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       # taz.de -- Bundesliga mit Wachstumspause: All you can eat im Themenpark
       
       > Da geht noch mehr: Wie sich das Spektakel Profifußball noch viel besser
       > verkaufen ließe. Sogar im Stadion könnten Fans ihren Spaß haben.
       
   IMG Bild: Ein neuer Star betritt die Liga. Erling Haaland (Dortmund) kommt in Augsburg zum Warmmachen
       
       Jetzt habt ihr wieder was, worüber ihr schreiben könnt“, hat Marco Reus
       trocken wie treffend festgestellt. Reus weiß, wie die
       Aufmerksamkeitsökonomie funktioniert, die keine gesonderte Einladung
       braucht, wenn neben Erfolg noch Jugend und Spektakel im Spiel sind. Und im
       Ernst, wann hat die Liga je so einen Einstand gesehen? Alle Welt wird mit
       gutem Grund in den kommenden Tagen über Erling Haaland schreiben, den
       gefrierschrank-coolen Jugendlichen, der einen Dortmunder 1:3-Rückstand
       fast im Alleingang in einen 5:3-Sieg verwandelte.
       
       Es lässt sich erahnen: Die Bundesliga wird mit dem Rückrundenstart noch
       unterhaltsamer als vor der Winterpause. Das liegt nicht nur an Haaland. Der
       1. FC Köln schießt sich im Rausch von den Abstiegsrängen weg, Eintracht
       Frankfurt kann nach Monaten des Post-5:1-Fluchs auch wieder andere Teams
       außer den FC Bayern schlagen, und Borussia Dortmund hat sich mit nur einer
       Partie wieder in einen Kandidaten auf den Titel verwandelt. Weil auch
       Leipzig auf Kurs bleibt, ist der Begriff Meisterschaftsrennen in der
       Bundesliga wieder wörtlich zu nehmen. Statt dröger Defensivschlachten geht
       es in vielen Stadien zwar nicht spielerisch hochwertig, dafür torreich,
       ekstatisch, vogelwild zu: Hochglanz-Anarchie.
       
       Und dennoch sind viele dieser Stadien: eindrücklich leer. In Mainz
       versammelten sich an diesem Spieltag 23.000 auf 33.000 Plätzen, ganze
       Blöcke blieben verwaist. Auch das Stadion der Hoffenheimer wies große
       Leerstellen in den Sitzreihen auf; in der Hinrunde konnten auch etwa
       Düsseldorf (Auslastung von 79 Prozent), Wolfsburg (81 Prozent) und, trotz
       absolut hoher Zahlen, wie gewohnt Hertha (63 Prozent) ihre Arenen nicht
       füllen. Auch da, wo es angeblich ausverkauft war, blieb viel
       Schalensitz-Blau. Wie passt das zur derzeit spektakulären Bundesliga? Ist
       es die von Schlechtgelaunten [1][prophezeite] Abwanderung von einem hoch
       kommerziellen Produkt?
       
       Nein, im Gegenteil: die Abwanderung aus den Stadien passt wunderbar zu
       diesem Produkt. Streamingdienste haben nämlich mittlerweile oft das bessere
       Angebot. Für nur zwölf Euro im Monat gibt es Live-Partien von der
       Bundesliga bis Australien, von der Champions League bis zur Premier League,
       dazu zahlreiche andere Sportarten wie NFL, NBA, Boxen oder Tennis.
       
       ## Fußball war doch schon immer eine Ware
       
       Im Stadion kostet ein einziges Spiel mehr als ein ganzer Monat Sport bei
       [2][DAZN]. Im letzten halben Jahr hat der Sender seine Abonnentenzahlen
       laut einem Bericht verdoppelt. Warum also sollte man im Stadion bei Mainz
       frieren, wenn es zu Hause im Bett dasselbe gibt und keine Warteschlange
       fürs Bier? Fußball ist immer schon eine Ware gewesen. Die meisten Fans sind
       nicht treudoof, sie wählen den besseren Deal – von dem ihr Verein
       finanziell sogar wesentlich mehr profitiert.
       
       Trotzdem wird der Stadionbesuch nicht so bald der Steinzeit angehören, denn
       auf Kundenwünsche reagieren die Klubs ja schnell, und auch die TV-Anbieter
       haben ein Interesse an vollbesetzten Arenen. Naheliegend wäre es, die
       exorbitanten Ticketpreise zu senken. Warum soll eineinhalb Stunden Fußball
       mehr kosten als eineinhalb Stunden Kino? Das würde die Dauerkarte auch
       parallel zum Abo attraktiv machen und wieder allen Schichten den Zutritt
       zum Stadion ermöglichen.
       
       Profitabler ist eine andere Entwicklung. Die San Francisco 49ers bieten
       ihren Dauerkarteninhabern ab nächster Saison ein Stadionerlebnis All
       Inclusive, mit „all you can eat“ und unlimitierten Getränken (alkoholfreie,
       versteht sich). Dafür werden die Preise noch mal kräftig um 20 Dollar
       erhöht.
       
       Die Zukunft für Hoffenheim, Hertha oder Mainz ist also ein Stadion mit
       reichlich Inclusive-Buffet und Elementen eines nostalgischen Themenparks,
       der die Gute-alte-Zeit- und Event-Sehnsucht gleichzeitig erfüllt. So kann
       man endlich einen ganzen Tag im Stadion verbringen. Und dann geht der
       Mainzer nach Hause, schaltet die Glotze an und guckt Erling Haaland.
       
       19 Jan 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Alina Schwermer
       
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