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       # taz.de -- Autorin Julie Otsuka über ihren Roman: Schreiben ist Detektivarbeit
       
       > Der Roman „Als der Kaiser ein Gott war“ von Julie Otsuka handelt von
       > einer Zeit, als die Japanese Americans potenziell als innere Bedrohung
       > galten.
       
   IMG Bild: Japanischstämmige AmerikanerInnen warten auf den Zug während der Evakuation durch die US-Armee 1942
       
       taz am Wochenende: Frau Otsuka, nach dem Angriff der Japaner auf Pearl
       Harbor 1941 wurden viele in den USA ansässige japanische Familien in Lager
       deportiert. Von einer solchen Familie erzählen Sie in Ihrem Roman „Als der
       Kaiser ein Gott war“. Ihre eigene Familie hat Ähnliches erlebt? 
       
       Julie Otsuka: Ja, auch die Familie meiner Mutter wurde damals deportiert.
       Es war eine wohlsituierte Familie, denn mein Großvater war
       Hauptgeschäftsführer einer japanischen Handelsgesellschaft in San
       Francisco. Meine Mutter war damals erst zehn Jahre alt und verlebte eine
       angenehme Kindheit in Berkeley. Doch das änderte sich plötzlich, als der
       Krieg ausbrach.
       
       Ihr Familie wurde ins berüchtigte Wüstenlager Topaz im US-Bundesstaat Utah
       gebracht. 
       
       Zuerst kamen sie in ein Sammellager auf der Pferderennbahn Tanforan in San
       Bruno, Kalifornien. Dort wurden sie in Baracken gesperrt. Andere wurden in
       die Pferdeställe gepfercht. Nach ein paar Monaten überführte man sie in
       einem Zug mit verhängten Fenstern nach Utah. Die Reise dauerte zwei Tage
       und zwei Nächte.
       
       „Als der Kaiser ein Gott war“ ist Julie Otsukas Debütroman. Darin erzählt
       sie von der Deportation einer namenlosen amerikanischen Familie japanischer
       Herkunft: vom Abschied von zu Hause, dem Tanforan-Sammellager, der Zugfahrt
       in die Wüste, dem Lager in Topaz und der Heimkehr nach dem Krieg. 
       
       Ihr Roman beginnt mit der Figur der namenlosen Mutter. War sie die
       Keimzelle dieses Romans? 
       
       Am Anfang stand tatsächlich ihr Bild. Als ausgebildete Malerin und
       Bildhauerin denke ich sehr visuell. Eines Tages hatte ich das Bild einer
       japanischen Frau im Kopf, die einen dieser Aushänge liest, auf denen damals
       alle Japaner aufgefordert wurden, sich für die Deportation zu sammeln. Das
       wurde der Einstieg für meinen Roman.
       
       Und dann erzählen Sie die Geschichte dieser Familie bis zu ihrer Heimkehr
       nach dem Krieg. Ihre Familie mütterlicherseits hat dasselbe durchlebt.
       Wurde zu Hause darüber gesprochen? 
       
       Kaum. Ich erinnere mich nur, dass ab und zu das Stichwort camp fiel. Doch
       meine Mutter erwähnte es nur in sehr leichtem Tonfall. Es ging dann immer
       um Sonne und Sand und dass man sich zum Essen anstellen musste. Deshalb
       dachte ich als Kind, sie würde von einem Ferienlager erzählen. Erst später
       wurde mir bewusst, dass sie von [1][amerikanischen Internierungslagern]
       sprach.
       
       Wie gingen Ihre Verwandten nach dem Krieg mit den Erfahrungen aus dieser
       Zeit um? 
       
       Meine Familie hatte alles verloren, was sie sich vor dem Krieg erarbeitet
       hatte. Ich spürte immer, dass es bei uns viel unterschwellige Trauer und
       Wut gab, über die aber nie geredet wurde. Ich glaube, dass ich deshalb auch
       Autorin geworden bin: weil so viel geschwiegen wurde. Schreiben ist eine
       Art Detektivarbeit.
       
       Hat Ihre Mutter Ihre Romane gelesen? Wie hat sie darauf reagiert? 
       
       Als ich anfing, meinen ersten Roman zu schreiben, war meine Mutter leider
       schon an Alzheimer erkrankt. Und als das Buch dann fertig war, konnte sie
       es nicht mehr lesen und verstehen. Aber mein Vater war sehr stolz auf mich.
       Ich bin ja eine richtige Spätzünderin. Viele Jahre lang habe ich versucht,
       als Malerin zu leben. Weil das nicht geklappt hat, habe ich gekellnert und
       auch als Sekretärin gearbeitet. Es hat lange gedauert, bis ich zum
       Schreiben gekommen bin.
       
       Julie Otsukas zweiter Roman „Wovon wir träumten“ wurde bereits 2012 ins
       Deutsche übersetzt. Dieser Roman löst sich von Otsukas Familiengeschichte
       und basiert vor allem auf historischen Recherchen. In einer beeindruckenden
       Wir-Perspektive kommen darin japanische „Importbräute“ zu Wort, die Anfang
       der 20. Jahrhunderts in die USA kamen, um dort ansässige Männer japanischer
       Herkunft zu heiraten. 
       
       Sie beschäftigen sich in Ihrem Werk sehr intensiv mit der Geschichte der
       Japanese Americans. Wird diese Geschichte heute in amerikanischen Schulen
       gelehrt? 
       
       Zu meiner Zeit noch nicht. Und auch als ich an meinem Debüt arbeitete, das
       2002 auf Englisch erschien, gab es noch kaum etwas dazu. Dabei schwelte das
       Thema ja in unseren Familien, und ich fand, dass ich mit meiner Geschichte
       eigentlich ziemlich spät kam. Heute ist das anders. Mittlerweile werden
       viel mehr farbige AutorInnen publiziert als früher. Deswegen kennt man
       inzwischen auch unsere Geschichten ein bisschen besser.
       
       Einer der wenigen Romane zur Geschichte der japanischstämmigen Amerikaner
       ist der Roman „No-No Boy“ von John Okada aus dem Jahr 1957. Auch in Ihrem
       Roman treten am Rande einige No-No Boys auf. 
       
       No-No Boys wurden die Japaner genannt, die im Lager einen
       Loyalitätsfragebogen bekamen und zwei Fragen darauf mit Nein beantworteten.
       Die erste Frage lautete: Würden Sie für die Armee der Vereinigten Staaten
       kämpfen? Und die zweite war: Schwören Sie Ihrer Treue zum japanischen
       Kaiser ab? Das war eine tückische Prüfung, weil die meisten Japaner dem
       Tenno gar nicht treu waren und es also nichts zum Abschwören gab.
       Andererseits waren manche aber auch nicht bereit, für ein Land zu kämpfen,
       das ihre Familien internierte. Wer zwei Mal mit Nein antwortete, kam ins
       gefürchtete Männerlager Tule Lake in Kalifornien.
       
       Viele antworteten aber auch mit Ja-Ja, um ihre Loyalität unter Beweis zu
       stellen. 
       
       33.000 Japanese Americans dienten im Zweiten Weltkrieg im amerikanischen
       Militär. Sie hatten eigene Einheiten und wurden auf schlimme Einsätze an
       der Westfront geschickt. Erst kürzlich erfuhr ich, dass auch eines der
       Außenlager von Dachau von solch einer japanischen Einheit befreit wurde.
       Diese Soldaten befreiten die jüdischen Gefangenen, während ihre eigenen
       Familien in den USA in Lagern saßen.
       
       Das muss das Lager „Kaufering IV Hurlach“ bei München gewesen sein. 
       
       Es heißt, dass die Häftlinge dort zunächst dachten, die Japaner hätten den
       Krieg gewonnen. Die Soldaten mussten erst erklären, dass sie Amerikaner
       waren.
       
       Der Krieg im Pazifik war nach den beiden Atombombenabwürfen auf Hiroshima
       und Nagasaki beendet. Japan kapitulierte, und der Tenno gab offiziell seine
       Göttlichkeit auf. Nach Gründung der Volksrepublik China 1949, dem Ausbruch
       des Korea-Kriegs 1950, dem Kalten Krieg und der Auseinandersetzung mit dem
       Kommunismus stieg Japan schnell zum wichtigen Verbündeten der USA im
       Pazifik auf. 
       
       Das 20. Jahrhundert war für die japanischstämmigen US-Bürger ein Wechselbad
       der Gefühle. Wie ist es heute? 
       
       Wir sind in erster Linie alle Amerikaner. Aber in den Vereinigten Staaten
       kann die Stimmung sehr schnell umschlagen. Eine gute ethnische Gruppe kann
       sehr plötzlich als schlechte wahrgenommen werden. Oder umgekehrt. So erging
       es den muslimischen Amerikanern nach 9/11. Über Nacht wurden sie für viele
       zum Feind. Die US-Gesellschaft gibt uns da leider keine Garantie.
       
       Sie arbeiten aktuell an Ihrem dritten Roman. Wird es wieder ein
       historischer Roman, oder führen Sie dieses Mal mehr in die Gegenwart? 
       
       Ich werde jetzt eine Geschichte von heute erzählen. Es geht um Alzheimer
       und ums Schwimmen – das kann ich vielleicht schon verraten. Die Hauptfigur
       ist aber erneut eine Frau, die während des Zweiten Weltkriegs in den Lagern
       interniert war. Man wird meine ersten drei Romane am Ende als Trilogie
       lesen können.
       
       1 Feb 2020
       
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