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       # taz.de -- 25 Jahre Fritz Bauer Institut: Als die Nazis noch lebten
       
       > Nach 1945 war es schwierig, antifaschistische Institutionen in der
       > Bundesrepublik zu etablieren. Besonders wenn es um jüdische Geschichte
       > ging.
       
   IMG Bild: Fritz Bauer (geb. 1903) wurde 1968 tot in der Badewanne aufgefunden
       
       Im Januar vor 25 Jahren wurde das Fritz Bauer Institut in Frankfurt
       gegründet. Katharina Rauschenberger erinnerte am letzten Donnerstag in
       einer Veranstaltung in Frankfurt daran. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin
       am Institut stellte die komplizierte, phasenweise chaotische
       Gründungsgeschichte des Instituts dar. In einer Diskussion erörterten
       unmittelbar Beteiligte wie Norbert Frei, Volkhard Knigge, Jutta Ebeling,
       Gottfried Kößler und Sybille Steinbacher die Geschichte aus ihrer
       Perspektive.
       
       Dass die „Luftnummer“, wie der Gründungsdirektor Hanno Loewy das
       Projektierungsstadium des Instituts nannte, am Boden landete, ist der
       Hartnäckigkeit zu verdanken, mit der die Idee eines „Lern- und
       Dokumentationszentrums“ verfolgt wurde: von interessierten Bürgern, von
       Ignatz Bubis, dem Vorsitzenden [1][der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt],
       von Hanno Loewy und Andrzej Bodek (den Initianten des Zentrums) sowie von
       SPD-Politikern wie Volker Hauff, Andreas von Schoeler und Hans Eichel.
       
       Loewy und Bodek hatten im 1988 neu gegründeten Jüdischen Museum eine viel
       beachtete Ausstellung zum Getto Lodz (Titel: „Unser einziger Weg ist
       Arbeit“) gestaltet. Der Frankfurter Magistrat beauftragte Loewy daraufhin
       mit einer Expertise für ein „Lern- und Dokumentationszentrum des
       Holocaust“. Ein Gutachten lag 1991 vor und erwies sich als ein „großer
       Wurf“, so Rauschenberger. Es begutachte die – mangelhafte – nationale
       Gedenkstättenlandschaft im internationalen Vergleich, ebenso den Stand von
       Forschungseinrichtungen zur Geschichte der Vernichtung des europäischen
       Judentums.
       
       Politische Entwicklungen beeinflussten das Projekt von Anfang an. Es
       verstand sich auch als eine Antwort auf die „geistig-moralische Wende“, die
       Bundeskanzler Helmut Kohl 1983 verkündet hatte und die von konservativen
       Intellektuellen (Hermann Lübbe, Ernst Nolte, Michael Stürmer und andere)
       mehr oder weniger offen als Beginn der Normalisierung der BRD, das heißt
       der Begradigung der deutschen Geschichte propagiert wurde.
       
       ## Lern- und Lehrzentrum
       
       Dagegen erhoben linke Intellektuelle ihre Stimme und bestanden auf der
       politischen Verantwortung von Bürgern, Wissenschaft und Politik für die
       Vergangenheit. In den aufregenden Konflikten Ende der 1980er Jahre gab es
       zudem eine Tendenz, die Verbrechen, die seit der TV-Serie „Holocaust“
       (1978) unter dieser Chiffre vermehrt ins Bewusstsein vieler eindrangen, mit
       dem Beharren auf „Einmaligkeit“, „Unvergleichbarkeit“ oder
       „Unvorstellbarkeit“ (Knigge) gegenüber kritischer Aufklärung zu
       immunisieren.
       
       Nach Hanno Loewy sollte das Lern- und Lehrzentrum nicht zu einem Ort von
       ritualisiertem Gedenken und nationaler Identitätspirouetten werden, sondern
       zu einem des historischen Begreifens. Mit dem Untergang der DDR geriet die
       BRD in die Verlegenheit, die intensive, wenn auch parteilich akzentuierte
       Gedenkstättenkultur der DDR zu erben und Gleichwertiges setzen zu müssen.
       
       Das Problem verschärfte sich unter dem Eindruck der rassistisch motivierten
       Brandanschläge von Mölln, Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda. Trotz der
       Offensive des völkischen Nationalismus und Rechtsradikalismus, die den
       Beitritt der DDR begleiteten, war die Bundesregierung für eine
       Mitfinanzierung des geplanten Lern- und Lehrzentrums nicht zu gewinnen.
       
       Der Frankfurter Kulturdezernentin Linda Reisch ist es zu verdanken, dass
       seit 1992 eine Expertengruppe in Planung und konzeptionelle Ausrichtung
       einbezogen werden konnte. Im August 1992 kam in dieser Gruppe die Idee auf,
       das Institut nach Fritz Bauer zu benennen. Dessen Name kannten damals nur
       wenige. Noch im „Brockhaus. Die Enzyklopädie“ von 1996 fehlt er.
       
       ## Fritz Bauer, ein streitbarer Jurist
       
       Bauer war Jurist, überlebte als deutscher Jude KZ-Inhaftierung, Exil und
       Untergrund. Nach 1945 wurde er schließlich Generalstaatsanwalt und lieferte
       sich juristische Kontroversen mit dem von ehemaligen Nazis durchsetzten
       bundesdeutschen Justizapparat. Er trug maßgeblich dazu bei, dass es dem
       israelischen Geheimdienst gelang, den Massenmörder
       [2][SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann] 1960 in Buenos Aires
       aufzuspüren und nach Entführung in Israel vor Gericht zu stellen.
       
       Das Fritz Bauer Institut sollte, so die Hoffnung, mit 10 bis 15
       Wissenschaftler*innen, Administration und einem Gesamtetat von rund
       2,25 Millionen Euro ausgestattet werden. Das war utopisch, aber mit der
       Gründung des „Fördervereins Fritz Bauer“ artikulierte die
       Bürgergesellschaft ihr Interesse am Projekt. Am Ende gab es eine Stelle für
       Hanno Loewy und die Freistellung von zwei Lehrkräften vom Unterricht,
       Jacqueline Giere und Gottfried Kößler.
       
       Erst 1994 einigten sich Land, Stadt und Förderverein auf die Finanzierung
       des Instituts. Am 15. 1. 1995 wurde die Stiftungsurkunde unterzeichnet.
       Neben Forschung, Dokumentation, pädagogischer Hilfe für Lehrer und Schüler
       ist das Institut seither auch publizistisch tätig. Neben Fritz Bauers
       Schriften wurden auch die Quellen zu den Auschwitz-Prozessen aus den Jahren
       1963 und 1965 aufbereitet.
       
       21 Jan 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Rudolf Walther
       
       ## TAGS
       
   DIR Antisemitismus
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