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       # taz.de -- Verkleidungen zum Karneval: Indianerkostüme gegen Rassismus
       
       > Kinder sollen sich verkleiden, wie sie wollen. Es geht dabei nicht um die
       > Hautfarbe, sondern um Heldentum.
       
   IMG Bild: Tiere oder Berufe sind bei Kindern schwer im Trend, aber auch Held*innen aus Filmen und Büchern
       
       Alle Jahre wieder kommt der Karneval. Und mit ihm die Kostümfrage. Nicht
       nur für Erwachsene, besonders für Kinder ist diese Zeit eine Hochzeit für
       Fantasie und Spielerei. Menschen verkleiden sich als Katze, Hexe,
       Prinzessin, Bauarbeiter, Pirat, Astronaut. Berufsgruppen, Tiere,
       Nahrungsmittel – der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt. Eine Grenze, die
       jedoch häufig gesetzt wird, ist: die Hautfarbe.
       
       Im vergangenen Jahr empfahl eine Kita in Hamburg den Eltern, zum Fasching
       auf Kostüme wie „Indianer“ und „Scheich“ zu verzichten. Begründet wurde
       dies mit dem Ziel einer kultursensiblen, diskriminierungsfreien und damit
       vorurteilsbewussten Erziehung.
       
       Das Argument ist in der Erwachsenenwelt schon viele Jahre präsent, nun
       kommt es langsam auch bei den Kleinsten an. Ich bin Lehrerin und Mutter und
       möchte mit diesem Text den Versuch wagen, dieser These zu widersprechen.
       Denn Indianerkostüme – genau wie alle anderen Kostüme, die Bezug auf
       nichtweiße Menschen nehmen – bekämpfen Rassismus.
       
       Ein Indianerkostüm ist ein Ausdruck der Sympathie mit den unterdrückten
       indigenen Völkern Amerikas bei gleichzeitiger Ablehnung des Handelns der
       weißen Europäer. Dadurch, dass Kinder ein ethnisch orientiertes Kostüm
       wählen, beschäftigen sie sich mit den ursprünglichen Trägern und nehmen
       ihnen die Fremdheit. Das ist eine der Grundlagen für Weltoffenheit und
       Respekt.
       
       Kinder entscheiden sich bei Kostümen oft nur nach einem Kriterium:
       Bewunderung. So ist Pocahontas oder Winnetou, genau wie Jim Knopf oder
       Mulan, kein Kostüm eines Menschen mit anderer Hautfarbe, sondern das Kostüm
       einer Heldin oder eines Helden.
       
       Kein Kind, das sich als Batman verkleidet, huldigt damit Selbstjustiz oder
       Gewalt. Ein Kind, das sich als Batman verkleidet, verkleidet sich als das
       Gute, als Gerechtigkeit, als ein Held.
       
       Genauso ist es mit dem Motiv „Indianer“. Pocahontas ist in erster Linie
       mutig, schlau, kämpferisch. Und nicht eine Person of Color.
       
       Verbietet man weißen Kindern, sich als nichtweiße Menschen zu verkleiden,
       so sagt man: Für dich kann es nur weiße Helden geben. Das ist absurd und
       fatal.
       
       ## Wer als Winnetou geht, zeigt Sympathie und Solidarität
       
       Dazu einige Beobachtungen aus der rheinischen Grundschule, in der ich
       selbst unterrichte:
       
       Jedes Jahr kommen die Kinder an Karneval mit ihren Kostümen in die Schule.
       Tatsächlich sind alle verkleidet, selbstverständlich auch die Kinder mit
       dem sogenannten Migrationshintergrund. Gerade diese haben nicht selten die
       Tracht des Herkunftslandes ihrer Eltern oder Großeltern an und es kommt
       auch vor, dass sie ein zweites, ähnliches Kostüm der besten „biodeutschen“
       Freundin geben, damit die beiden als Zwillinge oder Geschwister aus Sri
       Lanka, Korea oder Ghana auftreten können.
       
       Mit diesen Kostümen haben sie immer Bewunderung für den nichtdeutschen Teil
       ihrer Kultur gefunden, die Verkleidung hat nicht selten ihre Akzeptanz
       durch die anderen Kinder vergrößert und ihre Kostüme haben demzufolge
       „urdeutsche“ Nachahmer gefunden.
       
       Noch ein Beispiel aus der Schule: Tatsächlich sind Indianerkostüme heute
       eher selten, die Winnetou-Filme unbekannt. Nur im dritten und vierten
       Schuljahr gibt es manchmal kleine „Indianer“. Die Erklärung dafür ist
       relativ einfach: das erste Buch, das die Kinder gemeinsam in der
       Grundschule lesen, heißt: „Fliegender Stern“ von Ursula Wölfel. Es handelt
       vom Leben der Prärie-Indianer Nordamerikas und der Bedrohung durch die
       Weißen. Hauptperson ist der Indianerjunge Fliegender Stern.
       
       Warum entscheiden sich Kinder (und deren Eltern) nun für dieses Kostüm?
       Wollen sie damit tatsächlich die Kultur der indigenen Bevölkerung
       Nordamerikas ins Lächerliche ziehen? Ist es nicht genau das Gegenteil,
       nämlich das Aufzeigen von Sympathie und Solidarität in Bezug auf eine
       Gruppe von Menschen, die von anderen Menschen bedroht und unterdrückt wurde
       und auch noch wird?
       
       Diese Kostüme sind eine Chance, den Kindern die Gesellschaft zu erklären.
       Man sollte Kindern eher sagen, welchen Rassismus und welche Ungerechtigkeit
       Menschen wie Fliegender Stern im echten Leben erfahren. Kindgerechte
       Sensibilisierung. Anstatt ihnen ihre Helden auszureden oder sogar zu
       verbieten, sollte man sie in die Wirklichkeit holen.
       
       ## Kein Blackfacing, wenn ein Kind sich das Gesicht anmalt
       
       Kostüme sind das eine, aber Blackfacing ist das andere, würden viele jetzt
       sagen. Ich denke, das stimmt nicht, zumindest nicht bei Kindern.
       
       Bei Blackfacing denken viele zuerst an die Tradition der amerikanischen
       Minstrel Show, in der Weiße sich als Schwarze verkleideten, sich Klischees
       und anderer Scheußlichkeiten bedienten und Schwarze ins Lächerliche zogen.
       So etwas gehört verboten, ganz klar.
       
       Doch ein Kind, das sich das Gesicht schwarz anmalt, weil es sein will wie
       sein Held Jim Knopf, hat mit so etwas nichts zu tun. Gesellschaftliche
       Diskurse über Rassismus müssen geführt werden, Dinge unterlassen und andere
       aufgezeigt werden: Aber müssen wir unseren Kindern wirklich ein tiefes
       Gefühl der Sympathie und Bewunderung, das sich in ihrer Kostümierung zum
       Ausdruck bringt, austreiben?
       
       Man sollte Kinder nicht für dümmer halten, als sie sind, sie sind sehr gut
       in der Lage, Klischee und Realität auseinanderzuhalten. Kinder sind in dem
       Alter noch ziemlich farbenblind in dem Sinn, dass sie in der Hautfarbe kein
       alle anderen Eigenschaften überdeckendes Merkmal sehen. Sie sehen Jim Knopf
       oder auch Fliegender Stern nicht in erster Linie als Vertreter einer
       anderen, fremden Ethnie, sondern als ihnen ähnliche, mutige und freundliche
       Kinder, denen sie nacheifern wollen und die genauso zufällig eine andere
       Hautfarbe haben wie andere blonde, braune oder schwarze Haare.
       
       Lassen wir also unseren Kindern den Raum und verbieten wir ihnen nichts,
       nur weil wir Erwachsenen es seit Jahrhunderten falsch machen und heute noch
       unfähig sind. Sagen wir ihnen, dass Anderssein großartig ist und manchmal
       schwer, aber keinesfalls verboten – und zwar auch nicht als Kostüm.
       
       23 Feb 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Birgit Schmidt
       
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