die Weltrettung
       
       Selbstverständlich gibt es andere drängende Probleme. Aber die lassen sich
       auch im Zuge von „Null und Nullkommafünf“ lösen – Armutsbekämpfung, Schluss
       mit dem Hunger, Strom für alle, bessere Gesundheitsvorsorge schaffen wir
       langfristig nur mit sauberer Technik und intakter Umwelt. Und, sorry: Die
       anderen großen Themen müssen eben warten, während wir uns auf die Rettung
       der Welt konzentrieren. Ob jedes Brötchen einen Kassenbon braucht, der WDR
       unsere Oma als Umweltsau outen darf oder Benzin und Flugmangos wieder
       teurer werden, interessiert jetzt mal nicht. Wir müssen alle Opfer bringen.
       
       Die guten Vorsätze haben wir also. Jetzt müssen sie nur noch zur
       EU-Richtlinie werden, eine Mehrheit im US-Kongress finden und die beiden
       nächsten Fünfjahrespläne in Peking prägen. Oder, einfacher: an jedem Frei-
       und sonstigem Tag von allen eingefordert werden, die eine Zukunft wollen.
       Und der Satz vor dem Vorsatz lautet: „Hört auf die Wissenschaft!“ Alles
       andere wäre grobe Fahrlässigkeit, würden Juristen sagen. Und die Trumps,
       Bolsonaros, Saudi Aramcos und Murdochs dieser Welt, die es nicht stört,
       wenn die Welt in diesem Jahrzehnt in Flammen aufgeht? Auch dafür haben
       Juristen einen Ausdruck: bedingter Vorsatz.
       
       4 Jan 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Pötter
       
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