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       # taz.de -- Umgang mit verbaler Diskriminierung: Das Toleranz-Dilemma
       
       > Wie sollte man auf diskriminierende Äußerungen im Alltag reagieren? Zu
       > argumentieren, wäre zu viel der Toleranz. Aber Schweigen geht auch nicht.
       
   IMG Bild: Beim diesjährigen Rosenmontagszug wirbt der „Toleranzwagen“ für religiöse Toleranz
       
       Toleranz ist abgeleitet vom lateinischen tolerare, was in etwa erdulden
       oder ertragen heißt. Was heißt es, jemanden zu ertragen oder zu erdulden?
       Ich, zum Beispiel, ertrage viele Menschen nicht, ich ertrage es nicht, wie
       sie sich aufführen, wie sie reden, ich ertrage ihre Meinung nicht. Aber im
       Großen und Ganzen behalte ich das für mich. Nach außen hin ertrage ich sie.
       
       Aber bin ich darum tolerant? Bin ich tolerant, wenn ich sie, in meinem
       Inneren, beschimpfe, verachte und verurteile? Das ist das eine, und ich
       würde über mich sagen, dass ich nicht besonders tolerant bin. Aber ich habe
       eine Erziehung genossen, die mir befiehlt, diese meine innere Haltung nicht
       zu zeigen, denn es geht bei der Toleranz um einen Wert, den ich mehr
       achte, als ich die einzelnen Haltungen verachte: Frieden. Dass wir uns
       nicht gegenseitig Gewalt antun, dass wir uns nicht umbringen, im Kleinen
       wie im Großen, als Menschen und als Länder.
       
       Wenn ich also meine Abneigung nicht zeige, meine Gefühle für mich behalte,
       meinen Hass vielleicht sogar, wenn ich den anderen also auf diese Weise
       toleriere, darf ich dann aber dennoch meine Meinung äußern, die unter
       Umständen der ertragenen Meinung entgegen steht? Ich denke, das ist klar:
       Meine Meinung ist von meinem Gegenüber ebenso zu tolerieren, wie ich seine
       toleriere, indem ich sie ertrage, ihn nicht dafür schlage und ihm keinen
       Knebel in den Mund stecke.
       
       Wenn ich einem Menschen mitteile – in nicht beleidigender oder abwertender
       Form –, dass ich anderer Meinung bin, dann toleriere ich damit sogar ganz
       ausdrücklich seine von meiner abweichende Meinung, indem ich sie als würdig
       erachte, darauf einzugehen. Und da irren sich eben jene, die glauben, man
       dürfe ihnen aus dem Grund nicht widersprechen, dass man sie tolerieren
       müsse. Aber man toleriert sie ja! Indem man ihnen widerspricht, toleriert
       man sie. Über diese Prämisse muss man sich einig sein.
       
       Auch unter dieser Kolumne finden sich oft Kommentare von Menschen, die
       anderer Meinung sind als ich. Das muss ich aushalten, das halte ich auch
       aus. Solch eine abweichende Meinung ist, im Grunde, wünschenswert. Es sind
       nur manche Kommentare eben keine Meinung, sondern eine Beleidigung.
       Abwertungen sind kein Teil von tolerantem Verhalten, wer abwertet, erträgt
       nicht, er greift an. Abwertungen sind intolerant, sie haben nur das Ziel,
       dem anderen zu schaden. Abwertungen zu erdulden, bedeutet nicht, tolerant
       zu sein, es bedeutet, masochistisch zu sein.
       
       Gehen wir einmal davon aus, dass Menschen sich in diesem definierten
       Begriff von Toleranz bewegen, in ihrem Verhalten, in ihrer
       Bereitwilligkeit, andere Meinungen zu hören und zu kommentieren, dann
       stellt sich mir dennoch oft die Frage, wie tolerant mit scheinbar sachlich
       vorgebrachten „Meinungen“ umzugehen ist, die inhaltlich intolerant sind,
       weil diskriminierend, sexistisch, homophob, um nur einige Auswüchse zu
       nennen?
       
       Ignoriert man sie, lässt man die Opfer solcher Äußerungen in der
       Öffentlichkeit allein, lässt man sich argumentativ darauf ein, toleriert
       man solche „Meinungen“ bereits als Meinung, sie können sich in einem
       solchen Diskurs regelrecht qualifizieren. Beschimpft man aber die Menschen,
       die sich so äußern, stimmt man einem solchen abwertenden Verhalten als
       zulässig zu und stärkt die gesellschaftliche Tendenz zur verbalen Gewalt.
       In genau diesem Konflikt finde ich mich oft wieder, und ich weiß keine
       Lösung.
       
       Und dann gibt es Fälle, in denen sich verschiedene Werte fast gleichstark
       gegenüber stehen. In Hamburg prüft derzeit die Schulbehörde – wegen eines
       einzelnen Falles! –, ob sie die Vollverschleierung in Schulen verbieten
       lassen kann. Religionsfreiheit. Die Freiheit, sich nach eigenem Belieben zu
       kleiden. Ein gesellschaftlicher Erziehungsauftrag. [1][Kommunikation in
       der Schule, auch nonverbal.] Gleichberechtigung. Bekämpfung der
       Unterdrückung der Frau durch religiöse Bekleidungsvorschriften. Bekämpfung
       der Unterdrückung der Frau durch schulische Bekleidungsvorschriften. An
       solchen Diskursen übt sich Toleranz. Ich bin übrigens für ein Verbot.
       
       10 Feb 2020
       
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