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       # taz.de -- Petition gegen Nazi-Ehrenmal: Dem keine Ehre gebührt
       
       > Auf der Fraueninsel im Chiemsee ehrt seit Jahrzehnten ein Kreuz einen
       > Nazi-Kriegsverbrecher. Kriegt man es jetzt endlich los?
       
   IMG Bild: Mit einem Müllsack sollte 2015 ein Protestschild verdeckt werden
       
       Fraueninsel taz | Georg Wieland steht auf dem Friedhof und lacht. „Das ist
       einfach nur abartig“, sagt er und schüttelt den Kopf. Grund für die
       Fassungslosigkeit des 75-Jährigen ist dieses fast mannshohe Kreuz. Es ist
       massiv, kantig, aus Stein, das größte Ehrenmal auf dem Friedhof der
       Fraueninsel. Das einzige, dessen Inschrift man schon vom Eingang aus lesen
       kann.
       
       „Fred Odl“ liest man. In Wirklichkeit heißt es natürlich „Alfred Jodl“,
       doch ein Teil des Namens wird von zwei kleinen Thujen verdeckt, ebenso der
       militärische Rang. „Generaloberst“ steht da noch, sowie das Geburts- und
       Sterbedatum. Darüber ist ein Eisernes Kreuz eingraviert. Alfred Jodl?
       Richtig, der Alfred Jodl.
       
       Der Wehrmachtsgeneral, den der Spiegel als „Organisator des
       Vernichtungskriegs“ bezeichnete, der für die Zerstörung Nordnorwegens in
       der „Operation Nordlicht“ und auch für die Deportation von Juden
       verantwortlich war. Am 1. Oktober 1946 wurde er in Nürnberg als [1][einer
       der Hauptkriegsverbrecher verurteilt], zwei Wochen später durch den Strang
       hingerichtet.
       
       In dem Familiengrab der Jodls sind die beiden Ehefrauen des Nazis begraben
       sowie sein Bruder und dessen Frau. Nur: Alfred Jodl selbst liegt nicht
       hier. Seine Asche wurde in einen Zufluss der Isar gekippt. Die Alliierten
       wollten vermeiden, dass ein Gedenkort für Unverbesserliche entsteht. Und
       hier auf der Fraueninsel im Chiemsee ist er nun: der Gedenkort, der nicht
       sein darf.
       
       Eine erste Petition wurde abgewiesen 
       
       An diesem Mittwoch wird der Innenausschuss im bayerischen Landtag [2][über
       eine Petition beraten]. Das Denkmal müsse nun unverzüglich beseitigt
       werden, verlangt der Münchner Aktionskünstler Wolfram Kastner darin. „Es
       ist unerträglich, wenn 75 Jahre nach der [3][Befreiung von der
       Nazidiktatur] Protagonisten dieser verbrecherischen Diktatur immer noch
       öffentlich gehuldigt wird.“
       
       Georg Wieland schüttelt nur den Kopf. Er selbst hatte vor sechs Jahren die
       erste Petition gegen das Kreuz gestartet. Damals wurde er mit der
       Begründung abgewiesen, die gesamte Grabstelle werde im Januar 2018 ohnehin
       aufgelassen.
       
       Wieland ist einer der knapp 250 Bewohner der Fraueninsel, dieses herrlichen
       Flecks purer bayerischer Idylle mitten im Chiemsee. Hier gibt es keine
       Autos, keine Fahrräder, nicht einmal Füchse. Im Sommer dafür jede Menge
       Touristen und frischen Fisch. Gemeinsam mit der Herreninsel, auf der noch
       eine Handvoll Menschen leben, und der unbewohnten Krautinsel bildet sie die
       Gemeinde Chiemsee, die kleinste Gemeinde Bayerns. Erich Kästner soll auf
       der Fraueninsel 1948 das „doppelte Lottchen“ vollendet haben. Nebenan auf
       der Herreninsel wurde gerade das Grundgesetz beraten.
       
       Seit Generationen ist Wielands Familie auf der Insel beheimatet. Seine
       Eltern und Großeltern sind hier begraben. Für den Großvater
       mütterlicherseits, der im See verschollen ist, haben sie eine Gedenksäule
       aufgestellt. Alles nur ein paar Schritte von diesem Kreuz entfernt. Auch
       die Angehörigen der Verstorbenen im Grab gleich neben dem Jodl-Grab seien
       erschüttert, dass es noch immer steht, erzählt Wieland. Grabmäler, heißt es
       in der Friedhofssatzung, dürften „nicht geeignet sein, Ärgernis zu erregen
       oder den Friedhofsbesucher im Totengedenken zu stören“.
       
       Steht die Selbstbestimmung der Kommunen im Weg? 
       
       Karl Freller kann die Wut dieser Menschen nur zu gut verstehen. „Ich kenne
       das selber. Die Großeltern meiner Frau sind in Wunsiedel beerdigt“, erzählt
       der Vizepräsident des bayerischen Landtags, der auch Direktor der Stiftung
       Bayerische Gedenkstätten ist. Das Grab von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß
       sei nur zwei oder drei Gräber entfernt gewesen – über viele Jahre eine
       Pilgerstätte für Neonazis.
       
       Trotzdem glaube er nicht, dass der Freistaat da etwas ausrichten könne. Da
       stehe die Selbstbestimmung der Kommunen dagegen. Deshalb würde er es
       begrüßen, wenn die Gemeinde von sich aus alle Mittel ausschöpfen würde,
       damit das Kreuz endlich entfernt würde. Natürlich komme es immer mal wieder
       vor, dass einen die Vergangenheit einhole. Aber dann müsse man eben
       reagieren. Im fränkischen Schwabach, Frellers Heimatstadt, hätten sie vor
       zwölf Jahren entdecken müssen, dass dort über Jahrzehnte noch immer Adolf
       Hitler als Ehrenbürger geführt wurde. Keiner hat’s gemerkt.
       
       Georg Wieland hat das Jodl-Kreuz auch lange Zeit nicht bewusst
       wahrgenommen. Aber irgendwann hörte er dann seine Mutter schimpfen: „Warum
       ist der denn immer noch da oben, der alte Nazi?“ Vor rund 30 Jahren war
       das. Da habe er begonnen, sich zu informieren, unbequeme Fragen zu stellen,
       erzählt Wieland nach dem Friedhofsbesuch in seinem Haus. Auf dem Esstisch
       liegt schon ein dicker Aktenordner. Darin hat der Architekt alles
       gesammelt, dessen er in Sachen Jodl habhaft werden konnte. Vom Tisch aus
       kann man auf den See blicken.
       
       1953 lässt Jodls Witwe Luise das Kreuz errichten. Zuvor lag hier lediglich
       seine erste Ehefrau Irma. Sie war im März 1944 in Königsberg gestorben,
       ihre Asche wurde in einem Sonderzug zum Chiemsee gebracht. Als Luise Jodl
       1998 mit über 90 Jahren stirbt, wird auch sie auf der Fraueninsel begraben.
       Kinder hat sie keine, das Grabnutzungsrecht geht an verschiedene Angehörige
       über, zuletzt ist einer ihrer Großneffen alleiniger Inhaber.
       
       Der Streit eskaliert 
       
       Wieland macht sich mit seiner Petition und seinen ständigen Nachfragen
       nicht gerade beliebt auf der Insel. Georg Huber, der Bürgermeister, der
       zwei Häuser weiter wohnt, grüßt ihn schon längst nicht mehr. Andere sind
       freundlich, wenn sie ihm alleine begegnen. Sobald sie aber in der Gruppe
       sind, schauen sie weg. Die Schlösser der Haustür wurden schon einmal mit
       Sekundenkleber zugeklebt, die Leinen des Bootes nachts losgemacht.
       
       Kurz nach Wielands Petition tritt der Aktionskünstler Wolfram Kastner auf
       den Plan. Nachdem auch er mit einer eigenen Petition und einer Eingabe an
       den Gemeinderat erfolglos ist, verleiht er dem Anliegen auf seine Art
       Nachdruck. Und Kastners Art ist gern mal provokativ.
       
       So folgen im Laufe der nächsten Jahre Aktionen, bei denen Kastner ein
       Schild mit der Aufschrift „Keine Ehre dem Kriegsverbrecher!“ an dem Kreuz
       anbringt, es mit blutroter Farbe überschüttet oder das bronzene „J“
       entfernt, sodass dort nur noch „Odl“ steht, das bairische Wort für Gülle.
       Das „J“ schickt er an das Deutsche Historische Museum nach Berlin, das mit
       der Gabe aber wenig anzufangen weiß.
       
       [4][Der Streit beginnt zu eskalieren.] Einmal versucht eine Abordnung der
       NPD, das Kreuz zu reinigen – vergeblich. Mehrfach verklagt der Großneffe
       der Witwe Jodl den Künstler – mit Erfolg. Kastner wiederum geht nach
       Karlsruhe. Eine Entscheidung des Verfassungsgerichts steht noch aus.
       
       Ein abgekartetes Spiel? 
       
       Dass das Ehrenkreuz überhaupt noch steht, liegt an einer Beschwerde des
       Großneffen gegen die für 2018 geplante Beendigung des Grabnutzungsrechts.
       Da es noch genügend freie Grabstellen gebe, könne die Gemeinde die
       Verlängerung der Grabnutzung nicht aus Platzgründen ablehnen, befand das
       Verwaltungsgericht München und regte einen Vergleich an: Der Schriftzug auf
       dem Kreuz sollte mit einer Platte verdeckt werden, auf der sich nur ein
       allgemeiner Hinweis auf die „Familie Jodl“ findet.
       
       Zunächst nahmen beide Parteien den Vergleich an, doch dann widerrief ihn
       die Gemeinde, woraufhin das Gericht zugunsten des Klägers urteilte. Gegen
       dieses Urteil legte die Gemeinde allerdings keine Berufung ein.
       
       Kastner und Wieland vermuten deshalb ein abgekartetes Spiel: Die Gemeinde
       habe mit Absicht einen nicht stichhaltigen Grund angegeben, um damit vor
       Gericht nicht durchzukommen. Fragt sich nur: Warum? Aus Trotz? Überhaupt
       herrscht ein eklatanter Mangel an plausiblen Erklärungen für das, was in
       den letzten Jahren in der Causa Jodl geschah – und nicht geschah. „Es muss
       da Verbindungen geben, Seilschaften“, mutmaßt Wieland.
       
       Natürlich ist die Fraueninsel kein Nazi-Nest. Auch wenn es schon mal einen
       geben soll, der stolz ein Exemplar des Buches zeigt, in dem Luise Jodl auf
       schwülstige Weise die Ehrenrettung ihres Mannes versucht – mit einer
       persönlichen Widmung der Autorin. Und auch wenn eine Schwester des
       einflussreichen Benediktinerinnenklosters auf der Insel von ihren
       interessanten Erfahrungen mit der Jungen Alternativen erzählt. Schon zwei
       Mal habe man die AfD-Jugend im Kloster zu Gast gehabt.
       
       Was bewegt den Großneffen? 
       
       Doch die Fragen bleiben. Auch diese: Was bewegt den Großneffen von Luise
       Jodl? In seiner Hand läge es, das Kreuz von heute auf morgen verschwinden
       zu lassen.
       
       Nur einmal, nach einer Demonstration gegen das Kreuz im vergangenen Sommer,
       meldet er sich mit einer Stellungnahme zu Wort. Von einem „Aufmarsch“ der
       Demonstranten spricht er darin, die Grabstätte sei „ein normales
       gemeinsames Familiengrab“ und ein „stiller Rückzugsort für mich und meine
       Familie“. Er sei „gewillt, alles dafür zu tun, dass gerade
       keine,Wallfahrtsstätte' für Neo-Nationalsozialisten entsteht“.
       
       Nachfragen der taz, warum er dann nicht beispielsweise – wie vom Gericht
       vorgeschlagen – einfach den Namen Alfred Jodls mit einer Platte verdeckt,
       bleiben unbeantwortet. Auch Bürgermeister Huber ist nicht erreichbar.
       
       Für Georg Wieland jedenfalls steht fest: Solange dieses Kreuz oben auf dem
       Friedhof steht, will er dort nicht begraben werden.
       
       12 Feb 2020
       
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