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       # taz.de -- Kleidung und Körper: Fetisch ist Zivilisation
       
       > Es gibt Menschen, die den Klamottenfetisch als etwas Abweichendes
       > betrachten. Dabei ist er Voraussetzung für ein funktionierendes
       > Zusammenleben.
       
   IMG Bild: Stoff in Fülle
       
       Kleidung ist, was den Menschen vom Tier trennt, aber auch das, was Menschen
       voneinander trennt. Kleidung schafft die Diskretion, die für unsere Form
       der Zivilisation Voraussetzung ist. Und sie sorgt für Distinktion. Zeigt
       an, wer den besseren Körper, den besseren Geschmack, den besseren Stand
       hat.
       
       Kleidung zu lesen wie Buchstaben gehört zu unserem gelernten
       gesellschaftlichen Vokabular, sonst würden wir bei Uniformen keinen
       Sicherheitsabstand und beim Abendkleid nicht die Tür halten. Würden nicht
       am Schuh erkennen, ob der da einer von uns ist.
       
       Dass wir alle unterbewusst klamottenalphabetisiert sind, ist auch der
       Grund, warum es Kleidungsfetische gibt. Sie sind [1][die geläufigsten
       Fetische, und es gibt ihrer etliche]. Am bekanntesten sind Leder-, Gummi-
       oder Uniformfetisch. Es gibt aber auch den Wolle-, Turnschuh-, Stiefel-,
       Kniestrumpf-, Unterwäsche-, Regenjacke- oder Stilettofetisch. Selbst wenn
       ich an dieser Stelle alle Fetische aufzählen würde, hätte am Ende irgendwo
       jemand schon wieder einen neuen entdeckt.
       
       Für Kleidungsfetischist*innen scheint vom Stoff eine magische Kraft
       auszugehen. Eine Aura, fast so greifbar wie das Gewebe selbst – was zu der
       Annahme verleiten kann, dass Fetisch mit dem Material an sich zu tun hat.
       Immer wieder höre ich Erklärungen, die Fetische auf frühkindliche
       Erlebnisse zurückführen wollen: die Präsenz von Latexhandschuhen bei der
       Geburt, ein Leder liebender Vater, ein prägendes Erlebnis mit
       Stöckelschuhen.
       
       ## Fetisch ist Norm, keine Abweichung
       
       Ich finde diese Ansätze, die den einen Urgrund für sexuelle Vorlieben
       suchen, wenig aufschlussreich und außerdem unverschämt, weil sie [2][kinky
       Begehren schon wieder als etwas Abweichendes begreifen], als Sonderweg, der
       mit dem Wollpullover des Babysitters seinen Anfang genommen hat.
       
       Eher sind Kleiderfetische Teil der symbolischen Kleiderordnung, in der wir
       alle leben und die wir alle täglich schreiben. Fetische übersteigern oder
       brechen sie oder verkehren die ihr innewohnenden Hierarchien. Der
       Sportklamottenfetischist arbeitet sich ab an Heldenkult, Körperkult,
       Männlichkeit, Homoerotik. Die Uniformfetischistin spielt mit Autorität, mit
       der kafkaesken Tatsache, dass in unserer Welt Befehlsgewalt mit goldener
       Litze auf Schulterklappen genäht wird. Im Leder steckt immer die brutale
       Unterordnung des Tierreichs durch den Menschen, der zum Zeichen seines
       Siegs fremde Haut direkt auf der eigenen trägt. Ich finde die Vorstellung
       ulkig, dass jemanden all das sexuell völlig kaltlassen soll.
       
       Kleidungsfetische werden, weil sie missverstanden sind, gerne lächerlich
       gemacht – was wiederum sehr praktisch ist für alle, die auf Demütigung
       stehen, aber das ist eine andere Geschichte. Es ist keineswegs Pflicht,
       einen Fetisch zu haben. Es ist nur wichtig, sich klarzumachen, dass hier
       keine Krankheit vorliegt, kein Kindheitstrauma; dass der Klamottenfetisch
       aber zivilisatorisch angelegt ist.
       
       25 Jan 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Peter Weissenburger
       
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