URI: 
       # taz.de -- Die Wahrheit: Gottgleicher Kackarsch
       
       > Toilettenpapier kaufen – das ist kein gewöhnlicher Akt. Jedenfalls nicht
       > für einen ungewöhnlichen und berühmten Menschen wie den Autor dieser
       > Zeilen.
       
   IMG Bild: Blumen muss Mutti natürlich selbst pflücken an ihrem Ehrentag
       
       Es ist mir jedes Mal peinlich, wenn ich mit einer Packung Klopapier an der
       Supermarktkasse stehe. Wie die Leute mich dann immer anglotzen! Was ich
       hier einkaufe, geht doch keinen etwas an. Ich vermisse Diskretionszonen wie
       am Bankschalter. Klopapier ist schließlich eine äußerst intime
       Angelegenheit. Ich spüre, wie mich ihre Blicke durchbohren: Dieses
       Kackschwein, denken sie, der geht damit nach Hause, kackt und wischt sich
       mit dem Kackpapier auch noch seinen Kackarsch ab. Das ist so ekelhaft!
       
       Um an dieser Stelle Missverständnissen vorzubeugen: Es ist ja nicht
       meinetwegen, denn ich selbst bin überhaupt nicht eitel. Ich bin bloß ein
       Rädchen im Getriebe, wenngleich ein besonders wichtiges aus Gold. Ginge es
       nur um mich, könnte von mir aus jeder wissen, dass ich den ganzen Tag lang
       ununterbrochen riesige Haufen scheiße. Kein Problem. Wir sind alle
       Wirbeltiere, und wer noch niemals geschissen hat, werfe die erste
       Klobürste.
       
       Doch hier geht es nun mal um Höheres. Nämlich darum, was ich für die
       Allgemeinheit darstelle. Es kann doch gut sein, dass mich jemand hier
       erkennt. An der Kasse. Mit meinem Klopapier. Immerhin bin ich ja wahnsinnig
       berühmt. Zwar nicht mehr so berühmt wie früher mal, also eigentlich gar
       nicht mehr, aber eben doch sehr berühmt.
       
       Und die bewundern mich ja alle so. Die kann ich doch nicht enttäuschen. Da
       trage ich auch einfach gesellschaftliche Verantwortung. Schließlich weiß
       ich, wie sehr die Menschen Idole brauchen, an denen sie sich festhalten und
       die ihrem grauen Alltag stellvertretend wenigstens ein kleines bisschen von
       dem Glanz verleihen können, den sie für sich im Leben nie erlangen werden.
       Weil sie selbst zu klein sind, zu schwach, zu dumm, zu medioker. Was sollen
       die jetzt denken? Wenn sich ihr großer Held direkt vor ihren Augen als
       banales Kackschwein entpuppt, das wie sie atmet und isst, netflixt, scheißt
       und stinkt, bricht für sie doch eine Welt zusammen. Das zieht alles, an was
       sie je geglaubt haben, buchstäblich in den Dreck.
       
       Sie haben sich mich rein geträumt, eine Art gottgleiche Moralmaschine, die
       morgens den Tau von den Blumen schleckt, um ihn als Poesie wieder
       auszuscheiden, geruchlos, unsichtbar und großartig. Und dann kriegen sie
       mit, dass auch ich nur wie ein Hund mit glasigen Augen entrückt in die
       Schüssel wurste. Das Klopapier ist der offensichtliche Beweis.
       
       Das darf einfach nicht sein. Also entscheide ich mich für eine Weißlüge.
       „Das ist nicht für mich“, sage ich sehr laut zur Kassiererin. „Ich scheiße
       nicht, ich meine, ich muss nicht scheißen, nie. Ich kaufe für einen
       Freund.“ Den Subtext impliziere ich den Umstehenden gleich mit: Ganz
       unbefangen umgebe ich mich mit völlig verschiedenen Menschen. Sogar mit
       Scheißern. Das erdet mich.
       
       Gerade als Künstler, als Star, ist es mir wichtig, auch mal die eigene
       Blase zu verlassen und über den eigenen Toilettenrand hinauszublicken.
       
       11 Feb 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uli Hannemann
       
       ## TAGS
       
   DIR Kolumne Die Wahrheit
   DIR Klopapier
   DIR Moral
   DIR Supermarkt
   DIR Muttertag
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Goldmünze
   DIR Probelauf
   DIR Besuch
   DIR Osterhase
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Die Wahrheit: Ein Gedicht für die beste Mutti
       
       Muttertag verpasst? Kein Problem! Mutter hatte sowieso noch nie etwas
       davon. Oder doch? Ärger, Ärger, nichts als Ärger!
       
   DIR Die Wahrheit: Schatten des Irrsinns
       
       Spätestens wenn überall die Köttel liegen, lässt sich der Mäusebefall nicht
       mehr leugnen. Das gilt auch für den Umgang mit Corona.
       
   DIR Die Wahrheit: Der Fluch der guten Tat
       
       Ist die geraubte 100-Kilo-Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum von einer
       gesetzlosen Omi in Umlauf gebracht worden?
       
   DIR Die Wahrheit: Zeugen des Scheiterns
       
       Am Berliner Pannenflughafen BER beginnt jetzt mit 20.000 Versuchskaninchen
       der Probelauf vor der Eröffnung im Oktober. Wenn das mal gut geht!
       
   DIR Die Wahrheit: Stiller Exzess in der lauten Stadt
       
       Wenn Besuch von außerhalb, also von JWD kommt, geht in Berlin die Luzie ab,
       dann tanzt der Bär und kracht das Leder. So auch diesmal wieder.
       
   DIR Die Wahrheit: Therapie mit roter Linie
       
       Der Weihnachtsmann auf der Couch. Woher hat er nur seinen Knacks weg? Und
       was hat der Osterhase damit zu tun? Die Wahrheit-Weihnachtsgeschichte.