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       # taz.de -- Ökonom zur Vernichtung von Retouren: „Retouren lenken ab“
       
       > Sollen die Unternehmen zu mehr Transparenz im Umgang mit Überproduktion
       > verpflichtet werden? Ja, meint der Wirtschaftswissenschaftler Björn
       > Asdecker.
       
   IMG Bild: Heute Päckchen, morgen schon Müll? Paketbote in Berlin
       
       taz: Herr Asdecker, die Bundesregierung will, dass Online-Händler
       [1][künftig weniger Retouren vernichten]. In welchem Umfang tun sie das
       bislang? 
       
       Björn Asdecker: Laut den Daten, die wir 2014 und 2018 erhoben haben,
       vernichten die befragten Händler 3 bis 4 Prozent der Retouren aus ihren
       Online-Verkäufen. Insgesamt sind das etwa 0,5 Prozent der ausgehenden
       Sendungen, es werden ja nicht alle zurückgeschickt.
       
       Klingt nicht viel. Ist das ein relevantes Problem? 
       
       Die Relevanz wird zunehmen. Bislang hat der e-Commerce erst einen Anteil
       von 13 bis 14 Prozent am Gesamthandel – allerdings mit stark steigender
       Tendenz. Es wird also künftig deutlich mehr verschickt und damit auch mehr
       Retouren geben.
       
       Ist die Vernichtung von unbeschädigter Waren nur ein Problem des
       Online-Handels? 
       
       Jein. In unserer Erhebung haben die Händler, die sowohl online als auch
       stationär verkaufen, zwar beschrieben, dass im Internetkanal mehr
       vernichtet wird. Aber der stationäre Handel ist ja viel größer. Jährlich
       gibt es etwa 20 Millionen entsorgte Retouren mit einem durchschnittlichen
       Restwarenwert von 5 bis 10 Euro. Es geht also um vernichtete Waren im Wert
       von 100 bis 200 Millionen Euro jährlich. Ähnliche Studien zu unverkaufter
       Überproduktion gibt es nicht, aber nach Branchenschätzungen wird hier Ware
       im Wert von 7 Milliarden Euro weggeworfen. Retouren werden zwar viel
       diskutiert, das lenkt aber vom eigentlichen Problem ab.
       
       Warum gibt es dazu keine Zahlen? 
       
       Weil die Unternehmen darüber keine Auskunft geben. Auf unsere Fragen zum
       Umgang mit Retouren haben die Händler geantwortet, weil es marginaler Teil
       einer größeren Studie war; Fragen zum Umgang mit der Überproduktion
       generell würden sie wohl nicht beantworten. Es gibt dazu keine
       verlässlichen Werte. Insofern ist es gut, dass die Bundesregierung mit
       ihrer Gesetzesnovelle erstmals Berichtspflichten für die Unternehmen
       einführen will. Was allerdings fehlt, sind Sanktionsmöglichkeiten: Was
       passiert, wenn Händler den Transparenzpflichten nicht nachkommen? Dazu
       steht meiner Kenntnis nach nichts in dem Gesetzentwurf.
       
       Gibt es Länder, die es besser machen als wir? 
       
       Auf dem Papier sind einige westeuropäische Staaten sicher weiter als wir.
       Aber darauf kommt es aus meiner Sicht nicht an. Es wird ein Schritt in die
       richtige Richtung gemacht. Als Nächstes geht es darum, zu schauen, wie das
       Gesetz mittels Rechtsverordnungen umgesetzt und in der Praxis gelebt wird.
       
       Solange Waren nicht verkauft sind, gehören sie noch den Händlern oder
       Herstellern. Darf man in ihre Eigentumsrechte eingreifen? 
       
       Das ist natürlich eine Frage an Juristen, ich bin Betriebswirt. Aber ich
       denke, man kann Händlern oder Herstellern gewisse Obhutspflichten
       auferlegen, wenn ihr Handeln Konsequenzen hat, die für die Allgemeinheit
       nicht hinnehmbar sind. Und Ressourcenverschwendung fällt sicher darunter.
       
       Könnte die Regierung den BürgerInnen auch verbieten, noch brauchbare Möbel
       oder Smartphones wegzuwerfen? 
       
       Das wäre für meinen Geschmack zu wenig pragmatisch, das würden sich die
       Wähler nicht gefallen lassen. Abgesehen davon muss man auch sehen: Ein Teil
       der Entsorgung ist auch unvermeidbar, nicht jede Wiederverwertung oder
       jedes Recycling ist sinnvoll. Allerdings sollten sich die Hersteller mehr
       als bisher Gedanken darüber machen, wie sie ihre Produkte langlebig und
       reparierbar machen, Stichwort Ökodesign. Auch Pfandsysteme könnten dazu
       beitragen, die Grundsätze der Kreislaufwirtschaft in der Praxis zu
       verankern.
       
       Eine auf Wachstum ausgerichtete Wirtschaft lebt davon, dass alle ständig
       neue Dinge kaufen. Lässt sich dieses Problem mit dem Abfallrecht lösen? 
       
       Wir stimmen doch sicher alle überein, dass unser Wirtschaftssystem die
       Konsequenz unseres individuellen Handelns ist. Damit unser
       Bruttoinlandsprodukt wächst, muss jeder von uns konsumieren. Die Frage ist
       aber, wie. Wir könnten etwa nicht mehr dreimal pro Woche billiges Fleisch
       essen, dafür aber einmal die Woche nachhaltig erzeugtes, teures. Oder wir
       kaufen keine billige Elektronik mehr, die nach ein paar Monaten oder einem
       Jahr wieder ersetzt werden muss, sondern langlebige und investieren in
       Reparaturen. Dann führt auch das zu Wachstum, aber zu einem besseren.
       
       13 Feb 2020
       
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