URI: 
       # taz.de -- Auschreitungen in Libanon: Tränengas um die Moschee
       
       > Erneut treffen in Beirut Sicherheitskräfte und Protestierende
       > aufeinander. Viele Menschen flüchteten vor dem Tränengas in eine Moschee.
       
   IMG Bild: Feuerwerk geht auf gepanzerte Polizisten in Beirut nieder
       
       Beirut taz | Rund um die Mohammed-al-Amin-Moschee in Beirut stehen
       Hundertschaften, rote Feuerwerkskörper schießen in die Luft, die Innenstadt
       ist umnebelt von Tränengas. Aus dem Lautsprecher der Moschee erklingt eine
       Stimme; der Imam richtet sich an die Protestierenden und die Polizei:
       Kinder, Frauen und Verletzte seien in der Moschee, man solle sie sicher
       hinaus lassen.
       
       Am Wochenende ereigneten sich die bisher schwersten Ausschreitungen
       zwischen Protestierenden und Sicherheitskräften seit [1][Beginn
       libanesischen Aufstands] im vergangenen Oktober. Die Menschen protestieren
       gegen die Politiker, die das Land durch Korruption in den Staatsbankrott
       geführt haben.
       
       Bereits am Samstagmittag versuchte die Polizei, hunderte Demonstrierende
       mit Wasserwerfern von den Straßen rund um das Parlamentsgebäude zu drängen.
       Später warf die Bereitschaftspolizei Tränengaskanister in die Menge und
       feuerte mit Schreckschusspistolen auf die Protestierenden, die wiederum
       Feuerwerkskörper und Steine warfen. Ein Feuer brannte umliegende Zelte ab,
       die zivilgesellschaftliche Organisationen sonst für Diskussionen nutzen.
       Nach Angaben des libanesischen Roten Kreuzes mussten 377 Menschen
       medizinisch versorgt werden.
       
       Während die Proteste über Wochen hinweg weitestgehend friedlich verliefen,
       wächst nun die Gewaltbereitschaft auf beiden Seiten. „Seit über 90 Tagen
       protestieren wir, und jetzt wird klar, dass die Regierung glaubt, das Land
       gehörte ihnen“, sagte der 30-jährige Musikproduzent Samer Chami der taz.
       
       Er hatte sich an einem Demonstrationszug beteiligt und blieb auch nach den
       Ausschreitungen vom Samstagabend in der Nähe der Innenstadt, um das
       Geschehen von einer nahe gelegenen Brücke zu beobachten.
       
       „Die Frontliner, die viel wütender sind als alle anderen, haben versucht,
       die Barrikaden vor dem Parlamentsgebäude zu entfernen“, erklärt er. „Dann
       hat die Polizei mit den Wasserwerfern gestartet und Tränengas geworfen. Sie
       versuchen, uns zu trennen und dann festzunehmen. Die Armee hat versucht,
       uns in die Richtung der Bereitschaftspolizei zu drängen, sodass die uns
       verhaften können.“
       
       Die Polizei nahm 34 Menschen in der Nacht auf Sonntag in Gewahrsam. Chami
       sagt, es werde versucht, eine Kluft zwischen den Protestierenden zu bilden.
       „Die Medien versuchen, die Frontliner als Teufel zu diffamieren. Bullshit,
       das sind Leute von der Revolution. Wir gehören alle zusammen.“
       
       Die [2][Protestierenden fordern] eine unabhängige technokratische
       Regierung. Der designierte Ministerpräsident Hassan Diab ist seit einem
       Monat mit der Bildung des Kabinetts beauftragt. Am Donnerstag traf er sich
       mit dem Parlamentssprecher. Es hieß, man sei auf bestem Wege, noch am Abend
       eine neue Regierung zu benennen. Allerdings folgten der Ankündigung keine
       Taten.
       
       ## Streit um Posten
       
       Weil Diab die Größe des Kabinetts von bisher 30 Posten auf 18 beschränken
       will, ringen die Parteien um Repräsentation. Streit entbrennt auch aufgrund
       der konfessionellen Zugehörigkeiten. Wie die libanesische Zeitung [3][Daily
       Star berichtet], möchte die maronitische Marada-Partei mehr als einen
       Minister stellen, obwohl sie nur mit zwei Abgeordneten im Parlament
       vertreten ist. Die christliche Partei ist erbost, dass der ehemalige
       Außenminister und Schwiegersohn des Präsidenten, Gebran Bassil, alle
       anderen christlichen Minister benennen soll.
       
       Während des Gehaders der Parteien um Repräsentation verschärft sich die
       Finanzkrise im Land, die üblichen Stromausfälle dauern länger als sonst, es
       drohen Internetausfälle. Der Ökonom Jad Chaaban [4][schrieb] auf Twitter:
       „Der einzige Ausweg besteht darin, alle gewählten Institutionen aufzulösen
       und eine unabhängige Übergangsregierung zu ernennen, die wirtschaftliche
       und politische Notreformen durchsetzt.“
       
       19 Jan 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Massenproteste-im-Libanon/!5636622
   DIR [2] /Proteste-im-Libanon/!5654163
   DIR [3] https://www.dailystar.com.lb/News/Lebanon-News/2020/Jan-17/499428-demands-by-ssnp-marada-catholic-sect-hold-up-govt-formation.ashx
   DIR [4] https://twitter.com/JadChaaban/status/1218806584941432832
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julia Neumann
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
   DIR Protest
   DIR Libanon
   DIR Libanon
   DIR Libanon
   DIR Libanon
   DIR Protest
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Weltwirtschaftsforum in Davos: Korrupte Politiker auf großer Bühne
       
       Libanons Ex-Außenminister Bassil aus Davos auszuladen wäre falsch.
       Stattdessen muss er kritisch befragt werden.
       
   DIR Neues Kabinett im Libanon: Fachleute sollen regieren
       
       Mit Massendemos haben die Libanes*innen ihre Regierung gestürzt. Nun hat
       das Land ein neues Kabinett. Doch der Protest geht weiter.
       
   DIR Proteste im Libanon: Eine „Woche des Zorns“
       
       Der Ärger auf den Straßen Libanons ist neu entfacht und richtet sich vor
       allem gegen Banken. Die Protestierenden warten auch auf eine neue
       Regierung.
       
   DIR 2019 – Jahr der Proteste: Beharrlicher Demonstrant
       
       In Beirut stehen 2019 Hunderttausende gegen Korruption und
       Vetternwirtschaft auf. Einer von ihnen ist der arbeitslose Grafikdesigner
       Hady Ezzedin.