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       # taz.de -- Lungenkrankheit in China: Eine Frage der Kommunikation
       
       > Der Coronavirus ruft dunkle Erinnerungen an die Sars-Epidemie von 2002
       > wach. Von der damaligen Panikstimmung ist Peking bisher weit entfernt.
       
   IMG Bild: ChinesInnen mit Mundschutz: Sind die Behörden ausreichend gegen den Coronavirus gewappnet?
       
       Peking taz | Die Sicherheitskräfte an den U-Bahneingängen tragen sie, die
       Touristen mit ihren Rollkoffern ebenfalls, genauso wie die Kleinkinder an
       den Händen ihrer Mütter: Atemschutzmasken sind spätestens seit Dienstag
       omnipräsent im Pekinger Stadtbild. Etwa jeder zweite Passant auf der Straße
       trägt einen solchen Schutz im Gesicht – in klinischem Weiß, mattem Schwarz
       oder modisch-schrillen Signalfarben. Es ist der sichtbare Beweis für das
       zunehmende Unwohlsein innerhalb der chinesischen Bevölkerung.
       
       “Unbequem sind die Masken, es zwickt und drückt an den Ohren“, sagt eine
       Endzwanzigerin im halbleeren Express-Zug in Richtung Flughafen. Genau wie
       400 Millionen weitere Chinesen macht sie sich wegen des bevorstehenden
       Neujahrsfests zum Familienbesuch auf. Mit einem mulmigen Gefühl werde sie
       ins Flugzeug steigen, sagt die Angestellte einer Baufirma. Doch ihre
       Reisepläne aufgeben – das wollte sie dann doch nicht.
       
       Der [1][Coronavirus] ruft allerdings dunkle Erinnerungen wach: “Der
       SARS-Virus ist auch weit entfernt in Südchina ausgebrochen. Doch am Ende
       ging es ganz schnell, bis Peking gefährlich wurde“, sagt sie: “Die ganze
       Stadt war de facto zugesperrt, es gab kein rein und kein raus“.
       
       Im Jahr 2002 brach die SARS-Epidemie aus. Genau wie beim jetzigen Erreger
       handelte es sich auch damals um einen Coronavirus. Laut Experten scheint
       SARS jedoch sowohl ansteckender als auch tödlicher gewesen zu sein,
       zumindest die bisherigen Infektionsraten legen das nahe. Rund 800 Menschen
       kamen dabei ums Leben, der absolute Großteil in Festlandchina und
       FHongkong.
       
       ## Öffentliche Parks sind nach wie vor belebt
       
       Von der damaligen Panikstimmung ist die chinesische Hauptstadt nach bisher
       neun bestätigten Todesfällen im Land bislang noch weit entfernt: Die
       öffentlichen Plätze sind nach wie vor belebt, die Restaurants gut besucht,
       in den Parks spielen die Senioren weiterhin Mahjong. Es lässt sich
       allerdings leicht ausmalen, welch fruchtbaren Boden der Coronavirus zur
       Ausbreitung in der 21-Millionen-Metropole hätte: Riesige Apartmentanlagen,
       zwischen denen unzählige Essenskuriere und Online-Liferanten auf ihren
       Elektrorollern hin- und her rasen, überfüllte U-Bahnzüge und ein hoher
       Zuzug von Landarbeitern aus den Provinzen.
       
       Doch letztendlich besteht ein guter Grund zur Annahme, dass die
       chinesischen Behörden ausreichend gegen den Coronavirus gewappnet sind –
       vor allem, weil das Land die tragische Erfahrung der SARS-Epidemie erleiden
       musste. Seither hat sich zudem nicht nur die Ausrüstung in den
       Krankenhäusern massiv verbessert, sondern auch die Infrastruktur für
       Forschung im medizinischen Bereich.
       
       Vor allem aber bleibt zu hoffen, dass die Behörden von ihren Fehlern
       gelernt haben – denn damals gingen sie intransparent vor und versuchten
       viel zu lange im Sinne der öffentlichen Stabilität das wahre Ausmaß der
       Epidemie zu verschleiern. Genau diesem Vorwurf scheinen die Behörden
       entschieden entgegenzuwirken.
       
       Am Dienstag hatte etwa die Kommission für Politik und Recht der
       Kommunistischen Partei auf dem sozialen Netzwerk Weibo ihre Kader in den
       Provinzen zu möglichst viel Transparenz aufgefordert. Wer Infektionen
       vertusche oder die Interessen des Volkes über das Ansehen von Politikern
       stellt, gehe “als Sünder in die Geschichte“ ein. Bei SARS habe die
       mangelnde Informationspolitik “die Glaubwürdigkeit der Regierung
       geschadet“. Nur durch konsequente Offenlegung von Informationen könne die
       Virus-Bedrohung eingedämmt werden.
       
       ## Aufruf zu Transparenz gelöscht
       
       Für chinesische Verhältnisse ist dies ein beachtenswertes Zeugnis
       öffentlicher Selbstkritik. Ebenso beachtenswert ist, dass ebenjener
       Weibo-Eintrag nur wenige Stunden später vom sozialen Netzwerk gelöscht
       wurde. Dennoch besteht kein Zweifel daran, dass die Regierung die Bedrohung
       des Virus – zumindest seit dem Wochenende – sehr ernst nimmt: Präsident Xi
       Jinping hat höchstpersönlich in einer Rede das Thema zur Chefsache erklärt
       und gefordert, “die Gesundheit der Bevölkerung an die vorderste Stelle zu
       setzen“.
       
       Auch politisch scheint das Land über seinen politischen Schatten zu
       springen – etwa indem es die Einreise einer medizinischen Delegation aus
       Taiwan in das zentralchinesische Wuhan genehmigte, wo der Virus-Ausbruch
       seinen Ursprung nahm.
       
       Gleichzeitig jedoch hat die kommunistische Partei in Peking in den letzten
       Jahren enormen Druck auf den Inselstaat ausgeübt, dass dieser nicht als
       Beobachter bei der UN-Weltgesundheitsorganisation (WHO) zugelassen wird.
       Die Kampagne der Chinesen begann ausgerechnet mit dem [2][Amtsantritt von
       Taiwans Präsidentin Tsai Ing Wen], die einen Peking-kritischen Kurs fährt
       und gegen Chinas Machtanspruch auf Taiwan revoltiert. Aus dem
       Außenministerium in Taipeh heißt es, dass man einerseits zwar von den
       chinesischen Behörden über den Virus-Ausbruch informiert wurde.
       Gleichzeitig jedoch würde China dafür sorgen, dass man an den WHO-Sitzungen
       nicht mehr teilnehmen dürfe.
       
       ## Ein erster Fall des Coronavirus in Taiwan
       
       Mehr als 11 Millionen Touristen haben Taiwan im Jahr 2018 besucht, davon
       rund ein Drittel aus Festlandchina. Mittlerweile wurde auch in Taiwan ein
       erster Fall des Coronavirus gemeldet. Von einem Sprecher der WHO heißt es,
       dass man im Falle eines Gesundheitnotstandes mit den Behörden Taiwans
       zusammen arbeiten werde.
       
       Bis Druckschluss stand die Entscheidung der WHO noch aus, ob aufgrund des
       Coronavirus ein Gesundheitsnotstand ausgerufen wird. Sollte dies geschehen,
       dann würde die UN-Organisation schärfere Maßnahmen zur Bekämpfung der
       Seuche empfehlen.
       
       Zu einem radikalen Schritt hat unterdessen Nordkorea gegriffen: Am Mittwoch
       hat der Staat sämtliche Reiseagenturen informiert, den internationalen
       Tourismus im Land bis auf weiteres pausieren zu lassen. Als Grund nannte
       man in einem Schreiben “die rapide Ausbreitung“ des Coronavirus in China.
       
       Für die Kim-Diktatur wäre ein Ausbruch der Lungenkrankheit außerordentlich
       bedrohlich: Das Gesundheitssystem gilt als katastrophal, es fehlt an
       Medikamenten, Antibiotika und grundlegendster Ausrüstung in den Spitälern.
       Doch ob das Stilllegen des Tourismussektors tatsächlich zum Schutz
       ausreicht, ist unklar: Entlang der chinesisch-nordkoreanischen Grenze
       herrscht schließlich ein reger Schmuggel sowie Austausch von Waren und
       Personen.
       
       22 Jan 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Faelle-von-Lungenkrankheit-in-China/!5654806
   DIR [2] /Praesidentschaftswahl-in-Taiwan/!5655133
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Fabian Kretschmer
       
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