# taz.de -- Historiker über die OB-Wahl: „Leipzig ist ein Sonderfall“
> Unerwarteter Wahlausgang der Wahl in Leipzig: Historiker Roman Grabolle
> über die Ursachen und die Aussichten für den zweiten Wahlgang.
IMG Bild: Sebastian Gemkow (CDU) am Wahlabend in Leipzig.
taz: Herr Grabolle, der [1][CDU-Kandidat Sebastian Gemkow] hat am Sonntag
überraschend den [2][ersten Wahlgang der Oberbürgermeisterwahl in Leipzig
gewonnen]. Fällt die Sozialdemokratie in der traditionell roten Stadt?
Roman Grabolle: Das kann man so nicht sagen. Die Wahl war eindeutig eine
Personenwahl und hat nicht unmittelbar mit parteipolitischen Positionen zu
tun. Es geht hier wahrscheinlich eher um die Frage linkes Lager versus
konservativ-rechtes Lager und nicht dezidiert um SPD versus CDU.
Das linke Lager ist in Leipzig schon immer größer gewesen, auch im Stadtrat
bilden SPD, Grüne und Linke die Mehrheit. Haben sich die politischen
Kräfteverhältnisse verändert?
Das Ergebnis des ersten Wahlgangs zeigt das nicht. Wenn man in diesem
Lagerschema denkt, sieht man: Addiert man die Stimmen der Kandidat:innen
von SPD, Grünen und Linken, dann kommt man auf 55,3 Prozent – mehr als bei
allen Wahlen der letzten Zeit.
Warum ist diese Wahl auch überregional so interessant?
Aus zwei Gründen: Zum einen ist Leipzig die größte Stadt in Ostdeutschland,
wenn man Berlin mal außen vor lässt. Gleichzeitig ist Leipzig ein
Sonderfall in Sachsen. Die politischen Verhältnisse sind anders als in den
ländlichen Regionen Ostdeutschlands mit einer Dominanz von CDU und AfD. Die
Großstädte fallen da allgemein raus – Leipzig aber ganz besonders.
Worin liegt die Besonderheit in Leipzig?
Es gibt die erwähnte rot-rot-grüne Mehrheit im Stadtrat, einen linken
Bundestagsabgeordneten, der ein Direktmandat geholt hat, sowie eine linke
und zwei grüne Landtagsabgeordnete mit Direktmandat. Die politische
Mehrheit in Leipzig tendiert deutlich zum linksliberalen bis linken Lager.
Gerade dieses starke linke Lager hat Leipzig zuletzt viele Schlagzeiten
eingebracht. Inwiefern haben die Debatten um Connewitz das Wahlergebnis
beeinflusst?
Die Auseinandersetzung um Connewitz und die Polizeitaktik in der
Silvesternacht sowie um die „linksunten“-Demonstration haben eine große
Rolle gespielt. Der CDU-Kandidat hat sehr stark auf Law and Order gesetzt
und eine Zuschreibung von Stadtteilen als „unsicher“ oder als „rechtsfreie
Räume“ proklamiert. Der SPD-Kandidat und die beiden Kandidatinnen der
Grünen und Linken haben diese Viertel und ihre Bewohner:innen eher
verteidigt und versucht, diese Konflikte als Probleme der Innenpolitik und
Polizeitaktik zu betrachten.
Die Frage, welche Rolle die Polizei als politischer Akteur spielt, war ein
sehr starkes Wahlthema – obwohl es eigentlich kaum Thema eines:einer
Oberbürgermeister:in ist. Themen wie Wohnungspolitik, Verkehrspolitik,
Kindergärten und Schulen wurden dabei oft in den Hintergrund geschoben.
Warum funktioniert dieser Diskurs über Sicherheit so gut?
Interessant ist, dass der Diskurs an den Orten, um die es da geht –
Connewitz und die Eisenbahnstraße im Leipziger Osten –, eigentlich gar
nicht so stark ist. Aber diejenigen, die diese Räume am wenigsten
persönlich kennen und sich auf Bilder oder Zuschreibungen stützen, bei
denen verhärten sich diese Themen Unsicherheit und Kriminalität.
Dieses Bild wird dann durch ihre Peergroup und die mediale Darstellung
gefestigt. Und die ist auch ein wesentlicher Grund für den jetzigen
Wahlausgang. Die großen Printmedien LVZ und Bild haben sich sehr deutlich
für Gemkow und den Law-and-Order-Diskurs starkgemacht und da zum Teil auch
deutliche Wahlempfehlungen gegeben.
Zeigt sich das auch in der Wahlverteilung?
Ja, man sieht hier, dass vor allem in den zentrumsnahen Stadtteilen die
Kandidat:innen der SPD, Linken und Grünen gewählt wurden und an den Rändern
der Stadt eher CDU. Man sieht diese Art Stadt-Land-Gefälle auch in anderen
deutschen Großstädten.
Die peripheren Gebiete mit Einfamilienhaussiedlungen und eingemeindeten
Dörfern sind aufgrund ihrer soziodemografischen Zusammensetzungen
traditionell eher konservativ. Zentrumsnahe Gebiete, die eher dicht bebaut
sind und einen viel höheren Mieter:innenanteil haben, tendieren Richtung
links.
Was ist vom zweiten Wahlgang zu erwarten?
Zwei Sachen sind hierfür entscheidend: Zum einen, wie hoch die
Wahlbeteiligung sein wird. Die jetzige Wahlbeteiligung war mit 49,1 Prozent
für eine Kommunalwahl relativ hoch. Außerdem muss geklärt werden: Wer tritt
erneut an und wer tritt zurück und gibt eine Wahlempfehlung ab? Das gilt
sowohl für FDP und AfD als auch für Grüne und Linke. Das hängt auch davon
ab, welche Absprachen es zwischen den Parteien gibt. Wer unterstützt Jung
und wer Gemkow und wer will dann was dafür – zum Beispiel Absprachen für
die anstehenden Wahlen der Bürgermeister:innen.
5 Feb 2020
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## AUTOREN
DIR Sarah Ulrich
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