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       # taz.de -- Dokumentarfilm „Varda par Agnès“: Meisterin der imaginären Reportagen
       
       > „Varda par Agnès“ ist der letzte Film der französischen Filmemacherin
       > Agnès Varda. Er ist eine Art Zauberbuch ihrer eigenen künstlerischen
       > Mittel.
       
   IMG Bild: Bis zuletzt hellwach hinter der Kamera: die Filmemacherin Agnès Varda
       
       Den 80. Geburtstag sah Agnès Varda wie einen Schnellzug auf sich zurasen,
       der 90. war ihr egal. So kommentiert die französische Autorenregisseurin,
       Autorin, Produzentin, Fotografin und Installationskünstlerin Agnès Varda
       ihren Schaffensfuror in „Varda par Agnès“, dem wirklich letzten
       rhapsodischen Lebensresümee, das sie im vergangenen Jahr zur Verleihung der
       Berlinale-Kamera persönlich präsentierte.
       
       Nach ihrer filmischen Autobiografie in „Die Strände von Agnès“ (2008) und
       mehreren wunderbaren, die eigene Person einbeziehenden Dokumentarfilmen wie
       „Die Sammler und die Sammlerin“ (2000) und zuletzt [1][„Augenblicke:
       Gesichter einer Reise“ (2017)], den sie mit dem Straßenkünstler JR drehte,
       stand die kleine alte Dame 2019 noch einmal im Mittelpunkt einer Gala,
       hochverehrt als „Großmutter“ des französischen Kinos der Nouvelle Vague,
       dem sie ihre eigene, offen subjektive und politisch interessierte Mixtur
       aus dokumentarischen und inszenierten Erzählformen beimischte.
       
       Ihrem Alter begegnete Agnès Varda in allen ihren filmischen Statements mit
       heiterer Melancholie, eloquent und geistesgegenwärtig bis über den 90.
       Geburtstag hinaus. Aber trotz sprühender Energie täuscht der letzte, 2018
       entstandene Film nicht über ihre fortschreitende Schwäche hinweg. [2][Am
       31. März 2019 starb Agnès Varda in Paris.]
       
       Waren ihre „imaginären Reportagen“ – Vardas ureigener Genrebegriff –
       Reisefilme, in denen sie Menschen im authentischen Umfeld ansprach oder vor
       inspirierenden Gemälden in Museen Station machte und pantomimische Szenen
       an ihren Lieblingsstränden inszenierte, um spielerisch und sinnlich in die
       Welt komplexer Beziehungen zwischen Alltag und Kunst einzuführen, ist
       „Varda par Agnès“ augenzwinkernd als Parodie auf das Format der
       „Masterclasses“ angelegt, in denen AutorenregisseurInnen aus der analogen
       Zeit berichten.
       
       Gekleidet in sanft korrespondierende lila Muster, inszeniert sich Agnès
       Varda im Lauf des Films allein auf der Bühne sitzend in einem Pariser
       Theater, einer Filmhochschule und einem Museum, schaut unter ihrer weißen,
       am äußeren Rand tief violett gefärbten Topffrisur hervor ins Publikum und
       stimmt eine „Causerie“ an, eine locker plaudernde Lektion über ihr
       Lebenswerk. Gegliedert eher nach Motiven, Ausgangsideen und künstlerischen
       Verfahrensweisen, vermeidet sie das filmische Vermächtnis, bei dem sie
       zahlreiche Filmausschnitte kommentiert, die sture Chronologie, vor allem
       auch autobiografische Details.
       
       Varda geht es um drei wichtige „Wörter“, um „Inspiration, Kreation und
       Teilen“. Sie erläutert ihre feministischen Ausgangsideen, ihre
       stilistischen Entscheidungen etwa für Plansequenzen oder Anleihen bei der
       impressionistischen Malerei. Eine Art Zauberbuch ihrer einfachen und
       stringenten Mittel tut sich in ihrem entspannten Vortrag auf. Was Varda
       unter „Cinécriture“, einer kreativen stilistischen Handschrift, versteht,
       wird von Film zu Film immer anders und neu deutlich.
       
       Geboren 1928 in Brüssel, floh sie mit ihrer französisch-griechischen
       Familie im Krieg nach Südfrankreich, wo sie in Sète eine glückliche
       Kindheit verbrachte. Nach Kriegsende studierte sie in Paris Kunstgeschichte
       und Philosophie mit dem Ziel, Kunstrestaurateurin zu werden, und lernte
       parallel das Handwerk einer Fotografin. Jean Vilar, Leiter des Théâte
       Nationale Populaire, engagierte sie als Theaterfotografin. Bekannt wurde
       sie mit Fotoreportagen aus Iran, Indien und China. Seit „La Pointe Courte“
       (1954), einer Trennungsgeschichte, drehte Varda rund 50 Filme.
       
       Der gleichmütig rhapsodische Ton ihrer Selbstreflexionen in „Varda par
       Agnès“ mag in rund zwei Stunden Filmlänge ein wenig sedierend wirken,
       sobald sie jedoch ihre Installationsarbeiten aus dem letzten Jahrzehnt
       anspricht, in denen sie etwa das Zelluloid ihrer analogen Filme als
       transparente Wände in einer begehbaren „Filmhütte“ recycelte, macht einen
       ihre schiere Lust, Film und Kino neu zu erfinden, hellwach.
       
       6 Feb 2020
       
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   DIR Claudia Lenssen
       
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       wurde.