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       # taz.de -- Kleinstadtleben in Deutschland: Letzte Ausfahrt vor Polen
       
       > Eine kleine Stadt in Mecklenburg-Vorpommern kämpft um ihre Schule und um
       > ihr Bestehen. Soll man Orte wie Penkun fördern oder aufgeben?
       
   IMG Bild: Rund 1.700 Menschen wohnen in Penkun, vor der Wende waren es fast doppelt so viele
       
       Penkun taz | In der Stadt Penkun ist es so: Es sind nicht mehr so viele da,
       aber weitergehen muss es trotzdem. Das Schloss braucht einen neuen
       Investor, die Alten den kleinen Laden am Marktplatz, den sie hier immer
       noch Konsum nennen. Und was wäre eine Stadt ohne Schule?
       
       Nix. Ohne Schule wär der Ort tot, sagt Bernd Netzel. Schließe die Schule,
       dann gehe „der Rest auch hopp“. Zuerst die Familien, dann der Konsum, der
       Bäcker und schließlich die Vereine. Netzel schaut aus dem Fenster seines
       Büros. Drüben steht ein brauner Klotz, mit grauem Dach und ein paar
       Bäumchen im Hof. Das ist die Regionalschule, 5. bis 10. Klasse. Netzels
       Sorgenkind.
       
       29 Jahre war Bernd Netzel Bürgermeister (FDP) von Penkun, ehrenamtlich,
       seit der Wende bis hinein in den letzten Sommer. Jahre, in denen Netzels
       Bürstenhaarschnitt grau wurde und die Stadt sich leerte. In denen er sich
       für den Erhalt der Schule abmühte. Vielleicht vergeblich.
       
       Rund 100 Schüler besuchen die sieben Klassen der Regionalschule, eigentlich
       zu wenig. Seit Jahren erteilt das Land immer wieder Ausnahmeregelungen,
       damit hier der Unterricht stattfinden kann. Das Dach ist undicht, die
       Fenster ebenso. Die Klassenzimmer tragen die Patina der 1960er Jahre. Es
       riecht nach alten Gardinen. Neu sind hier nur die neonfarbenen Turnschuhe
       der Kinder.
       
       Eine Sanierung würde mehrere Millionen Euro kosten. Geld, das die Stadt
       nicht hat. Geld, das vom Land und vom Bund kommen müsste. Mehrere
       Millionen für die Rettung einer Schule und einer Stadt im Nirgendwo. Lohnt
       das?
       
       ## Man nennt sie „abgehängte Region“
       
       Die letzte Ausfahrt vor Polen, das ist Penkun. Aus der Ferne erinnert die
       Stadt an eine einsame Insel, die es irgendwie in den äußersten Osten
       Mecklenburg-Vorpommerns verschlagen hat. Drei Seen, in der Mitte eine
       Kleinstadt. Rund 1.700 Menschen leben hier, zählt man die vier nahen Dörfer
       dazu; früher waren es mal fast doppelt so viele. Vor der Wende. In 30
       Minuten ist man mit dem Auto in Stettin. Nach Schwerin, der
       Landeshauptstadt, sind es knapp drei Stunden. Der nächste Bahnhof ist zehn
       Kilometer entfernt. Alles scheint hier weit weg zu sein, versteckt hinter
       braunen Winterfeldern und Nadelwald.
       
       In Studien zur ländlichen Raumentwicklung tauchen Orte wie Penkun oft dort
       auf, wo es um abgehängte Regionen geht. Meist liegen diese im Osten von
       Deutschland, irgendwo abseits der Autobahn. Gemeinsam ist ihnen nicht nur
       die Örtlichkeit, sondern auch die Umgebung. Plattes Land, viel Platz. Und
       die Gesamtlage: Strukturschwach ist ein Wort, das diesen Regionen anheftet
       wie ein unliebsames Etikett, das man auch nach viel Rubbeln nicht loswird.
       
       Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung hat berechnet, dass bis
       2035 vermutlich nur noch 1,4 Millionen Menschen in Mecklenburg-Vorpommern
       leben werden. Rund 500.000 weniger als zu Wendezeiten.
       
       Eine weitere Studie der Forscher zeigt: Wo Menschen verschwinden, da gerät
       die Grundversorgung ins Rutschen. Wo niemand lebt, investiert auch keiner.
       Zurück bleibt die Randlage. Schon heute sind die Menschen in diesen
       Regionen rund drei Jahre älter als in den Städten. Die Einkommen niedriger,
       die Busse fahren seltener bis gar nicht. Die Schulwege sind weiter und die
       Menschen öfter ohne Job. Was also tun mit diesen Orten?
       
       Unwirtschaftliche Regionen müsse man finanziell aufgeben, riet jüngst eine
       Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, und dort
       investieren, wo es sich lohnt: in den Zentren, den Städten. Schwerin, nicht
       Penkun.
       
       Gleichwertige Lebensverhältnisse 
       
       „Die Politik und die Öffentlichkeit müssen akzeptieren, dass es gerade die
       Städte in Ostdeutschland sind, die die wirtschaftliche Konvergenz
       Ostdeutschlands voranbringen können“, schreiben die Forscher.
       
       Die Bundesregierung hält dagegen. „Unser Ziel sind gleichwertige
       Lebensverhältnisse im urbanen und ländlichen Raum in ganz Deutschland.“ So
       steht es im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD. Bis 2021 sollen 12
       Milliarden Euro fließen. Geplant ist der Ausbau von Breitband und die
       Schließung von Funklöchern mit 5G. Mehr Busse und Bahnen, auch abseits der
       Zentren, und die Förderung von Bildung, Tourismus, Wirtschaft und Ehrenamt.
       
       Heimatminister Horst Seehofer tourte im letzten Jahr durch Deutschland.
       „Ich möchte nicht nur mit Geld, sondern auch mit Strukturen unterstützen,
       um die Regionen Deutschlands noch stärker zusammenbringen. Deshalb bin ich
       auf Deutschlandreise.“ So steht es auf der Seite des Ministeriums. Im
       Januar initiierte die Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner eine neue
       Kampagne für ein besseres Leben auf dem Land. Der Titel: #Dorfkinder.
       Mittelpunkt sind Fotos von Kindern, die in blühenden Getreidefeldern
       stehen. Sie lächeln. Von abgehängten Regionen ist wenig zu sehen.
       
       Was also tun mit diesen Orten? Aufgeben oder fördern? Was braucht ein Ort
       zum Überleben? 5G, eine Bushaltestelle oder mehr Touristen? Oder, wie in
       Penkun: einfach eine Schule?
       
       ## „Das kriegen wir hin“
       
       Fragt man Bernd Netzel nach seinem Lieblingsort in Penkun, sagt er:
       „Irgendwo draußen, mit dem Hund.“ Nach Feierabend geht er oft ein Ründchen
       um den See. Das passt irgendwie. Netzel ist keiner, der gerne die Füße
       stillhält.
       
       An diesem Januarmorgen sitzt er in seinem Büro, im zweiten Stock eines
       neuen Klinkerbaus. Die Straße runter geht es zur Kirche und zum Markt, auf
       dem ein paar alte Linden dem Winter trotzen. Viele Fassaden sind hier bunt,
       mehrere Läden stehen leer. Die ehemalige Fleischerei, ein Blumenladen. Nur
       die Apotheke ist voll. Der durchschnittliche Penkuner ist zwischen 55 und
       65 Jahre alt.
       
       Netzel hat keinen Kaffee mehr und bringt stattdessen Früchtetee. Das Büro
       hat der 63-Jährige noch aus Zeiten seines Amtes. Früher lenkte er hier die
       Geschicke der Stadt. In einer hellen Holzvitrine, im unteren Fach, liegt
       noch der Schlüssel der Stadt Penkun. Ein goldenes Unding, so lang wie ein
       Unterarm.
       
       Heute leitet Netzel hier einen Fahrservice mit 14 Autos, die in Penkun den
       öffentlichen Nahverkehr ersetzen. Die Stadt ist nicht gerade ein
       Verkehrsknoten. Der Bus kommt etwa einmal die Stunde. Wer zwischendurch zum
       Arzt muss, der ruft bei Bernd Netzel an. „Netzel“, meldet er sich knapp zur
       Begrüßung und schiebt ein „Das kriegen wir hin“ hinterher. 29 Jahre als
       Bürgermeister sind nicht einfach vorbei, die klingen nach.
       
       Schaut man sich Netzels Bilanz an, dann könnte man sagen, er war ganz
       erfolgreich in den letzten Jahrzehnten. Er hielt Büttenreden im
       Karnevalsverein und überreichte Blumen zum runden Geburtstag. Ließ eine
       Kanalisation bauen, eine neue Grundschule und ein Gewerbegebiet. Er öffnete
       die Stadt für junge Familien aus dem nahen Polen und feierte Erfolge mit
       dem Penkuner Fußballverein. Landesliga, 2003.
       
       Kurz, er hielt Penkun fern vom Niedergang, trotz ständiger Löcher im
       Haushalt, der Jungen, die es in die Städte zog, und der Randlage. „Mir ging
       es immer um die Stadt, um die Menschen“, sagt Bernd Netzel jetzt. „Auch
       wenn es nicht immer einfach war.“
       
       ## Wenn keiner hilft
       
       Er weiß: Stadtentwicklung ist auch der Kampf um Standortvorteile, um
       Zuzügler und Steuereinnahmen, um eine belebte Stadt. Und den droht Penkun
       gerade zu verlieren. Die Stadt hat rund 4 Millionen Euro Schulden. In den
       letzten fünf Jahren wachte ein Sparbeauftragter des Landes über den
       Haushalt. Der setzte ein Ultimatum: Entweder man spare Gelder ein, oder die
       Regionalschule müsse schließen. „Eine Katastrophe“, sagt Netzel. Denn ohne
       diese Schule, sagt Netzel, könne der Ort einpacken.
       
       Die Grundschule von Penkun geht nur bis zur 4. Klasse, danach ist Schluss.
       Netzel befürchtet, dass Eltern woanders hinziehen, wenn die weiterführende
       Schule dichtmacht.
       
       Das Problem mit der Regionalschule ist nicht neu. Bereits seit 2002 läuft
       die Schule nur noch mit Ausnahmegenehmigung. In den letzten 20 Jahren hat
       sich die Zahl der Kinder hier halbiert. Die Klassen sind eigentlich zu
       klein, um die Kosten für Lehrer, Strom und Wasser zu rechtfertigen.
       Trotzdem gelang es Netzel immer wieder, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Es
       gab Zeiten, da klapperte er mit einem Kleinbus die benachbarten Dörfer im
       nahen Brandenburg ab, um die Schüler zum Unterricht zu bringen. „Wenn dir
       keiner hilft, hilf dir selbst“, sagt Netzel. Es klingt nicht trotzig, wie
       er das sagt, eher stolz. Das könnte jetzt nicht mehr reichen.
       
       Denn wer schickt sein Kind schon auf Dauer auf eine Schule, in die es
       hineinregnet?
       
       Von außen ist der Verfall nicht zu sehen. Groß und grau steht die Schule
       da, auf dem Hof stehen Jugendliche zusammen. Manche sprechen polnisch. Erst
       wenn man richtig hinschaut, sieht man den „Sanierungsstau“, wie Netzel es
       ausdrückt. Löcher in den Fenstern, eine Aula, die noch Original 1950er
       Jahre ist, und ein undichtes Dach.
       
       ## Der Plan: Zusammenlegung
       
       Um die Schule zu retten, hat die Stadt einen Plan gefasst: die
       Zusammenlegung von Grund- und Regionalschule. 100.000 Euro für Strom und
       Unterhalt sollen so jährlich eingespart werden. Das Problem ist, eine
       Zusammenlegung würde 7 bis 9 Millionen Euro kosten, das hat eine
       Machbarkeitsstudie ergeben. Geld, das Penkun nicht hat, aber irgendwie
       aufbringen muss. Geld, das nur fließt, wenn sichergestellt ist, dass die
       Schule auch in ein paar Jahren noch besteht. Nur: diese Bestandsgarantie
       gibt es nicht.
       
       Bis 2022 sei die Schule gesichert, danach werde erneut geprüft, heißt es
       aus dem Bildungsministerium Mecklenburg-Vorpommern. Der ernüchternde
       Zwischenstand: Weder ist klar, ob die Schule nach 2022 weiterbestehen wird,
       noch, wer den gewünschten Umbau finanzieren soll.
       
       Dazu kommt: Die Regionalschule in Penkun ist nicht nur schlecht ausgelastet
       und hat ein undichtes Dach, sie hat Konkurrenz bekommen.
       
       Rund 30 Kilometer nördlich von Penkun, in der Stadt Löcknitz, 3.300
       Einwohner, entsteht in diesen Tagen ein neuer Schulcampus. In den nächsten
       Jahren sollen 17 Millionen Euro in das Projekt fließen. Das Geld kommt aus
       Töpfen von Land, Bund und EU. Eine neue Schule für 1.000 Kinder. Löcknitz
       wächst, vor allem durch den Zuzug von polnischen Familien, die vor den
       hohen Mietpreisen in Stettin in deutsches Randgebiet flüchten.
       
       Warum also in Penkun investieren? In eine Schule für 122 Kinder, deren
       Schülerzahlen seit Jahren stagnieren? In eine Stadt, die noch nicht mal
       eine Eisdiele hat?
       
       ## Der andere Plan: Umbau
       
       Erklären will das Eckart Rothe, Penkuner, Tischlermeister und seit elf
       Jahren Mitglied im Stadtrat. Er ist neben Bernd Netzel einer der größten
       Unterstützer der Regionalschule in Penkun. Am Telefon schlägt er vor, sich
       auf einen Kaffee am Marktplatz zu treffen. Das Café ist nicht zu verfehlen,
       es ist das einzige in der Stadt. Zwei ältere Damen servieren in weißen
       Kittelschürzen Mittagstisch und warme Getränke. „Kremtorte und Kaffe“ drei
       Euro.
       
       Durch eine Schiebetür betritt man einen Gastraum, der hier Kaffeestube
       heißt, und gerät in eine Welt aus Stickdecken und alten
       Schwarz-Weiß-Aufnahmen der Stadt. An einem kleinen Tisch sitzt Rothe,
       nebenan ein paar Damen, die die Krankheiten von Freunden und Bekannten
       durchgehen. Rothe, ein schmaler Typ um die 50, hat ein dünnes Heft dabei.
       Darin verzeichnet sind die Pläne für den Umbau der Regionalschule. Rothe
       blättert durch die Seiten, zeigt Fachräume für Musik und Kunst, eine Mensa
       und das neue Gebäude für die Grundschüler.
       
       Spricht Rothe über das Bauprojekt, scheint es, als wäre der erste
       Spatenstich bereits beschlossene Sache. „Das Projekt ist meine private
       Obsession“, sagt er. Und weil er die gerne teilt, schlägt er vor, die
       Schule doch mal anzuschauen. „Das Gebäude ist einzigartig im Osten.“
       
       Auf dem Weg zum Auto läuft er an einem hellen Eckhaus vorbei, an der
       Außenwand hängt ein Praxisschild. Eine junge Frau, die aus Polen kommt und
       in Penkun als Allgemeinärztin praktiziert. „Weil es hier so schön ist“,
       sagt Rothe. Das Haus gehört ihm. Er hat es vor Kurzem sanieren lassen, auch
       die Praxis. „Damit die Ärztin bleibt.“ Er hofft, dass sein Plan aufgeht.
       
       ## Deutschlandweit machen Schulen dicht
       
       In der Schule angekommen, geht Rothe direkt auf die alte Wendeltreppe zu,
       die die beiden Stockwerke verbindet. Er schaut nach oben. Sein Blick ist
       fast verträumt. „Ist das nicht schön?“ Abbauen könne man immer, sagt Rothe.
       Aber eine Schule wiederaufbauen? Das sei schwierig.
       
       Er klettert die Stufen hoch, durch die Fenster kann man die Hühner im
       Nachbargarten sehen, läuft durch lange Flure, die in grellen Orangetönen
       gestrichen sind. An den Wänden hängen Bilder der ehemaligen Schüler,
       Klassen, deren Stärke man an einer Hand abzählen kann, grinsen in die
       Kamera.
       
       Nicht nur Netzel, Rothe und Penkun kämpfen um eine Schule. Deutschlandweit
       machen Schulen dicht. Besonders betroffen ist der Osten des Landes, die
       deutschen Randlagen. Zwischen 2004 und 2016 schlossen hier 31 Prozent der
       öffentlichen Schulen. Das zeigt eine Studie des Thünen-Instituts in
       Braunschweig. Nicht immer muss das Ende einer Schule automatisch das Ende
       einer ganzen Stadt bedeuten. Trotzdem gehe etwas verloren. Zu diesem
       Schluss kommen Wissenschaftler des Berlin-Instituts in einer Studie. „Die
       Schule gehört wie der Kaufladen, die Kneipe, die Post oder das Amt zu den
       Basisdiensten des Gemeinschaftslebens.“ Und warnen: „Alle anderen Probleme
       des Bevölkerungsschwundes verschärfen sich mit der Schließung einer
       Schule.“
       
       Irgendwo an den orangenen Wänden ist auch Rothe verewigt. In einem Wandbild
       seiner damaligen Kunstklasse. Er ist hier zur Schule gegangen, seine
       Tochter ebenso. Die Regionalschule ist für ihn nicht nur ein Kostenfaktor,
       sie ist vor allem ein Stück Erinnerung. Ein neue Ausstattung, hofft Rothe,
       locke nicht nur junge Lehrer, sondern auch Familien in die Stadt.
       
       ## Rückkehr aus der Großstadt
       
       Eine, die ihre Kinder in die Regionalschule schickt, ist Mandy Netzel.
       Blond, Anfang 40 und Tochter von Ex-Bürgermeister Bernd Netzel. Nach
       Feierabend sitzt sie bei ihrem Vater im Büro, ihre jüngste Tochter hockt
       bei Opa auf dem Schoß. Sie machen Quatsch. Er und der „Sonnenschein“, wie
       Netzel seine Enkelin nennt. Weil Mandy Netzel nach ihrer Ausbildung zur
       Steuerfachgehilfin keinen Ausbildungsplatz fand, verließ sie Penkun. Sie
       landete in Starnberg, in Bayern. Schön sei es da gewesen, sagt Netzel. Aber
       auch weit weg. 2006 kam sie mit ihrem ersten Kind zurück. Heute arbeitet
       sie in dem Steuerbüro, in dem sie ihre Ausbildung machte.
       
       Touristisches Zentrum mit Alpenpanorama gegen Penkun, die Stadt ohne
       Eiscafé, in der von den 20 Läden vor der Wende noch eine Handvoll
       übriggeblieben sind. Der größte ist ein neuer Penny am Ortseingang. War die
       Rückkehr die richtige Entscheidung, Frau Netzel?
       
       „Das hier ist mein Zuhause.“ Mittlerweile hat sie zwei weitere Kinder, hat
       zwei Häuser in Penkun gebaut und kann sich nicht mehr vorstellen, noch mal
       woanders zu wohnen. Berlin? Niemals, sagt Mandy Netzel. Da sei es ihr zu
       dreckig und die ganzen Menschen erst. „Da fahr ich nur zum Shoppen hin.“
       
       Und mit einem Mal kommt es einem so vor, als sei hier das Zentrum, nicht
       dort draußen, hinter den Winterfeldern.
       
       Auch ihre beiden Geschwister ziehe es wieder in die Region, erzählt Mandy
       Netzel. „Die sind damals auch weg“, sagt Bernd Netzel. „Die haben keine
       Lust mehr auf Großstadt.“ Er wirkt ganz zufrieden damit.
       
       Ab und zu fehle ihr schon was, gibt Mandy Netzel zu. Es sind Kleinigkeiten.
       „Ein nettes Café.“ Und für jede Kugel Eis in den nächsten Ort zu fahren sei
       anstrengend. „Die Fahrerei nervt.“
       
       Stunden im Auto, befürchtet sie, die mit einer Schließung der
       Regionalschule noch mehr werden könnten. Mit dem Auto brauche man 30
       Minuten zum neuen Schulcampus nach Löcknitz, erzählt Mandy Netzel. Mit dem
       Schulbus vermutlich länger. Fahrzeit, die Mandy Netzel ihren Kindern gerne
       ersparen würde.
       
       ## Kein Eiscafé, aber eine Schule
       
       Stunden im Bus, das ist für viele Kinder in den deutschen Randlagen Alltag.
       Wenn Schulen schließen, werden auch die Fahrzeiten für Kinder länger. In
       Mecklenburg-Vorpommern gelten 60 Minuten für ältere Schüler als „zumutbar“.
       So steht es in einem Gesetz, das den komplizierten Namen
       Schulentwicklungsplanverordnung trägt. Nur: wer länger in die Schule
       braucht, der ist auch unkonzentrierter. Das haben Studien herausgefunden.
       Müde Kinder aus den Randlagen gegen gut konzentrierte aus den Zentren. Ist
       das fair?
       
       Wir müssen uns für Bildung einsetzen, sagt Bernd Netzel. Was er meint:
       Penkun braucht vielleicht kein Eiscafé, aber eine Schule schon. Trotzdem
       sind Vater und Tochter gegen eine Zusammenlegung der Schulen.
       
       Sie wegen der Kinder: „Die Großen zusammen mit den Kleinen, das ist keine
       gute Idee.“ Er wegen der Kosten. „Wir können uns noch nicht mal den
       Eigenanteil leisten“, sagt Netzel senior. Und wenn es eine Förderung gäbe,
       dann würde der Umbau mehrere Jahre dauern. Zu lange, fürchtet Bernd Netzel:
       „Dann ziehen die Familien woandershin.“ Wenn es nach ihm ginge, würde die
       Regionalschule einfach ein neues Dach bekommen, eine neue Ausstattung und
       fertig.
       
       Anders sieht das Antje Zibell, Netzels Nachfolgerin im Amt. Sie empfängt in
       einem Sitzungsraum neben Netzels Büro. „Ich hab hier im Haus ein kleines
       Kabuff, aber bin eh immer unterwegs“, kommentiert sie den Mangel eines
       Büros. Bernd Netzel hat nicht nur den goldenen Schlüssel behalten.
       
       ## Was fehlt, ist Geld
       
       Zibell trägt die braunen Haare kurz, ist energisch, redet schnell und
       eindringlich, das Amt der Bürgermeisterin (CDU) passt gut zu ihr. „An das
       neue Konzept für die Regionalschule lasse ich keine Luft“, sagt sie. Über
       die Möglichkeit, dass die Stadt das Geld für die Zusammenlegung nicht
       bekommt, will sie gar nicht erst reden.
       
       Lieber spricht sie von der Zukunft Penkuns als Speckgürtel Stettins. Sie
       hofft auf das Wachstum der anderen, um selber zu wachsen. Von der Randlage
       zurück ins Zentrum. „Wir planen neues Bauland.“ Für junge Familien, die
       nach Penkun ziehen.
       
       Zibell hofft auf Zuzug, nicht nur wegen der Schule, auch wegen der Finanzen
       der Stadt. Kommunen erhalten Gelder aus dem Länderfinanzausgleich. Der
       Betrag richtet sich nach den Einwohnern, und wo weniger leben, fließt auch
       weniger Geld.
       
       „Ich hätte gerne mehr Geld, um die Stadt zu unterstützen“, sagt Zibell. Die
       Stadt und ihre Bewohner, die einspringen, wo der Staat fehlt. Denn auch das
       ist Penkun: nicht nur ein Beispiel für Engagement, sondern auch für
       Menschen, die ehrenamtlich Aufgaben bewältigen, die der Staat erledigen
       sollte.
       
       20 Vereine gibt es in Penkun. Darunter sechs Angelvereine, einen Club für
       Hühnerzüchter und einen sehr erfolgreichen Sportverein. Eine Bürgergruppe
       verabredet sich regelmäßig, um den Spielplatz zu verschönern oder die
       Wanderwege zu ordnen. Es gibt einen Jugendtreff, der seit den 1990ern von
       freiwilligen Helfern betreut wird.
       
       ## Alle für Alle
       
       Auch die kleine Stadtbücherei lebt vor allem von der Liebe zum Buch, nicht
       von Fördergeldern. Die zwei Räume voller Bücher liegen direkt neben Netzels
       Büro. Eine ältere Frau räumt Bücherstapel in Regale. Zweimal in der Woche
       steht sie hier. Von 9 bis 16 Uhr. „Wir haben noch 30 Leser.“ Manchmal kommt
       keiner, sie ist trotzdem immer da. Typisch Penkun eben. Wenn es kein
       anderer macht, macht man es selber.
       
       Spricht man mit der Landesregierung über die Regionalschule von Penkun,
       kommt viel Positives. „Eine wunderschöne Stadt“, sagt Patrick Dahlemann am
       Telefon. Er ist parlamentarischer Staatssekretär für Vorpommern und
       zuständig dafür, die Randlagen wieder ins Zentrum zu holen. Die Schule in
       Penkun nennt er „existenziell wichtig“ für die Stadt. Die Millionen wären
       gut investiert, sagt er. Konkreter wird er allerdings nicht. Penkuns
       Zukunft bleibt ungewiss.
       
       Im März wird das Café am Markt schließen. „Der Konsum wackelt auch“, sagt
       Bernd Netzel. Er hat aber schon einen Plan: Er will einen Pendelservice
       einrichten, vom Marktplatz zum Penny-Supermarkt. Vielleicht einmal die
       Woche. „Wir sind da dran“, sagt Netzel. Es muss ja schließlich weitergehen.
       
       12 Feb 2020
       
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       Landleben braucht, hingegen nicht.
       
   DIR Wohnen in der Zukunft: Kleinstadt als Chance
       
       Die Verklärung der Millionenstädte als „the place to be“ ist veraltet.
       „Glokalisierung“ in kleineren Städten ist ein Zukunftstrend.
       
   DIR Regionalentwicklung und Hochschulen: Nach den Sternen greifen
       
       Hochschulen sollen aktiver werden, um regionale Entwicklungen
       voranzutreiben. Abgehängte Regionen dürfen nicht weiter absteigen.
       
   DIR Der Mann und sein Dorf: Hummelflug im Kopf
       
       Schmilka, ein kleiner Ort in der Sächsischen Schweiz, droht zu sterben.
       Sven-Erik Hitzer, dem das halbe Dorf gehört, versucht, das zu verhindern.
       
   DIR Strukturschwäche im Westen: Nicht nur der Osten hat Probleme
       
       Eine Studie zeigt: Aufholbedarf bei Wirtschaft und Infrastruktur gibt es
       auch im Westen. Etwa in NRW-Regionen oder Bremerhaven.