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       # taz.de -- Der große Unterschied, man kann ihn gut tragen
       
       > Eine Show junger Talente aus Südafrika und Berliner Meister*innen des
       > Interkulturellen begeisterten in diesem Jahr auf der gerade zu Ende
       > gegangenen Fashion Week
       
   IMG Bild: Leuchtende Farben: Fashion-Week-Blick in die Show „Fashion Talents from South Africa“
       
       Von Marina Razumovskaya
       
       Verwirrend. Sehr verwirrend. Du stehst vor einem Regal mit 96
       Joghurtsorten, auf einer Modemesse mit 203 Anbietern, Labels, Initiativen,
       Projekten. Jede und jedes versucht, seine eigene Welt zu entwerfen. Dazu
       tausendundeine Diskussionen über tausend Ideen und Verkaufsstrategien. Der
       Überfluss hat auch in der nachhaltigen Mode Einzug gehalten, wie sie sich
       auf der Neonyt, der riesigen Messe für nachhaltige Mode, auf der am Freitag
       zu Ende gegangenen Fashion Week Berlin präsentiert.
       
       Bleibt die große Frage, was am Ende rauskommt: Worin unterscheidet sich das
       eine vom andern? Das eine Label vom andern, das eine Outfit vom anderen?
       Durch die Geschichte, die dahinter steht? Durch das, was man sieht? Durch
       die „feinen Unterschiede“ (Bourdieu) oder die groben?
       
       Aber Mode existiert, und wir existieren in ihr. Die Unterschiede werden
       getragen und ausgetragen. Da sitzen etwa an der Kasse im Nahkauf ums Eck
       meist junge Türken als Kassierer, lupenreiner Haarschnitt, goldenes
       Kettchen, Tattoo. Dann kommen zwei junge Schwarze in den Laden, direkt aus
       den afrikanischen Dörfern im Görlitzer Park, Faustbegrüßung, die Bewegungen
       lässig und langsam, sie tragen noch viel mehr goldene und silberne
       Kettchen, die Jeans sind noch geschickter zerrissen, die neuen Jacken
       supercool und immer frisch gewaschen. Es ist ziemlich klar: Die jungen
       Afrikaner verkörpern alles, was die jungen Türken seit Langem verehren …
       
       Berlin, Hauptstadt der Streetware: Sie wird von denen gemacht, die wirklich
       auf der Straße rumhängen, den ganzen Tag, die ganze Nacht, bei jedem
       Wetter.
       
       So hatte es Sinn, dass auf der Berliner Fashion Week, die sich das Label
       Nachhaltigkeit und Streetware so sehr vorgenommen hat, das erste Event erst
       mal den großen Unterschied machte: Afrika. Die Show „Fashion Talents from
       South Africa“ zeigte Werke von einer Designerin und drei Designern. Man sah
       unglaubliche leuchtende Farben, eng anliegende oder auch wallende Gewänder,
       schimmernde Prints von Leoparden, Schlangen, Iguana, aus traditionellen,
       ethnischen Materialien und Mustern, vorgeführt nicht nur von
       Afrikanerinnen, sondern von Models aus der ganzen Welt.
       
       Die Organisatorin der Show, Beatrace Angut Oola, stammt aus Uganda und
       Hamburg. Sie betreibt eine spektakuläre Seite, voll unglaublichster
       Entdeckungen: „Fashion Africa Now“. Oola, die im Sommer vergangenen Jahres
       auch eine der Kuratorinnen der Ausstellung „Afro Futures: Mode – Haare –
       Design“ im Berliner Kunstgewerbemuseum war, stellt dort viele Projekte vor
       und betreibt einige auch selbst: „The politics of African fashion“,
       „Fashion Uganda“, „The Punk Tailors of Art comes first“ (mit den Desigern
       Sam Lambert, Shaka Maidoh).
       
       Im Gespräch am Rande der Neonyt im Tempelhofer Flughafen spricht sie viel
       über Nachhaltigkeit und auch über die existenzielle Frage: Bleiben oder
       gehen? Die meisten von den rund 100 Designern, mit denen Oola bislang zu
       tun hatte, bleiben und versuchen, in Afrika zu produzieren. Nur so entstehe
       ein Kreislauf, meint Oola. In einem Projekt arbeiteten afrikanische
       Designer für Ikea. Doch als klar wurde: gefertigt in Hongkong, bekam die
       Sache einen Haken.
       
       Auch das Thema Upcycling steht ganz oben, seit das Label Njola Impressions
       Mode aus Autoreifen produzierte. Für Deutsche sind Kleider nur Kleider,
       aber für Afrikaner ist Kleidung eine Art Kommunikationsmittel, auch
       zwischen den Kulturen.
       
       Zwei Meister kultureller Kommunikation sind die Berliner Iranerin Nobi
       Talai und der aus Hongkong stammende, in Hannover aufgewachsene William
       Fan. „Ich versuche immer, meine beiden Heimatländer zusammenzubringen und
       beide Welten zu spüren“, sagt Nobi Talai. Ihre zauberhafte Präsentation
       fand inmitten riesiger Schwarz-Weiß-Fotografien von iranischen Frauen
       statt. Ihre Kollektion spielt auf höchstem designerischem Niveau:
       Plisseefalten mit Zickzackmustern (Chevron), in verschiedene Richtungen
       gelegt, darin eingearbeitet Elemente aus handgewebten iranischen Teppichen
       als Verstärkung an Schultern und Rücken. Dazu kommen europäische
       Kragenformen, klassische Hose mit Rock und immer wieder fremde Details:
       merkwürdige Schläuche etwa mit Knoten.
       
       Ob das die Weiterentwicklungen eines iranischen Elements ist, bleibt für
       Europäer ein Rätsel. Dazu Kopfbedeckungen aus traditionellen Tüchern oder
       Stirnbedeckungen mit hängenden, baumelnden Münzen und große, flache
       Schmuckstücke (Monisto) auf der Brust.
       
       Das Ganze strahlt eine unglaubliche Harmonie aus, alles bis in die
       kleinsten Akzente, inklusive Musik, ist genau ausgedacht, die Proportionen
       stimmen, und man sieht schließlich ein Gesamtbild, wenn die Frauen durch
       den Raum wandeln, in einem leicht akzentuierten Fluss aus einer anderen
       Welt. Diese Frauen haben eine Stärke und sind trotzdem sehr fein, beschützt
       in ihren vielschichtigen Umhüllungen und Boots an den Füßen – diese Frauen
       stehen fest auf der Erde. Und trotzdem: Man kann sich so gut vorstellen,
       einzelne Teile oder einen ganzen Look der Kollektion auch wirklich zu
       tragen!
       
       Der zweite Meister des Interkulturellen, William Fan, ist diesmal, nachdem
       er uns in den letzten Jahren nach Hongkong, Hannover, an deutsche
       Bushaltestellen entführt hatte, in Berlin angekommen. Nicht im Modell,
       sondern eins zu eins. Seine Kollektion „Berlin“ wurde, mit Blick auf die
       ganze Stadt, im Fernsehturmrestaurant gezeigt. Und überall tauchten sie
       wieder auf, die Fernsehtürme, als kleine Anhänger, Pins, aus Metall,
       angenäht an den Stoff wie die goldenen Plättchen der Skythen. Sie reiten
       durch diese, wie es bei Fan heißt, „niemals zur Ruhe kommende, sich ständig
       wandelnde Stadt“.
       
       18 Jan 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marina Razumovskaya
       
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