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       # taz.de -- Nach Spannervideos bei linkem Festival: Kein Schutz für Betroffene
       
       > Drei Jahre lang soll ein Mann heimlich auf Dixi-Klos gefilmt haben. Die
       > Polizei ermittelt. Die Betroffenen fühlen sich vom Festival im Stich
       > gelassen.
       
   IMG Bild: Die Videos aus den Dixis soll der Täter auf der Pornowebsite xHamster hochgeladen haben
       
       Über drei Jahre hat ein Mann Frauen in Dixi-Klos [1][auf dem
       linksalternativen Musikfestival „Monis Rache“] heimlich gefilmt. Der Täter
       stellte die Videos ins Netz zum Tauschen und zum Verkaufen. 7.400 Euro soll
       er damit verdient haben. Die Polizei Anklam hat mittlerweile Anzeige gegen
       unbekannt erstattet, das Verfahren liegt nun bei der Staatsanwaltschaft
       Stralsund. Die potenziell Betroffenen sind empört, wie das Festival mit dem
       Vorfall umgegangen ist.
       
       Von 2016 bis 2018 fand „Monis Rache“ statt: Zuerst mit nur ein paar hundert
       Gästen, später mit 4.200 Besucher*innen. Das linksalternative Festival,
       das von mehreren Kollektiven getragen wurde, war auf dem Flugplatz Tutow in
       Mecklenburg-Vorpommern zu Hause. Es versprach einen emanzipatorischen
       Gegenentwurf zum patriarchalischen Alltag. Doch nun scheint es, dass das
       Festival an seinem eigenen feministischen Anspruch gescheitert ist.
       
       Die Straftat aufgedeckt hatte die Journalistin Patrizia Schlosser [2][in
       einer Reportage Anfang des Jahres für das Funke-Format „Strg_F]“. Sie hatte
       sich auf der Pornowebsite xHamster angemeldet und war auf die Videos von
       „Monis Rache“ vom User „hfraenklin1“ gestoßen. Die Seite gehört zu den
       meistbesuchten Webseiten Deutschlands. Dort gibt es Tausende von heimlichen
       Aufnahmen, in denen Frauen zu erkennen sind, die urinieren, duschen, sich
       umziehen. Jedes Video ist eine schwerwiegende Verletzung der intimsten
       Privatsphäre dieser Frauen. In Deutschland sind solche Videos illegal: Laut
       Paragraf 201 a StGB stellen sie eine Verletzung des höchstpersönlichen
       Lebensbereichs dar, für die Herstellung oder Übertragung drohen bis zu zwei
       Jahre Haft.
       
       Hinter „hfraenklin1“ versteckt sich ein Mann aus dem Umfeld des Festivals,
       seine konkrete Funktion konnte die taz nicht bestätigen.
       
       ## Erste Konsequenzen für den Täter
       
       Schlosser fuhr nach ihrer ersten Recherche zum Festival und sucht nach
       versteckten Kameras, wird aber nicht fündig. Doch der Täter war da: Nach
       dem Festival werden ihr neue Videos zugeschickt. Sie kontaktiert das
       Festival und trifft sich im Oktober 2019 mit einer Gruppe aus dem
       Organisationsteam. Erst mit drei Menschen aus Berlin, sie informieren
       danach drei weitere Crew-Mitglieder aus Leipzig, die die eingeweihte Gruppe
       bilden. Die taz konnte nicht verifizieren, ob sechs oder sieben Menschen zu
       dieser Gruppe gehören. In Betroffenenkreisen ist von sieben die Rede. Die
       Gruppe hat einen konkreten Verdacht, wer der Täter sein könnte.
       
       Laut internen Dokumenten des Festivals, die der taz vorliegen,
       konfrontierte diese Gruppe den Täter nach ihrem Treffen mit Schlosser. Sie
       legten erste Konsequenzen für den Täter fest, darunter ein Interview mit
       Schlosser, eine Therapie und einen finanziellen Ausgleich in Form einer
       Spende an eine Initiative für Betroffene von sexualisierter Gewalt. Doch
       sie informierten weder den Rest des Festivalteams noch die
       Festivalgänger*innen.
       
       Ende November entscheidet sich die Gruppe zusammen für ein „Transformative
       Justice“-Konzept – wieder ohne die Betroffenen zu informieren. Eine Anzeige
       erstatten sie nicht. Zum Konzept hat die Gruppe ein Papier vorbereitet, in
       dem steht: „Die gewaltausübende Person soll innerhalb ihres und durch ihr
       Umfeld zur Verantwortungsübernahme bewegt werden.“ Kurzum: Einsicht statt
       Strafe. So soll der Eingriff von „staatlichen Repressionsorganen“, wie sie
       die Polizei und Justizvollzugsanstalten bezeichnen, vermieden werden. Die
       Gruppe entscheidet, den Namen des Täters geheim zu halten.
       
       Erst am 4. Januar auf einer Vollversammlung des Festivals, kurz vor der
       Veröffentlichung der „Strg_F“-Reportage, erfährt der Rest des Festivalteams
       von dem Vorfall. Am 7. Januar erscheint die Reportage und ein kurzes
       Statement von „Monis Rache“: „Wir sind dabei, einen Umgang mit allem zu
       erarbeiten, und müssen unser weiteres Vorgehen besprechen“, heißt es. Ein
       ausführlicheres Statement werde folgen.
       
       ## Wenig Transparenz, keine Rücksprache
       
       Auf Facebook hagelt es Kritik: Das Statement sei wenig transparent und
       ließe viele Fragen offen. Wenige Tage später folgt ein zweites, ebenso
       kurzes Statement: „Die Vorkommnisse bearbeiten wir intensiv und hoffen ab
       jetzt einen Umgang zu finden, der sich an den Bedürfnissen der Betroffenen
       orientiert“, steht dort. Das Festivalteam sei aber momentan wenig
       handlungsfähig, hieß es weiter. Auf eine taz-Anfrage reagierte das Festival
       nicht.
       
       Mittlerweile ergreifen mutmaßlich Betroffene selbst die Initiative und
       gründen regionale und überregionale Gruppen auf dem Nachrichtendienst
       Telegram. Es ist eine der wenigen Informationsquellen für Betroffene
       bislang. Dort werden Rechercheergebnisse aus Rechtsberatungen und
       Informationen über den Vorfall geteilt, aber auch unbestätigte Gerüchte
       verbreitet. Lokale Treffen werden in mehreren Städten geplant. Am 13.
       Januar kommen gut 100 Betroffene zu einem Treffen in Leipzig, wie eine
       Anwesende der taz berichtete.
       
       Viele mutmaßlich Betroffene zeigen sich empört über die bisherige Lösung
       des Festivals. Statt einer transformativen Justiz sehen sie schlicht
       Täterschutz. Kathrin ist eine davon: „Auf welche Weise Täterarbeit
       funktionieren soll, ist kontrovers. Dass das nicht ohne die Betroffenen
       gemacht wird, ist aber unstrittig. Wie kommen diese Menschen dazu, das im
       Geheimen lösen zu wollen?“ Zum angemessenen Umgang mit dem Vorfall von
       staatlichen Organen hat Kathrin allerdings kein Vertrauen. „Viel zu oft
       werden Sexualstraftaten bagatellisiert und Betroffene werden in einem
       Verfahren immer wieder in erniedrigende Situationen gebracht. Dennoch kann
       eine Anzeige Sinn machen, diese Entscheidung sollte bei den Betroffenen
       liegen.“
       
       Nura, die auch zu den Betroffenen zählen könnte und in echt anders heißt,
       sieht das ähnlich: „Ich wünsche mir, dass das nicht wieder passiert. Das
       wird aber nicht durch eine zweijährige Strafe erreicht, nicht durch
       retraumatisierende und dann wieder eingestellt werdende Prozesse. So eine
       Veränderung erfolgt nicht durch Behörden, sondern durch eine Gesellschaft,
       die solche Videos ablehnt.“ Trotzdem kritisiert sie den bisherigen Vorgang
       scharf: „Die basalste Säule eines Transformative-Justice-Ansatzes wurde
       außer Acht gelassen: nämlich Betroffene kollektiv zu supporten und ihnen
       Sicherheit und Selbstbestimmung zu gewährleisten.“
       
       Da die Videos nur in Täterkreisen getauscht oder verkauft wurden, können
       potenzielle Betroffene, die 2016 und 2018 auf dem Festival waren, nicht
       nachprüfen, ob sie gefilmt wurden. Ob der Täter auch 2017 gefilmt hat, ist
       bislang unbekannt. Einer festivalinternen Stellungnahme des Täters zufolge
       hat er die hochgeladenen Videos gelöscht, seine Festplatte zerstört und auf
       anderen Plattformen nach den Videos gesucht und sie dort mithilfe eines
       Anwalts löschen lassen. Diese Angaben konnten von der taz nicht verifiziert
       werden. Allerdings wurden die Videos verkauft und sind daher noch im
       Umlauf. Das Internet vergisst bekanntlich nie.
       
       ## Videos bei xHamster
       
       Bis heute sind etliche heimliche Aufnahmen von Frauen in intimen Situation
       [3][noch auf xHamster] zu finden – darunter auch zahlreiche Videos von
       Festivals. Laut deren FAQs kann man ein Video löschen lassen, wenn man
       selbst vorkommt. Die Begründung: Urheberrechtsverletzung. xHamster sagte
       gegenüber der taz, die Webseite komme allen lokalen und internationalen
       Gesetzen nach. Um illegale Inhalte zu filtern, gebe es eine Überprüfung
       mithilfe künstlicher Intelligenz sowie eines Moderatoren-Teams, bevor
       Inhalte live geschaltet werden. Doch solche Videos sind leicht zu finden.
       Die taz schickte xHamster mehrere Links als Beispiel. Entfernen wollte die
       Seite die Videos nicht. Die betroffenen Personen können sich per E-Mail mit
       einer Beschwerde und Nachweisen melden, hieß es. Doch im Fall von „Monis
       Rache“ wissen die Frauen gar nicht, ob sie betroffen sind.
       
       xHamster konnte bestätigten, dass „hfraenklin1“ sein Profil gelöscht hat.
       Auf seinem Konto seien „keine aktiven Videos“. Andere Nutzer hätten seine
       Videos bislang auch nicht hochgeladen. Allerdings besteht auf xHamster die
       Möglichkeit, gelöschte Kontos wieder zu aktivieren. hfraenklin1 könnte also
       jederzeit mit seinem alten Konto und Netzwerk an Kontakten weiter agieren.
       
       Der Name des Täters kursiert mittlerweile in linken Kreisen. Betroffene
       können also Anzeige gegen ihn erstatten. Welche Rolle das Orgateam bei den
       polizeilichen Ermittlungen spielen wird, also auch, ob sie sich strafbar
       gemacht haben, wird sich zeigen.
       
       Doch klar ist: Es bleibt problematisch, dass das Festival bislang wenig
       Transparenz geschaffen hat. Statt einen feministischen Schutzraum
       anzubieten, konnte das Festival seinem emanzipatorischen Anspruch nicht
       gerecht werden. Nun hat das Festival eine E-Mail-Adresse eingerichtet, wo
       Betroffene Forderungen, Fragen und Bedürfnisse kommunizieren können. Ein
       Anfang. Die mutmaßlichen Betroffenen fordern mehr: „Ich erwarte eine
       Aufklärung“, sagt Kathrin. „Ich hoffe, dass das zum Anlass genommen wird,
       insbesondere in linken Strukturen über Handlungskompetenz und Prävention
       zu reden.“
       
       21 Jan 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://monisrache.wtf/
   DIR [2] https://www.youtube.com/watch?v=nGldiXxljhQ
   DIR [3] /Xhamster-gegen-North-Carolina/!5295627
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nicholas Potter
       
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