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       # taz.de -- Regionalwahl in Italien: Salvini macht den Märtyrer
       
       > Die Emilia Romagna steht vor der Wahl. Um ihn als Opfer zu inszenieren,
       > entziehen die Lega-Senatoren in Rom dem Ex-Innenminister die Immunität.
       
   IMG Bild: Wahlkampf ohne Gnade: Matteo Salvini tourt durch die Emilia Romagna
       
       Rom taz | „Für die Freiheit bin ich bereit, ins Gefängnis zu gehen.“
       Tremolo liegt in der Stimme des Chefs der italienischen Lega, Matteo
       Salvini, als er sich am Montagabend auf einer Wahlkampfkundgebung in der
       norditalienischen Emilia Romagna äußert. Gerade erst hat der
       Immunitätsausschuss des italienischen Senats entschieden, den Weg für den
       Prozess gegen ihn frei zu machen.
       
       Salvini, so die ermittelnden Staatsanwälte, soll sich im Juli 2018 während
       seiner Zeit als Innenminister der Freiheitsberaubung schuldig gemacht
       haben. Tagelang hatte er damals den auf einem Schiff der italienischen
       Küstenwache ausharrenden 130 Flüchtlingen den Landgang verweigert.
       
       An sich kommt die Entscheidung des Ausschusses gegen Salvini nicht
       überraschend – schließlich sitzt seine Lega mit den anderen Rechtsparteien
       in der Opposition und die Regierungsparteien Partito Democratico (PD) und
       Fünf Sterne haben auch im Senat die Mehrheit.
       
       Doch am Montagabend wurde im Senat in Rom absurdes Theater aufgeführt: Die
       Vertreter der Regierungsparteien nahmen an der Sitzung des
       Immunitätsausschusses nämlich gar nicht teil. Die Stimmen für den Prozess
       gegen Salvini kamen ausgerechnet aus den Reihen der Lega, auf
       höchstpersönliches Verlangen ihres Parteichefs.
       
       Der wollte, dass die Sitzung noch in dieser Woche anberaumt wurde, und er
       wollte dann auch, angesichts des Boykotts durch die Regierungsfraktionen,
       das Votum gegen sich. Salvini möchte sich in diesen Tagen als Märtyrer
       inszenieren, denn am Sonntag wählt die Emilia Romagna den Präsidenten und
       das Parlament der Region.
       
       ## Hochburg der Linken
       
       Die Abstimmung in der Emilia Romagna ist nicht irgendeine Wahl. Seit 1945
       ist die Region mit ihrer Hauptstadt Bologna das Kernland der italienischen
       Linken, seit der Bildung der Regionen im Jahr 1970 herrschten hier immer
       die Kommunisten und dann ihre Nachfolgeparteien bis zur heutigen PD.
       
       Unter normalen Umständen sollte die Wiederwahl des Regionalgouverneurs, des
       53-jährigen Stefano Bonaccini, eine Selbstverständlichkeit sein.
       Schließlich billigt ihm eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung in allen
       Meinungsumfragen zu, er habe einen guten Job gemacht; schließlich auch
       zählt die Emilia Romagna zu den Vorzeigeregionen Italiens, liegt sie mit
       einer Arbeitslosenrate von 5 Prozent doch deutlich unter und mit einem
       Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt von 35.000 Euro deutlich über dem nationalen
       Durchschnitt.
       
       Doch auch in dieser prosperierenden Region, die Ferraris und Lamborghinis,
       Parmaschinken und Parmesan in alle Welt exportiert, in der privater
       Wohlstand auf funktionierende öffentliche Dienstleistungen trifft, verfängt
       die „Italiener zuerst!“-Propaganda Salvinis. Bei der Europawahl im Mai 2019
       holte seine Lega in der Region 33 Prozent und wurde zur stärksten Partei –
       jetzt will sie die Linke stürzen.
       
       ## „Kein Buch gelesen“
       
       Zwar ist die von der Lega vorgeschickte Kandidatin, die 43-jährige Lucia
       Borgonzoni, nicht gerade ein Zugpferd. Seit 2018 sitzt sie im Senat in Rom,
       von 2018 bis 2019 war sie zudem Staatssekretärin im Unterrichts- und
       Universitätsministerium, während die Lega an der Seite der Fünf Sterne
       regierte. In ihrem Amt machte sie nur einmal Schlagzeilen: mit ihrem
       Bekenntnis, sie habe „in den letzten drei Jahren kein Buch gelesen“.
       
       Borgonzonis Schwäche kann Salvini aber egal sein – er macht den Wahlkampf
       in der Region sowieso allein. Und er setzt auf die Märtyrermasche. Als
       Innenminister habe er mit seiner Politik der geschlossenen Häfen „die
       Grenzen, die Sicherheit, die Ehre Italiens verteidigt“, verkündet er ein
       ums andere Mal, dafür wolle man ihm nun „einen politischen Prozess machen“.
       
       Der bisherige Gouverneur Bonaccini von der PD liegt nach allen Umfragen nur
       ein bis zwei Prozentpunkte vor Lega-Kandidatin Borgonzoni. Und auch wenn
       die [1][Anti-Salvini-Bewegung der „Sardinen“] am Sonntag in Bologna noch
       einmal an die 40.000 Anhänger für ihre Kundgebung mobilisieren konnte, ist
       alles andere als ausgemacht, dass dieses überraschende Erwachen auf der
       Linken wirklich reicht, um den Lega-Vormarsch zu stoppen.
       
       21 Jan 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Proteste-in-Italien/!5650527
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Braun
       
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