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       # taz.de -- Regierungswechsel in Russland: Geschlossener Rücktritt im Kreml
       
       > Premier Dmitri Medwedjew soll Vize-Chef des Sicherheitsrats werden. Sein
       > Nachfolger wird der bisherige Finanzchef Michail Mischustin.
       
   IMG Bild: Wird Vize-Chef des russischen Sicherheitsrats: Ex-Premierminister Dmitri Medwedjew (rechts)
       
       Moskau taz | Der Überraschungscoup sitzt: Russlands Regierung ist am
       Mittwochabend geschlossen zurückgetreten. Eine Überraschung, die offenbar
       geplant gewesen ist. Nachdem der russische Regierungschef [1][Dmitri
       Medwedjew] seine Entscheidung dem russischen Präsidenten [2][Wladimir
       Putin] mitgeteilt hatte, berichtete er sogleich von seinem neuen Job:
       Medwedjew soll Vize-Chef des Sicherheitsrats werden. Als neuen
       Ministerpräsidenten hat Putin den Chef der nationalen Steuerbehörde,
       Michail Mischustin, vorgeschlagen.
       
       Zwei Stunden vor Medwedjews Erklärung spricht Putin in seiner Rede an die
       Nation detailliert über geplante Verfassungsänderungen. In sieben Punkten
       listet er auf, wie er die Duma, das Parlament, stärken will und die
       Russische Föderation dennoch eine Präsidialrepublik, [3][die auf
       Patriotismus setze] und eigene Interessen verfolge, bleiben soll.
       
       So soll die Duma den Ministerpräsidenten bestätigen, auch die Minister, die
       der Präsident vorschlägt. Bislang lagen alle diese Vollmachten beim
       Präsidenten. Die „Botschaft“, wie die Russen die jährliche Ansprache ihres
       Präsidenten vor den beiden Kammern des Parlaments nennen, kommt an.
       
       „Das Minimum ist die Auswechslung des Ministerpräsidenten Dmitri Medwedjew,
       das tut keinem weh.“ Das sagt Alexei Michailow, Direktor eines
       Verkleidungsladens im Moskauer Norden. Er verfolgt Putins Auftritt in
       seiner Büroküche und wünscht sich eine Rede, „die einschlägt“. Doch er wird
       wieder enttäuscht. „Jedes Jahr vermittelt man uns, dass es dieses Jahr
       einen Ruck gibt. Nächstes Jahr auch. Und übernächstes ebenfalls.“ 20 Jahre
       lang gehe das jetzt schon so. „Am Ende bleiben oft nur leere Worte“, sagt
       Michailow.
       
       Rücktritt von Medwedjew zwei Jahre zu spät 
       
       Statt der Rede schlägt dann aber der Rücktritt der Regierung im ganzen Land
       ein. „In diesem Zusammenhang liegt es auf der Hand, dass wir als Regierung
       der Russischen Föderation dem Präsidenten unseres Landes die Möglichkeit
       geben müssen, unter diesen Bedingungen alle erforderlichen Entscheidungen
       zu treffen“, sagt Medwedjew zur Erklärung seines Rücktritts.
       
       Alexei Michailow betreibt seit 2004 im Keller eines Wohnhauses sein
       Geschäft. Rote Partykostüme hängen an der Wand, Gruselmasken reihen sich
       aneinander, eine Perücke hängt in der Ecke. Jedes Jahr versucht der
       51-jährige Unternehmer, der seit 30 Jahren in Moskau lebt, die
       Präsidentenrede zu hören – „mit dem linken Ohr“, wie er sagt. Den
       Präsidenten schätze er „dafür, dass er im Land für Ordnung gesorgt hat.
       Doch nun stecken wir fest. Wo ist der Mut zu Neuem?“ Offenbar, so wird er
       am Abend sagen, habe Putin diesen Mut nun in Teilen gefunden. „Allerdings
       zwei Jahre zu spät.“
       
       Michailow war früher bei der Armee, dann kamen die 1990er Jahre, „die
       dunkle Zeit“. Er fing an zu handeln, der Sohn war gerade geboren, es
       folgten zwei weitere Söhne. Eine Familie mit drei Kindern ist mittlerweile
       der Traum der russischen Regierung. Viele Programme werden aufgelegt, um
       die Demografieproblemein den Griff zu bekommen. Auch dieses Mal macht Putin
       Geschenke: Die Kinderzuschüsse sollen steigen, Kredite für Familien
       leichter zubekommen sein. Neue Kinderkrippen sollen entstehen, alle Schulen
       ein warmes Mittagessen anbieten.
       
       Russland hat große Geldreserven, doch bei Ausgaben zeigt es sich zaghaft.
       Der Nationale Wohlstandsfonds ist seinerzeit vor allem dafür geschaffen
       worden, für schlechte Zeiten gerüstet zu sein.„Wir zahlen für die Krim“,
       sagt Michailow. Putin sagt derweil: „Wir bleiben eine starke
       Präsidialrepublik.“ Nun muss er eine neue Regierung präsentieren. Die
       Änderungen in der Verfassung, zu denen sich das Volk äußern soll, sind noch
       Zukunftsmusik.
       
       15 Jan 2020
       
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