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       # taz.de -- Rechts sein heißt nicht Recht haben: Niemand muss mit Nazis reden
       
       > Politischer Disput ist keine Beleidigung: Staatsanwaltschaft Verden setzt
       > sich vergebens für AfD-Rechtsaußen Frank Magnitz ein.
       
   IMG Bild: Wer Ho Chi Minh-Shirts trägt, muss nicht mit Nazis reden
       
       Als Amtsrichter Matthias Wawrzinek das Urteil verkündet, einen Freispruch
       für den Bremer Mario M., ist ihm wichtig, zumindest eine Deutung seines
       Spruchs auszuschließen. „Ich habe nicht gesagt, dass man Herrn Magnitz als
       Nazi bezeichnen darf“, betont er. „Das kann man diesem Urteil nicht
       entnehmen.“
       
       Ergänzen könnte man: Das Gegenteil, also dass es verboten wäre, den Bremer
       AfD-Rechtsaußen als Nazi zu bezeichnen, geht aber auch nicht daraus hervor:
       Die Frage ist am Dienstag im Prozess wegen Beleidigung nur kurz berührt
       worden, aber dann völlig offen geblieben. Denn „das ist hier kein
       politischer Prozess gewesen“, so Wawrzinek. Darauf legt er Wert.
       
       Tatsächlich erweist sich diese Frage am Dienstagmorgen [1][im Syker
       Amtsgericht] als nicht entscheidungserheblich, im Gegensatz zu einem
       Hô-Chí-Minh-T-Shirt. Im etwas großsprecherisch als „Saal 117“ bezeichneten
       Verhandlungsraum – also es ist der, wenn man nach dem Eingang links geht,
       der andere ist für Zivilsachen – knubbeln sich die Unterstützer*innen
       von Mario M., Wachleute und Personenschützer des BKA in den
       Zuschauerreihen. Vorsorglich sind vier Plätze für Presse reserviert. „So
       voll ist es sonst nicht“, sagt der Kollege von der [2][Lokalzeitung].
       
       Ziemlich flott ergibt die Beweisaufnahme, dass der 21-jährige Bremer,
       anders als er bezichtigt wird, niemanden einen Nazi geheißen hat, den er
       damit hätte [3][beleidigen] können. Auch nicht bei jenem Disput in den ihn
       die Magnitzens im Juni 2019 auf dem Parkplatz von Ikea verwickelt hatten
       und um den es vor Gericht geht: „Ich halte den inflationären Gebrauch des
       Wortes ‚Nazi‘ für falsch“, stellt der 21-jährige Angeklagte in einer
       Erklärung zu Prozessbeginn sogar klar. Und, dass er es als „Frechheit“
       empfinde, sich aufgrund der falschen Verdächtigungen hier vor Gericht
       verantworten zu müssen.
       
       ## Dürftige Beweislage
       
       Zwar gehöre Magnitz einer Partei an, die er als „ein Sammelbecken
       Rechtsradikaler“ strikt ablehne. „Ich sehe in ihm aber keinen aktiven
       Vertreter des [4][Nationalsozialismus]“. Deswegen würde er den
       Doppelmandatsträger Frank Magnitz, der für die AfD über die Bremer
       Landesliste in den Bundestag und als Spitzenkandidat in die Bürgerschaft
       eingezogen ist, „nicht als Nazi bezeichnen“, geschweige denn dessen Frau E.
       Die ist, Fun-fact am Rande, laut Aussage ihres Mannes ebenfalls
       Parteimitglied, wird aber im Zeugenstand vorgeben, nicht einmal zu wissen,
       dass der [5][Bremer Landesverband] ihren Gemahl als Parteichef im
       September [6][mit großem Tamtam] [7][abgesetzt] hat.
       
       So etwas wie politische Brisanz erhält das Verfahren durch die überraschend
       dürftige Beweislage, [8][aufgrund der die Staatsanwaltschaft Verden] sich
       für Magnitz und seine Frau in die Bresche geworfen und schließlich sogar
       Anklage erhoben hatte. Dabei war die Aggression beim Frühsommervorfall
       offenbar vor allem von E. Magnitz ausgegangen. Das bestätigt sie selbst.
       
       Nichttatort: Der [9][Ikea]-Möbelmarkt-Parkplatz und der
       Geschäftseingangsbereich. Dorthin verfolgt sie ihrer eigenen Darstellung
       zufolge Mario M., von dem sie sich fotografiert wähnt, während sie und ihr
       politisch tätiger Gemahl Einkäufe ins Auto laden. Sie habe – irrtümlich –
       geglaubt, derartige Bilder zu schießen, sei verboten. Sie sei deshalb auf
       ihn zugelaufen, habe ihn angesprochen, zur Herausgabe des Handys versucht
       zu drängen, ihn zur Löschung der Bilder aufgefordert, ihm gedroht, ihn
       selbst zu knipsen, geschrien und ihn dann auch körperlich angegangen: „Ich
       habe ihn am Arm festgehalten.“ Später hat sie ihm einen Stoß verletzt. Ob
       es überhaupt je Fotos gegeben hat: unklar.
       
       Wahr ist aber, dass selbst in den polizeilichen Protokollen keine
       konkretere Beleidigung geschildert wird: Nur, dass das Wort Nazi gefallen
       wäre, wird dort festgehalten. Mehr weiß auch E. Magnitz nicht zu berichten.
       Erst als Amtsrichter Wawrzinek leidlich suggestiv fragt, ob Mario M.
       vielleicht gesagt habe: „Du Nazi?“, dämmert ihr eine alternative
       Erinnerung: „Ich kann nicht…“, hebt sie erst an, vollendet dann aber brüsk:
       „du Nazi hat er gesagt“. Verteidiger Jan Sürig würde aber liebend gerne
       wissen, wie der abgebrochene erste Satz weitergegangen wäre: Erinnern?
       Beschwören? Sagen?
       
       Als Frank Magnitz dann in den Zeugenstand gerufen wird, ergibt sich ein
       anderes Bild. Er ist während der Verfolgungsjagd noch mit den Ikea-Kartons
       und dem Auto zugange. Als er hinzukommt, sieht er, dass Mario M. ein
       Hô-Chí-Minh-T-Shirt trägt. „Ich habe ihn darauf angesprochen“, sagt
       Magnitz. „Sie haben ihn also in eine politische Kommunikation verwickelt?“,
       fragt der Vorsitzende nach. „Ich habe es eine ganze Weile versucht“, aber
       der junge Mann habe sich ihm verweigert, und schließlich gesagt: „Mit Nazis
       rede ich nicht.“
       
       „Das ist keine strafbare Handlung“, sieht schließlich auch der
       Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft ein, [10][nicht in dem Kontext],
       und beantragt Freispruch. Warum seine ermittelnde Kollegin den Zusammenhang
       übersehen hatte, bleibt ungeklärt. Und auch als Verteidiger Jan Sürig
       Magnitz fragt, ob er denn selber glaube, es wäre beleidigend, ihn als Nazi
       zu bezeichnen, gibt der Angesprochene keine sachdienliche Antwort.
       
       21 Jan 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://amtsgericht-syke.niedersachsen.de/startseite/
   DIR [2] https://www.kreiszeitung.de/
   DIR [3] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__185.html
   DIR [4] http://www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/
   DIR [5] /Machtkampf-in-Bremen/!5619174/
   DIR [6] /AfD-Fraktion-Bremen-spaltet-sich/!5619686/
   DIR [7] https://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-stadt_artikel,-vorstand-verbietet-magnitz-alle-parteiaemter-_arid,1867521.html
   DIR [8] https://www.staatsanwaltschaft-verden.niedersachsen.de/startseite/
   DIR [9] https://de.wikipedia.org/wiki/IKEA
   DIR [10] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2016/bvg16-048.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
       
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