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       # taz.de -- Linken-Politikerin über ihren Abschied: „Man muss loslassen können“
       
       > Nach zwölf Jahren verlässt Christiane Schneider die Hamburgische
       > Bürgerschaft. Ein Gespräch über das Aufhören, Zukunftspläne – und den
       > G20-Gipfel.
       
   IMG Bild: Wird vielen in der Hamburgischen Bürgerschaft fehlen: Christiane Schneider
       
       taz: Frau Schneider, Sie verlassen nach zwölf Jahren die Bürgerschaft. Sind
       Sie froh, bestimmte Gesichter nicht mehr sehen zu müssen? 
       
       Christiane Schneider: Ja, aber das überwiegt nicht. Ich setze mich gerne
       mit politischen Gegnerinnen und Gegnern auseinander, das hat mir viel Spaß
       gemacht. Und deshalb überwiegt eher, ich kann nicht sagen Wehmut, aber der
       Respekt für meine Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Fraktionen
       jenseits der AfD. Das gilt nicht für alle, ich habe auch wirkliche Gegner,
       das beruht auch auf Gegenseitigkeit. Aber das sind wirklich Ausnahmen.
       
       Sie hatten früher einen linken Verlag, haben die „Gefangenen Info“, die
       Zeitschrift der Angehörigen von RAF-Mitgliedern, herausgebracht. Das hat es
       Ihnen beim Einzug in die Bürgerschaft 2008 nicht leicht gemacht, oder?
       
       Die ganze erste Legislaturperiode gab es heftigen Gegenwind. Die Stimmung
       war teilweise sehr aggressiv, speziell gegen mich. Es gab immer viele
       Zwischenrufe wie „Moskau“ und „Peking“, also absolut unsachliche Beiträge.
       
       Mittlerweile hat sich die Stimmung Ihnen gegenüber gewandelt. Haben die
       anderen gemerkt, dass Sie eine gute Politikerin sind? 
       
       Das war sicherlich ein Grund. Innenpolitik war immer mein Hauptfeld. In dem
       Bereich sind die Auseinandersetzungen extrem hart, da darf man sich keine
       Schwäche leisten. Ich musste mich sachlich immer gut einarbeiten und habe
       meine Reden sorgfältig vorbereitet. Ich habe immer versucht, einerseits
       sehr deutlich meine Meinung zu sagen und da auch keine Abstriche zu machen,
       und andererseits kommunikativ zu bleiben und auf Kritik einzugehen. Das hat
       dazu geführt, dass ich ab der zweiten Legislaturperiode auch von harten
       politischen Gegnerinnen und Gegnern, abgesehen von der AfD, im Großen und
       Ganzen respektvoll behandelt wurde. Und ich habe auch andere so behandelt.
       
       Als Sie nun bekannt gegeben haben, nicht mehr zur Wahl anzutreten, haben
       viele politische Gegner ihr Bedauern geäußert. Hat Sie das überrascht? 
       
       Das hat mich in dem Ausmaß überrascht. Viele haben gesagt: Auch wenn wir
       politisch oft unterschiedlicher Meinung sind, die Art, wie Sie sich
       auseinandergesetzt haben, war gut. Das hat mich wirklich sehr gefreut, weil
       es zeigt, dass man politisch radikale Meinungen äußern und die
       Auseinandersetzung mit anderen trotzdem respektvoll führen kann. Ich
       glaube, das hat unsere Fraktion in den letzten Jahren deutlich gemacht.
       
       Gerade in den Debatten, in denen es um Polizei und [1][Verfassungsschutz]
       ging, waren Sie immer eine laute Gegenstimme. Fällt es Ihnen nicht schwer,
       das jetzt zu lassen? 
       
       Das fällt mir in vielerlei Hinsicht schon schwer. Ich liebe den Streit und
       ich liebe den Kampf. Aber wie ich schon sagte, gerade im Feld der
       Innenpolitik darf man sich keine Fehler erlauben. Natürlich ist das
       belastend, auch was einem da aus der Behörde manchmal entgegenschlägt.
       
       Was meinen Sie? 
       
       Im [2][G20-Sonderausschuss] gab es ständige persönliche Angriffe gegen mich
       vom Behördenleiter, also Andy Grote (SPD). Ich konnte sagen, was ich
       wollte, er hat meist erst einmal mit einem persönlichen Angriff auf mich
       geantwortet. Da muss man irgendwie drauf reagieren, ich lasse mir nicht die
       Butter vom Brot nehmen. Aber ich hatte immer das Gefühl, in gewisser Weise
       auch der Bedrohung meiner persönlichen Integrität durch diese Behörde
       ausgesetzt zu sein.
       
       Immer, oder erst seit G20? 
       
       Unter Michael Neumann war das noch ein bisschen anders. Der war bei Weitem
       auch nicht mein Freund. Aber er konnte auch mal sagen: Es tut mir leid, ich
       habe Sie falsch behandelt und dafür will ich mich entschuldigen. Also er
       hat zumindest darüber nachgedacht. Das macht Herr Grote nicht, jedenfalls
       lässt er es sich nicht anmerken. Ich finde, auch in den härtesten
       Auseinandersetzungen muss man einen Gesprächsfaden haben. Und den habe ich
       nicht, jedenfalls nicht zu Herrn Grote, nicht zur Polizeiführung. Da wurde
       bei G20 sogar ein Gesprächsverbot erteilt. Und das in einer Situation, in
       der viele Angst hatten, dass es Tote geben könnte. Das ist ungeheuerlich.
       Das zeigt, dass es in der Behörde ein klares Feindbild gibt, und das steht
       links. Daran muss die Behörde echt arbeiten.
       
       Macht das die Oppositionsarbeit besonders anstrengend? 
       
       Oppositionsarbeit ist anstrengend. Man muss echte Alternativen entwickeln
       und kann nicht nur großspurig daherreden. Meine Erfahrung ist aber: Man
       kann auch aus der Opposition heraus viel bewirken. Nie so, wie man es
       selber gemacht hätte. Aber wenn man gut ist, gehen ein paar Wochen oder
       Monate ins Feld und dann kommt die Regierungsfraktion mit etwas Ähnlichem
       daher. Das passiert auf meinem Feld, der Innenpolitik, zwar eher selten.
       Aber beispielsweise in der Flüchtlingspolitik kann man das schon
       beobachten.
       
       Was war für Sie ein wichtiger innenpolitischer Erfolg? 
       
       Die Aufarbeitung des G20-Gipfels. [3][Im Sonderausschuss] waren wir die
       Einzigen, von denen sich die Menschen, die am Protest teilgenommen haben,
       noch vertreten sahen. Die Stadt war tief gespalten und es gab viele, die
       die Dinge anders sahen als Olaf Scholz. Ich habe versucht, ihre Erfahrungen
       aufzunehmen und ich glaube, das ist mir auch oft gelungen.
       
       Wie zum Beispiel? 
       
       Als ich etwa aufgedeckt habe, dass es diese Gehwegplatten auf den Dächern
       gar nicht gab, war das ein herber Schlag für die Erzählung der anderen
       Seite. Das war eine sehr anstrengende Auseinandersetzung, auch eine
       gefährliche. Es gab heftige Angriffe gegen mich. Andy Grote hat über mich
       und noch eine andere Person gesagt, wir hätten direkte und indirekte
       Beihilfe zur Gewalt geleistet. Das war ein Versuch, politische Gegnerinnen
       und Gegner in ihrer bürgerlichen Existenz anzugreifen. Das musste ich alles
       durchstehen, ohne einfach einzuknicken. Das war anstrengend, hat mich aber
       gestärkt.
       
       Hören Sie wegen der Belastung jetzt auf? 
       
       Ich will nicht sagen, dass ich zermürbt bin. Zwölf Jahre sind aber auch
       eine lange Zeit. Man muss loslassen und abgeben können. Ich bin auch nicht
       mehr die Jüngste. Und es gibt viele schöne andere Sachen, die ich noch
       machen möchte, so lange ich noch zehn bis zwölf Jahre bei Gesundheit und
       Verstand bin.
       
       Zum Beispiel? 
       
       Ich lese gerne philosophische und soziologische Texte. Das ist während der
       Zeit im Parlament ins Stocken geraten. Ich habe mir noch nicht genau
       überlegt, was ich mache, aber ich würde gerne ein bisschen für die
       Rosa-Luxemburg-Stiftung arbeiten. Und ich schätze das Hamburger Bündnis
       gegen rechts und würde dort mitarbeiten. Mein Schwerpunkt wird auf jeden
       Fall Antifaschismus sein, weil die Rechtsentwicklung mir große Sorge
       bereitet.
       
       Wenn man [4][dem Hamburger Verfassungsschutzchef glaubt, hat die Stadt ja
       eher ein Problem mit Linksextremismus]. 
       
       Seine Behauptung, eine ganze Szene von laut Verfassungsschutzbericht 935
       Leuten sei auf der Schwelle zum Linksterrorismus, ist so absurd. Aber ich
       befürchte, der meint das ernst. Ich glaube, es ist eine ernste Ansage, dass
       der Kampf gegen radikale Linke verschärft werden wird und Linke insgesamt
       als gefährlicher angesehen werden als Rechte. Trotz des Terrors, den es
       schon gibt und trotz der Gewissheit, dass sich viele bei den Rechten darauf
       vorbereiten und mit Waffen ausstatten.
       
       Bekommen Sie Hassnachrichten und Drohungen? 
       
       Als die AfD das zuletzt gezielt provoziert hat, habe ich zwei Morddrohungen
       bekommen, über Twitter wurden mir Vergewaltigungsvorstellungen geschickt.
       Was ich aber am schlimmsten fand: Jemand hat mir geschrieben, dass er mich
       ins Gesicht schlägt, wenn er mich auf der Straße trifft.
       
       Warum fanden Sie das am schlimmsten? 
       
       Diese Morddrohungen habe ich nicht als konkrete Gefahr wahrgenommen, sie
       waren eher unkonkret. Aber diese Mail mit dem Schlag war sehr konkret. Ich
       bin ja bekannt, man kann mir problemlos auflauern. Ich fühle mich nicht
       unmittelbar bedroht. Aber spätestens seit dem Mord an Walter Lübcke weiß
       man, dass Betroffene zu Recht Angst haben müssen.
       
       Sie waren immer auch auf Demos präsent, auch gegen rechts. Wird das so
       bleiben? 
       
       Wenn man es zusammennimmt, bin ich in meinem Leben auf Demos einmal um den
       Äquator gelaufen. Mein Einstieg in die politische Bewegung war eine
       Schülerdemo gegen Fahrpreiserhöhungen 1966. Es war mir auch als
       Parlamentarierin immer wichtig, auf der Straße Gesicht zu zeigen, weil ich
       es wichtig finde, dass es eine vitale Zivilgesellschaft gibt. So zeigt man
       auch seine Wertschätzung dafür. Ich demonstriere gerne und ich werde das
       auch weiter machen. Aber da ich Arthrose in den Knien habe, werde ich
       vielleicht keine 14 Kilometer mehr laufen können.
       
       Machen Sie sich jetzt Gedanken um Altersarmut? 
       
       Auf jeden Fall. Nur weil ich in der Bürgerschaft war, bekomme ich eine
       Rente, von der ich gut leben kann. Meine Miete beträgt nur 450 Euro, ich
       wohne seit 1986 in der Wohnung. Aber ich wohne im vierten Stock. Ich weiß
       nicht, wie lange ich mit der Arthrose da noch wohnen kann. Wenn ich eine
       Wohnung im Erdgeschoss brauche, bekomme ich für den Preis nicht mal einen
       Raum. Ich weiß, wie schwierig die Situation für viele Menschen, die alt
       werden, ist. Und es wird ja immer schlimmer. Ich bin immer wieder
       überrascht, wie das Thema marginalisiert wird. Ich verstehe die
       Gesellschaft nicht, alt wird ja jeder mal. Es muss viel passieren, damit
       nicht so viele Menschen ins Abseits gedrängt werden. Das macht mir richtig
       zu schaffen.
       
       20 Jan 2020
       
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