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       # taz.de -- Indigene in Schweden: Epochaler Sieg für Samen
       
       > Schwedens oberster Gerichtshof gibt Indigenen Rechte zurück. Das könnte
       > weitreichende Auswirkungen auf Landnutzung haben.
       
   IMG Bild: Das Ende eines langen Streits – mit Erfolg für die Gemeinde Girjas Sameby
       
       Stockholm taz | „Wow!“, war der erste Kommentar von Matti Blind Berg: „Es
       ist fantastisch, dass wir nun auch ganz oben recht bekommen haben.“ Am
       Donnerstag vergangener Woche verkündete Schwedens höchster Gerichtshof,
       Högsta domstolen, ein Urteil, dass in den meisten Kommentaren mit Worten
       wie „epochal“ bedacht wurde. Formal entschieden wurde nur die Frage, wer
       das Recht zur Ausstellung von Jagd- und Fischfanglizenzen hat. Doch die
       Konsequenzen könnten weitreichend für die künftige Landnutzung in ganz
       Nordschweden sein.
       
       Es geht um die Rechte der schwedischen Samen. Girjas Sameby war die
       Klägerin, die nach zehnjähriger Prozessdauer durch drei Instanzen nun
       endgültig recht gegenüber dem schwedischen Staat bekommen hat. „Sameby“
       heißt „samische Gemeinde“ und ist in Schweden das Gebiet, in dem eine
       örtliche Gemeinschaft von Samen der Rentierzucht nachgeht.
       
       Girjas Sameby, deren Vorsitzender Matti Blind Berg ist, umfasst einen 200
       Kilometer langen Landstreifen auf dem Gebiet der Gemeinde Gällivare im
       nordwestlichsten Teil Schwedens. [1][Ihrer geografischen Abgrenzung liegt
       wie bei den 50 weiteren „Sameby“ Nordschwedens] der Jahreszyklus der
       natürlichen Wanderung der Rentiere zugrunde.
       
       Hintergrund des Rechtsstreits ist die seit dem 16. Jahrhundert
       durchgeführte Kolonialisierung des Siedlungsgebiets der samischen Indigenen
       durch das schwedische Königreich. Damals begann diese fast menschenleere
       Region wegen ihrer Naturschätze für die Krone plötzlich interessant zu
       werden.
       
       ## Die „Lappen“ galten Stockholm als „niedrigstehende Rasse“
       
       Zudem hatte seit Ende des 19. Jahrhunderts und bis in die 1940er Jahre die
       Rassenbiologie zunehmend Einfluss auf die in Stockholm geführte
       Samenpolitik genommen. Die „Lappen“ galten als „niedrigstehende Rasse“, die
       nicht in der Lage sei, ihr eigenes Bestes zu erkennen. Sie müsse deshalb
       durch Verbote und Aberkennen von Rechten bevormundet und „geschützt“
       werden.
       
       Schweden erkannte zwar 1977 den Samen gesetzlich den Status als
       Urbevölkerung zu und unterschrieb internationale Konventionen, die
       Indigenen Rechte wie das auf Landnutzung garantieren. Sie hielt sich aber
       in Bezug auf die einheimischen Samen nicht daran. Im Gegenteil: 1993 etwa
       nahm der Reichstag in Stockholm den Sameby über eine „Jagdreform“ das
       bisherige Recht auf Regulierung der Kleinwildjagd – was letztlich der
       Auftakt zum jetzt entschiedenen Rechtsstreit war.
       
       Der Sameby dieses Recht zu nehmen sei illegal gewesen, [2][entschied jetzt
       der Gerichtshof] und begründet das mit einem den schwedischen Gesetzen
       übergeordnetem Gewohnheitsrecht der Ursprungsbevölkerung, das „von alters
       her“ bestehe. Es sei nicht nur ein Mitspracherecht, sondern ein
       Alleinrecht. Gleichzeitig soll aber an der Souveränität des schwedischen
       Staats nicht gerüttelt werden.
       
       Was bedeutet das? Juristisch ist das Urteil des Högsta domstolen zunächst
       einmal ein Prejudikat, an das Gerichte ähnlich wie an ein Gesetz gebunden
       sind. Deshalb könnten vermutlich alle Sameby die Girjas eingeräumten Rechte
       einklagen.
       
       ## Folgen für Bodenschätze, Windkraft und Tourismus
       
       Aber die Folgen könnten wesentlich weiter reichen. Es wird bereits darüber
       diskutiert, was das Urteil etwa für die Erschließung von Bodenschätzen, den
       Ausbau der Windkraft oder den Tourismus auf dem Gebiet der Sameby heißen
       könnte. Die zuständige Ministerin Jennie Nilsson will das Urteil erst
       einmal „gründlich analysieren“. „Erst einmal analysieren“, war auch die
       Reaktion von Matti Blind Berg, „und dann müssen wir es auf vernünftige
       Weise handhaben.“
       
       Man ist sich sehr wohl im Klaren darüber, dass Sonderrechte ein
       gefährlicher Keim für Konflikte werden könnten. Durchaus auch innerhalb der
       Samenbevölkerung, von der nur eine Minderheit Mitglied in einer Sameby ist.
       Nur für deren Mitglieder gilt der Spruch des Gerichts.
       
       Vor allem aber in Bezug auf die nichtsamischen Lokalbevölkerung beginnt es
       bereits zu brodeln. Dass nun nicht mehr eine staatliche Behörde, sondern
       eine Sameby zuständig sein soll, will man eine Jagd- oder Fischfanglizenz
       haben, ließ in sozialen Medien sofort den Hass hochkochen.
       
       Dabei halten die Sameby eigentlich nur den Kopf für das Versagen der
       Politik hin. Die Vorsitzende des Reichsverbands der schwedischen Samen, Åsa
       Larsson, hofft, dass die schwedische Regierung endlich die Rechte der
       Samen gesetzlich regelt. Das erwartet auch Mari Heidenborg, die Vertreterin
       des schwedischen Staats im Verfahren: Jetzt habe man jedenfalls Klarheit
       über die Rechtslage.
       
       26 Jan 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.samer.se/4329
   DIR [2] https://www.domstol.se/globalassets/filer/domstol/hogstadomstolen/avgoranden/2019/t-853-18.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reinhard Wolff
       
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