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       # taz.de -- Kampf gegen die Klimakrise: Nicht ob, sondern wie
       
       > Deutschland ist in der Klimakrise wenig zukunftsbereit. Die
       > Herausforderungen sind groß, die Gestaltungskraft auch.
       
   IMG Bild: Deutschland verschläft seine Zukunft, dabei sollte die wirtschafliche Lage alarmieren
       
       Deutschland musste in den vergangenen Jahrzehnten kaum große Schritte
       wagen, um die Bedingungen für seinen Wohlstand zu sichern. Vom
       Wirtschaftswunder über die Wiedervereinigung bis hin zur Bewältigung der
       Eurokrise: man hat es geschafft, vielen Bürgern ein gutes und sicheres
       Leben zu ermöglichen. Diese insgesamt gute Bilanz wurde entscheidend durch
       günstige Umstände wie die von den USA geprägte liberale internationale
       Ordnung ermöglicht.
       
       Doch zu Beginn der 2020er Jahre hat sich die Situation grundsätzlich
       geändert: Nicht nur die Digitalisierung erfordert tief greifende Reformen
       traditionell starker Wirtschaftszweige, nationalistische Regierungen
       untergraben den Multilateralismus und den freien Welthandel, von dem der
       Exportweltmeister Deutschland immer noch stark abhängt.
       
       Zudem wirken die immer drastischeren Auswirkungen der Klimakrise in nahezu
       alle Politikfelder und Lebensbereiche hinein. In einer sich so radikal
       verändernden Welt ist zu langsames Handeln oder gar Nichthandeln eine
       Garantie dafür, von anderen überholt zu werden und die Kontrolle über die
       Geschehnisse zu verlieren.
       
       Ingenieure und Forscher zeigen täglich, wie etwa die Digitalisierung die
       reale Welt zunehmend prägen wird. Doch die deutsche Reaktion darauf ist
       bisher schwach. Insbesondere mittelständische Unternehmen hängen bei der
       Nutzung digitaler Technologien hinterher, Deutschland bringt zu wenige
       innovative Start-ups hervor und droht den Umstieg auf die
       [1][Elektromobilität] zu verschlafen. Die Ankündigung der ersten
       [2][Tesla-Fabrik in der Nähe von Berlin] ist ein weiteres Alarmzeichen für
       die deutschen Autokonzerne.
       
       ## Aktiver für Interessen und Werte einstehen
       
       Ebenso rasant sind die Veränderungen auf dem internationalen Parkett.
       Traditionelle Unterstützer des Multilateralismus wie die Vereinigten
       Staaten ziehen sich zunehmend in nationale Trutzburgen zurück, das
       geopolitische Klima wird immer rauer. Das schadet der deutschen
       Exportwirtschaft besonders. In Zukunft wird Deutschland daher international
       viel aktiver für die eigenen Interessen und Werte einstehen müssen.
       
       Auch die volkswirtschaftliche Lage sollte alarmieren. Zwar wurde eine
       Rezession verhindert, im Jahr 2019 gingen jedoch auch Zehntausende Jobs in
       Zukunftsbranchen wie der Windenergie verloren.
       
       Dabei hängt die Klimakrise mit all diesen Veränderungen eng zusammen, wird
       aber noch zu selten mit ihnen zusammen gedacht. Ihre Folgen sind aber schon
       heute in Deutschland real: Im Jahr 2018 entstanden durch die extreme
       Trockenheit allein in der Landwirtschaft Schäden in Höhe von 700 Millionen
       Euro.
       
       In Teilen Deutschlands kam die Binnenschifffahrt zum Erliegen, Kühlwasser
       für Industriestandorte wurde knapp, und der Skitourismus in den Alpen steht
       vor dem Zusammenbruch. Die Klimakrise hat auch außen- und
       sicherheitspolitische Konsequenzen: Sie wird zunehmend Ursache von
       Migration und Konflikten.
       
       ## Wie sichern wir Wirtschaftsstandort und Zusammenhalt?
       
       Im Klimaschutz ist Deutschland schon lange kein Vorreiter mehr. Symptome
       des Stagnierens der deutschen Klimapolitik gibt es viele: den stockenden
       Ausbau der erneuerbaren Energien, das Verschleppen des ohnehin langsamen
       Kohleausstiegs und das Fehlen von Plänen für eine wettbewerbsfähige grüne
       Industrie.
       
       Dabei zeigen Studien diverser Institutionen, vom Bundesverband der
       Deutschen Industrie (BDI) bis zur Organisation für wirtschaftliche
       Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), dass [3][eine ambitionierte
       Klimapolitik] Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum sichern kann. Industrie und
       Mittelstand würden etwa von einer Innovationsoffensive für grüne
       Technologien erheblich profitieren.
       
       Die Herausforderung des Klimaschutzes ist also nicht das Ob, sondern das
       Wie. Wie sichern wir den Wirtschaftsstandort und den sozialen Zusammenhalt
       im Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft? Was muss politisch
       passieren, damit sich Deutschland einen Teil des Kuchens bei der
       Elektromobilität, dem Ergrünen der Industrie und dem Umstieg auf 100
       Prozent erneuerbare Energien sichern und zugleich einen gerechten
       Strukturwandel für die Betroffenen gewährleisten kann?
       
       Die gute Nachricht ist: Deutschland hat noch Handlungsspielraum. Zur
       Sicherung des Wohlstands braucht es aber entschlossenes Handeln über alle
       Politikfelder hinweg. Dabei ist es besonders wichtig, die Gestaltung der
       anstehenden Transformation, insbesondere die nächste Phase der
       Digitalisierung und den Übergang zur Klimaneutralität, zusammen zu denken.
       
       ## Der Querschnittsnatur gerecht werden
       
       Dafür braucht es neue politische Strukturen: Strategisch muss die
       Verantwortung für Klimaschutz und Energiepolitik beim Kanzleramt liegen,
       unterstützt von einem Klimaministerium mit starken Kompetenzen für die
       Umsetzung. Darüber hinaus sollten Experten aller Ministerien gemeinsame
       Lösungen erarbeiten, die der Querschnittsnatur des Klimaschutzes gerecht
       werden.
       
       Dazu gehören auch eine Strategie, die Finanzmarktakteure mit an Bord holt,
       eine Investitionsstrategie für den Aufbau einer grünen Industrie 4.0 und
       sozialpolitische Maßnahmen für einen gerechten Strukturwandel.
       
       Nicht zuletzt muss Deutschland international viel mehr Verantwortung
       übernehmen und den Klimaschutz als zentralen Teil deutscher Außenpolitik
       verankern. Die EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2020
       bietet dafür eine große Chance. Auch um den European Green Deal
       voranzutreiben und international mehr klimapolitischen Ehrgeiz zu
       entfachen, etwa bei dem im kommenden Herbst anstehenden EU-China-Gipfel in
       Leipzig.
       
       Die Herausforderungen sind immens, die Gestaltungskraft liberaler
       Demokratien ist es, historisch betrachtet, aber auch. Denn klar ist: Wer
       will, dass alles zumindest so gut bleibt, wie es ist, muss jetzt vieles
       verändern.
       
       4 Feb 2020
       
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