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       # taz.de -- Rechte Parteien in Europa: Und sie schwächeln doch
       
       > Rechtspopulisten in Europa verbreiten gerne, ihre Parteien seien
       > unaufhaltsam auf dem Weg zur Macht. Doch das reden sie sich nur selbst
       > ein.
       
   IMG Bild: Verlierer: Rechtspopulist Matteo Salvini am Abend der Wahl in der Emilia-Romagna
       
       Es ist noch nicht lange her, da ließ Matteo Salvini keine Zweifel in seinen
       Reden. Vor der EU-Wahl im Mai sagte der Chef der italienischen Lega: „Ab
       heute bestimmen wir die Politik der nächsten 50 Jahre.“ Die Lega werde „die
       Geschichte Europas ändern“.
       
       Diese Botschaft war charakteristisch für Europas Rechtspopulisten. Kürzlich
       verkündete Alexander Gauland, da noch AfD-Chef, schon bald werde „eine
       geschwächte CDU nur noch eine Option haben: uns!“ Auch Marine Le Pen und
       viele andere taten so, als habe ein unaufhaltbarer Sog eingesetzt, der sie
       überall an die Macht bringen würde, die „Altparteien“ könnten dabei nur
       noch zuschauen.
       
       Das glaubten nicht nur viele ihrer Anhänger, sondern angesichts einer Phase
       flächendeckender rechter Zugewinne auch ihrer GegnerInnen. In Dresden etwa,
       vor der Wahl im September, redeten manche schon vom Exil. Und auch
       KollegInnen aus Osteuropa stellen, nicht zu Unrecht, entsprechende
       Überlegungen an.
       
       Doch nicht erst seit der unerwarteten Niederlage der Lega bei den
       Regionalwahlen am vergangenen Sonntag zeigt sich: Die zur Schau getragene
       Gewissheit, der Aufwärtstrend der Populisten sei unumkehrbar, war eher
       Autosuggestion als selbsterfüllende Prophezeiung. Sie erleiden Stagnation
       und Rückschläge, genau wie andere Parteien.
       
       ## Salvini, der Fußabtreter
       
       Die Wahl in der Linken-Hochburg Emilia-Romagna am Sonntag sollte laut
       Salvini „Wendepunkt“ in der Geschichte Italiens werden – und ihm die Macht
       zurückbringen. Auch hier glaubten viele Linke: So würde es kommen. Als
       Juniorpartner wurde Salvini 2018 Innenminister und konnte schon bald vor
       Kraft nicht mehr laufen.
       
       Seine mediale Omnipräsenz ließ die Lega-Umfragewerte vorübergehend auf 39
       Prozent steigen. Seinen größeren Koalitionspartner, die
       Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), behandelte Salvini in dieser Zeit als
       Fußabtreter. So wollte er Neuwahlen erzwingen und Ministerpräsident werden.
       
       Doch in seiner Machtgier verkalkulierte er sich. Die M5S taten sich mit den
       ihnen einst verhassten Sozialdemokraten (PD) zusammen. Salvini landete in
       der Opposition. Eine mächtige Bewegung entstand aus der Zivilgesellschaft:
       die „Sardinen“.
       
       In den vergangenen zwei Monaten brachten sie Hunderttausende in ganz
       Italien auf die Straße. Ihr Ziel: den rechten Populismus zurückdrängen. Mit
       Erfolg: Stefano Bonaccini, der Kandidat der PD, gewann mit 51,4 Prozent
       deutlich vor Lucia Borgonzoni von der Lega.
       
       ## Was sie zurückdrängt
       
       Zudem ist nun eine Klage anhängig, weil Salvini als Innenminister selbst
       italienischen Militärschiffen die Einfahrt in den Hafen verbot, weil sie
       Flüchtlinge an Bord hatten. M5S und PD hoben im Senat jüngst Salvinis
       Immunität auf. Nach einer Verurteilung wäre sein passives Wahlrecht futsch
       – er dürfte für kein Amt mehr kandidieren. Es wäre der finale Sieg der
       „Sardinen“.
       
       An die Stelle des flächendeckenden Aufwärtstrends ist keineswegs ein
       entsprechender Abwärtstrend getreten. In manchen europäischen Ländern
       gewinnen Rechte heute sehr wohl weiter an Boden, etwa in Spanien oder
       Belgien, in vielen Staaten können sie ihre Position halten.
       
       Doch ihre Behauptung, immer mehr Menschen würden gleichsam automatisch ins
       rechte Lager überlaufen, ist Propaganda. Korruptionsskandale, der Verlust
       der Themenhoheit, die Leerstelle in der Klimapolitik und
       zivilgesellschaftliche Gegenmacht können sie an einigen Stellen durchaus
       zurückdrängen.
       
       Der FPÖ in Österreich wurde keineswegs das Opfer böser Mächte, wie sie
       selbst behauptet, sondern eigener Gier, Korruption, Unprofessionalität und
       unfähigen Personals. Das sind Probleme, mit denen viele der – oft schnell
       wachsenden – rechten Parteien in Europa zu kämpfen haben.
       
       ## Rechte verlieren Stimmen in Skandinavien
       
       Hätte FPÖ-Chef Strache sich anders verhalten, hätte es kein Ibiza-Video
       gegeben. 2017 bekam seine Partei bei den Nationalratswahlen über 26
       Prozent, bis vor acht Monaten stellte sie den Vizekanzler. Würde heute
       gewählt, käme sie wohl auf knapp 15 Prozent, Tendenz fallend. Ohne die
       große Bühne der Regierungsämter schwindet die Popularität, genau wie bei
       Salvini.
       
       Der Befund ist uneinheitlich. Man könne bei den europäischen
       Rechtspopulisten heute „weder von einem endlosen Aufwärtstrend noch von
       einem generellen Abschwung sprechen“, sagt der Mainzer Parteienforscher Kai
       Arzheimer. Zwar seien die Gründe für das Entstehen eines
       rechtsradikal-populistischen Potenzials überall ähnlich, etwa die
       Bildungsexpansion, der Niedergang der Industriearbeiterschaft, Migration
       oder die Globalisierung, sagt Arzheimer. „Das hat die Parteien der Mitte
       geschwächt.“
       
       Es sei „eher ungewöhnlich, dass es so lange gedauert hat, bis aus diesem
       Potenzial hier die Wählerschaft der AfD geworden ist“. Doch welche Stellung
       die Populisten künftig einnehmen werden, darauf hätten „länder- und
       parteienspezifische Faktoren starken Einfluss“.
       
       Auch im liberalen Skandinavien hatten die Rechten lange flächendeckend
       stark zugelegt. Doch bei den letzten „Folketing“-Wahlen kam die Dänische
       Volkspartei nur noch auf 8,7 Prozent, 12,4 Prozentpunkte weniger als 2015.
       Zu den Korruptionsvorwürfen kam, dass die Sozialdemokraten sich die Härte
       gegen Flüchtlinge abgeschaut hatten. Sie gewannen mit rechter
       Migrationspolitik. Auch hießen viele Dänen das Fehlen einer Klimapolitik
       nicht gut.
       
       Lettlands KPV-LV hat sich nach dem Wahlerfolg – 14 Prozent in 2018 – über
       die Frage einer Regierungsbeteiligung selbst zerlegt. Von 16 Abgeordneten
       sind jetzt noch 10 übrig. Bei den EU-Wahlen im Mai bekam sie 0,9 Prozent.
       Derzeit gibt es Bestrebungen, die Partei aufzulösen. Allerdings gibt es in
       Lettland noch zwei weitere rechte Parteien.
       
       Die Fortschrittspartei in Norwegen hatte 2017 rund 15 Prozent der Stimmen
       bekommen. Als Teil einer allseits ungeliebten Koalition halbierte sich ihre
       Zustimmungsrate. Die Koalition platzte in der vergangenen Woche, was der FP
       allerdings wieder steigende Umfragewerte bescherte.
       
       In der Schweiz erodiert die Stärke der SVP. 2016 wollte die Partei per
       Volksentscheid ein härteres Abschiebungsrecht durchsetzen – nachdem sie das
       Asylrecht schon zuvor drastisch verschärft hatte. Die SVP hatte dabei nicht
       nur die konservative Neue Zürcher Zeitung gegen sich, sondern ein breites
       zivilgesellschaftliches Bündnis, fern von den Parteien, ähnlich den
       „Sardinen“.
       
       ## SVP verliert Diskursmacht in Schweiz
       
       Fast 60 Prozent stimmten gegen die Abschiebe-Initiative. Wohl inspiriert
       von Trumps „America First“ wollte die SVP kurz darauf mit einer
       „Selbstbestimmungsinitiative – Schweizer Recht statt fremde Richter“
       festschreiben, dass die Bundesverfassung künftig im Rang über dem
       Völkerrecht steht. Dazu sagten 66 Prozent der Schweizerinnen Nein.
       
       Die lange fast totale Diskursmacht der SVP in der Schweiz bekam Risse, die
       Agenda setzten andere. Bei den als „Klima- und Frauenwahl“ gewerteten
       Parlamentswahlen im Oktober 2019 verlor sie 12 ihrer bis dahin 65 Sitze.
       
       In den Niederlanden stürzte der Islamhasser Geert Wilders mit seiner
       Freiheitspartei PVV ab. 2017 bekam er 13 Prozent der Stimmen. Bei der
       EU-Wahl 2019 trat Wilders in Italien mit Salvini, Le Pen und Meuthen auf,
       wollte eine Fraktion mit ihnen bilden. Doch zu Hause wählten ihn nur 3,53
       Prozent – die PVV scheiterte damit an der niederländischen
       Fünfprozenthürde.
       
       Wilders’ Niedergang dürfte weniger auf eine politische Konjunktur
       zurückzuführen sein als auf ihn selbst. Seine Partei besteht nur aus ihm.
       Es fehlen eine soziale Basis und frisches Blut. Das rächt sich nun
       offenbar.
       
       ## Die AfD stagniert – oder verliert
       
       Die Niederländer wollten neue Gesichter in den Talkshows. An Wilders’
       Stelle tritt nun allerdings das genauso rechte, marktliberale Forum für
       Demokratie mit Thierry Baudet, einer Art Posterboy der Neuen Rechten, der
       ein junges Publikum besser anzusprechen vermag als der geckenhafte Wilders.
       
       Auch für die AfD geht es nicht nur aufwärts. Bei den Landtagswahlen in
       Thüringen, Sachsen und Brandenburg kam sie auf Ergebnisse zwischen 23,4 und
       27,5 Prozent. Viele schockte der Blick auf die Gewinne und Verluste. Teils
       hatte die Partei ihren Stimmanteil gegenüber der letzten Landtagswahl 2014
       verdoppelt. Doch das verschleierte, dass sie nur in den ersten drei Jahren
       dieser Zeit – der Phase der hohen Flüchtlingsankünfte – stark zugelegt
       hatte. Seitdem stagniert sie – oder verliert.
       
       Aufschlussreich ist dafür ein Blick auf die absoluten Zweitstimmen. Denn im
       Vergleich zur Bundestagswahl 2017 machten 2019 etwa in Sachsen rund 75.200
       Menschen weniger ihr Kreuz bei der AfD. Das war ein Minus von 12
       Prozentpunkten gegenüber 2017. Und das, obwohl die Partei im September in
       Sachsen auf die Machtübernahme gehofft und alles Erdenkliche für den
       Wahlkampf mobilisiert hatte.
       
       Im Thüringen verlor die AfD gegenüber der Bundestagswahl 2017 ebenfalls
       rund 12 Prozentpunkte, das waren hier etwa 34.700 Stimmen. In Brandenburg
       fiel der Verlust mit 3.600 Stimmen geringer aus. Doch der Befund ist
       derselbe: Der AfD sind in den letzten zwei Jahren Wähler auch wieder
       weggelaufen.
       
       Hier dürften die mögliche Beobachtung durch den Verfassungsschutz und die
       Steuer- und Spendenskandale eine Rolle spielen. Zudem leidet die AfD
       darunter, dass sie ihre Lieblingsthemen Islam und Flüchtlinge nicht mehr so
       stark in den Medien halten konnte. Gleichzeitig könnte sie mittelfristig in
       manchen Milieus durchaus auch mit ihrer Anti-Klima-Haltung punkten.
       
       Vor allem in Osteuropa ist die Lage für die liberale Demokratie heute
       zweifellos desaströs. Und auch in anderen Teilen des Kontinents werden die
       Populisten gewiss nicht wieder in der Bedeutungslosigkeit versinken. Aber
       ausgemacht ist das stetige Wachstum ihrer Machtfülle ebenfalls nicht.
       
       1 Feb 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Jakob
       
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