URI: 
       # taz.de -- Tempolimit auf der Autobahn: ADAC kippt um
       
       > Seit Jahren wehrt sich der größte Auto-Lobbyverband gegen Beschränkungen
       > auf Deutschlands Autobahnen. Nun soll geprüft werden.
       
   IMG Bild: Das Tempolimit kann kommen: Mitarbeiter einer Autobahnmeisterei mit Schild
       
       Berlin taz | In der Debatte um ein Tempolimit auf Autobahnen hat ein
       wichtiger Akteur seine Meinung geändert: Nach jahrzehntelanger Ablehnung
       ist der Automobilclub ADAC nun „nicht mehr grundsätzlich“ gegen eine
       Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen. Dies sagte der
       ADAC-Vizepräsident Verkehr Gerhard Hillebrand der Deutschen Presse-Agentur
       im Vorfeld des 58. Verkehrsgerichtstags in Goslar, der in der kommenden
       Woche beginnt. Der ADAC ist mit gut 21 Millionen Mitgliedern der größte
       Automobilclub Deutschlands.
       
       „Die Diskussion um die Einführung eines allgemeinen Tempolimits auf
       Autobahnen wird emotional geführt und polarisiert bei den Mitgliedern“,
       sagte Hillebrand. Deshalb lege sich „der ADAC in der Frage aktuell nicht
       fest.“ Er forderte, die [1][Auswirkungen des Tempolimits] sollten dringend
       in einer [2][umfassenden Studie geklärt] werden. „Diese würde eine
       belastbare Entscheidungsgrundlage liefern.“
       
       Für den Berliner Mobilitätsforscher Andreas Knie ist damit klar, dass die
       Bundesregierung „wahrscheinlich schon in den nächsten fünf Monaten“ ein
       Tempolimit beschließen wird. Der ADAC habe gemerkt, „dass die Bevölkerung
       bei der Frage Tempolimit schon weiter ist als die Politik“, sagte Knie zur
       taz.
       
       Ein Sprecher von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) bekräftigte am
       Freitag dagegen die ablehnende Haltung des Ministers zum Tempolimit. Eine
       Sprecherin der Bundesregierung sagte, es gebe aktuell keine Planung der
       Regierung für ein Tempolimit auf Autobahnen, dies sehe der
       Koalitionsvertrag nicht vor.
       
       ## Umweltministerin stichelt Richtung Scheuer
       
       Allerdings fühlte sich Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) durch die
       Bewegung beim ADAC bestätigt – und stichelte in Richtung von
       Verkehrsminister Scheuer. „Meine Position ist bekannt: Ich bin für ein
       Tempolimit – es verringert Unfälle und spart jährlich bis zu zwei Millionen
       Tonnen CO2“, schrieb die Schulze auf Twitter. Der „gute Menschenverstand“
       spreche für ein Tempolimit, es sei gut, dass der ADAC das auch so sehe.
       „Ich hoffe, dass sich auch der Verkehrsminister überzeugen lässt.“
       
       Das Wort „Menschenverstand“ dürfte nicht zufällig gewählt sein. Der
       CSU-Politiker Scheuer hatte es vor mehr als einem Jahr im Zusammenhang mit
       Tempolimit und anderen Überlegungen wie einer höheren Dieselsteuer selbst
       bemüht – er hatte die Formulierung „gegen jeden Menschenverstand“
       verwendet.
       
       Die Tempolimit-Debatte war über Weihnachten erneut hochgekocht. Scheuer
       hatte sich ablehnend geäußert: „Wir haben weit herausragendere Aufgaben,
       als dieses hoch emotionale Thema wieder und immer wieder ins Schaufenster
       zu stellen – für das es gar keine Mehrheiten gibt“, hatte Scheuer gesagt.
       „Wir sollten intelligent steuern. Es geht um bessere Verkehrsbeeinflussung
       und Verkehrslenkung durch digitale Systeme.“ Damit könne man den Verkehr an
       neuralgischen Stellen punktgenau steuern.
       
       Der Koalitionspartner SPD hatte eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung
       von 130 Kilometern pro Stunde als eines der Themen für zusätzliche Vorhaben
       genannt, über das sie nun mit der Union sprechen will.
       
       ## „Gesellschaftliche Stimmung kippt“
       
       Der Umweltverband BUND begrüßte die Aussagen des ADAC. „Ohne strukturelle
       Veränderungen im Verkehrsbereich werden weder die Klimaziele erreicht noch
       wird die notwendige Verkehrswende eingeleitet“, sagte BUND-Verkehrsexperte
       Jens Hilgenberg. „Das Tempolimit ist deshalb auch eine Frage der
       Glaubwürdigkeit. Nach dem ADAC muss jetzt die Bundesregierung, allen voran
       Bundesverkehrsminister Scheuer, das veraltete Bild von Mobilität
       überdenken. „Einfacher als mit einem generellen Tempolimit geht Klimaschutz
       nicht und kostengünstiger auch kaum.“
       
       Der ADAC schob am Nachmittag noch eine Erklärung zum Thema nach: „Unsere
       Mitglieder positionieren sich in eigenen Umfragen zum Tempolimit auf
       Autobahnen nicht mehr eindeutig“, heißt es dort. Sie seien „stattdessen wie
       die Gesellschaft insgesamt in Befürworter und Gegner des Tempolimit
       gespalten. Deshalb sei „eine neutrale Position eine logische Konsequenz“,
       so der ADAC-Mann Hillebrand.
       
       Der ADAC werde nun das Thema „umfangreich wissenschaftlich aufbereiten, um
       eine belastbare Entscheidungsgrundlage zu haben“. Richtig bleibe, „dass
       Autobahnen die sichersten Straßen in Deutschland sind. Dort werden pro Jahr
       etwa ein Drittel aller Kraftfahrzeugkilometer gefahren. Der Anteil der
       Verkehrstoten aber ist im Vergleich dazu mit rund 13 Prozent
       unterdurchschnittlich.“
       
       Greenpeace-Verkehrsexperte Tobias Austrup sagte hingegen: „Die
       gesellschaftliche Stimmung beim Reizthema Tempolimit kippt. Nachdem selbst
       der ADAC nicht länger für ein unvernünftiges Recht auf Rasen kämpft, wird
       es einsam um Verkehrsminister Scheuer.“ Austrup sagte weiter: „Mehr
       Klimaschutz, besserer Verkehrsfluss und weniger Verkehrstote – und das zum
       Nulltarif: Ein Tempolimit kennt nur Gewinner.“
       
       Auch der FDP-Verkehrspolitiker Oliver Luksic sagte, eine Versachlichung der
       Debatte rund um das Tempolimit sei sinnvoll. Dazu könne eine neue Studie,
       zum Beispiel von der Bundesanstalt für Straßenwesen, einen wichtigen
       Beitrag leisten. „Der FDP-Vorschlag einer dynamischen Verkehrslenkung, die
       sich an Gefahren wie Nässe oder Verkehrsaufkommen richtet, ist eine
       sinnvolle Lösung. So können Tempolimits flexibel und digital gesteuert
       werden.“ (mit dpa)
       
       24 Jan 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kommentar-Tempolimit-in-Deutschland/!5565175
   DIR [2] /Debatte-Tempolimit-auf-Autobahnen/!5648555
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Denis Giessler
   DIR Kai Schöneberg
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Tempolimit
   DIR ADAC
   DIR Fahrrad
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Tempolimit
   DIR Schwerpunkt Fridays For Future
   DIR Verkehrspolitik
   DIR Tempolimit
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Verkehrstote auf deutschen Straßen: Falsche Gelassenheit
       
       3.059 Menschen starben 2019 im Straßenverkehr. Sie wurden nicht Opfer des
       Schicksals, sondern einer falschen Verkehrspolitik.
       
   DIR Kirchen rufen zum „Klimafasten“ auf: Weniger heizen
       
       Die Kirchen wollen fürs Klima fasten: Sie empfehlen, die Zimmertemperatur
       zu senken und auf der Autobahn nicht zu rasen.
       
   DIR Mobilitätsforscher über Tempolimit: „Weniger Unfälle, weniger Staus“
       
       Der ADAC ist nicht mehr grundsätzlich gegen ein Tempolimit auf deutschen
       Autobahnen. Denn das komme bald, sagt der Mobilitätsforscher Andreas Knie.
       
   DIR Klimaklage beim Verfassungsgericht: Richtige Zeit, falscher Ort
       
       Umweltverbände und junge Menschen legen Verfassungsbeschwerde gegen das
       Klimapaket ein. Doch Karlsruhe ist der falsche Ort für mutige Klimapolitik.
       
   DIR Scheuer vor dem Untersuchungsausschuss: Schöner Kollateralnutzen
       
       Am Donnerstag beginnt der U-Ausschuss zum Maut-Desaster. Verkehrsminister
       Scheuer steht unter Druck. Für Bahn- und Radverkehr ist das gut.
       
   DIR Ex-Verkehrssenator über Tempolimit: „Das Tempolimit wird akzeptiert“
       
       Bereits 2008 führte der damalige Bremer Verkehrssenator Reinhard Loske eine
       Geschwindigkeitsbegrenzung ein. Trotz aller Proteste.