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       # taz.de -- Selbstdarstellung und Selbstverleugnung: Keine milde Seite mehr
       
       > Bei Vorstellungsgesprächen und Dates zeigen wir uns von der vermeintlich
       > besten Seite. Das kann mehr Probleme als Freude bereiten.
       
   IMG Bild: Keine Kompromisse
       
       Kürzlich wollte ich in New-Year-New-Me-Manier meine Wohnung aufräumen. Doch
       dann siegte meine Faulheit, und ich beschloss stattdessen, meine Fotos im
       Handy zu „ordnen“. Ich stellte fest, dass Google Photos schon die halbe
       Arbeit geleistet und die Bilder in verheißungsvolle Unterkategorien wie
       „Saturday Night in Berlin und Hohen Neudorf“ (11 Elemente), „Screenshots“
       (1.278 Elemente) und „Selfies“ (2.458 Elemente) eingeteilt hatte.
       
       Beim gedankenverlorenen Scrollen blieb ich an einem Bild hängen: Ich in
       Deutschlandshirt, mit Flagge und Käppi (auf dem Tisch im Hintergrund liegen
       sogar Pappteller in Schwarz-Rot-Gelb). Dieses Bild hatten meine ehemaligen
       Kollegen und ich während einer Pause aufgenommen, als wir uns auf einen
       Pitch für einen Sportsender vorbereiteten.
       
       Ich twitterte besagtes Bild und stellte es einem anderen Bild gegenüber,
       auf dem ich einen Afrikapulli (schwarzer Pulli mit einem Umriss des
       afrikanischen Kontinents in Kente-Tuch), eine goldene Afrikakette und meine
       Haare als Afro trage. Titel: „[1][Ich beim Vorstellungsgespräch vs. Ich am
       Ende der Probezeit]“. Der Tweet wurde vielfach geteilt und kommentiert,
       weil viele POCs und insbesondere Schwarze Menschen es KOMPLETT GEFÜHLT
       haben, wie man auf Twitter so sagt.
       
       Als ich mir diesen Tweet anschaute (ich verbringe unfassbar viel Zeit
       damit, mir meine eigenen Tweets noch mal durchzulesen; ich nenne es
       Blattkritik), stellte ich fest, dass Dates und Vorstellungsgespräche extrem
       viele Parallelen haben. Am Anfang zeigt man sich von einer weniger
       radikalen Seite, und seine richtige Meinung offenbart man erst, wenn man in
       gewisser Hinsicht abgesichert ist. Unfassbar frustrierend ist natürlich,
       dass die eigenen natürlichen Haare in diesem Zusammenhang als radikal
       gelten, und glaubt mir, ich wünschte, es wäre nicht so. Jedenfalls musste
       ich an so viele Interviewsituationen denken, in denen mein Gegenüber eine
       milde Version von mir bekam, ich eingestellt wurde und dann langsam mein
       wahres Ich und meine extrem radikalen Forderungen offenbarte („Es gibt
       keinen Rassismus gegen Weiße“, „Wollen wir aufhören, ableistische Sprache
       im Büro zu benutzen?“, „Den Einwand einer Kollegin als hysterisch zu
       bezeichnen ist sexistisch“).
       
       In meinem Datingleben war es bisher ähnlich gelaufen: Beim ersten Date
       trink ich Aperol Spritz, trage meine Haare zum Dutt und spreche über
       Wohnungen in Berlin, Start-ups und Dschungelcamp. Beim fünften Date treffen
       wir uns auf einer Bank, trinken Späti-Bier, und ich hau ab, wenn dein
       Lieblingsfilm „Save the Last Dance“ und/oder „Django Unchained“ ist und du
       weiße Menschen mit Dreadlocks verteidigen willst. Ich muss sagen, je älter
       ich werde, desto weniger Zeit und Lust habe ich, am Anfang irgendwas
       vorzugaukeln. Es wird direkt beim Vorstellungsgespräch oder ersten Date
       geklärt, was geht und was nicht geht. Und zwar mit Afro. New Year New Me.
       
       18 Jan 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://xn--twitter-lkad.xn--com-ffa/An%C2%ADna%C2%ADDus%C2%ADhi%C2%ADme/sta%C2%ADtus/1215726313564188674
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Dushime
       
       ## TAGS
       
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