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       # taz.de -- Australien nach den Buschbränden: Verbrannte Erinnerung
       
       > Marie-Claude und Philippe kamen einst ins australische Cobargo, weil es
       > schön war. Eine Feuerwalze hat ihr Hab und Gut zerstört. Wie geht es
       > weiter?
       
       Grün. Alles ist grün. Zartes Gras sprießt aus verbrannter Erde. Die
       Landschaft, die noch vor wenigen Tagen einer grau-schwarzen Hölle geglichen
       hatte, erinnert an eine Wiese im Schweizer Jura. „Das war es, was uns hier
       hingelockt hatte“, erzählt Philippe Ravenel, „die Gegend ist ein wenig wie
       zu Hause.“
       
       Der 53-Jährige war 2006 mit seiner Frau Marie-Claude aus der
       französischsprachigen Schweiz nach Australien ausgewandert. Das Paar ließ
       sich außerhalb des Dorfes Cobargo nieder, rund fünf Stunden Autofahrt
       südlich von Sydney, eine halbe Stunde von den Stränden des Pazifischen
       Ozeans entfernt.
       
       Ein ruhigeres Leben wollten sie haben, kürzertreten. Die beiden kauften
       sich ein altes Haus, hoch oben auf einem Hügel, mit Blick in alle
       Himmelsrichtungen. Philippe, der Kunstschlosser, baute sich nebenan eine
       Schmiede. Hämmern sei seine Leidenschaft, das Flechten von glühendem Eisen
       zu Zöpfen seine Kunst. „Wir lieben es hier“, sagt er, „trotz allem.“
       
       Trotz des 31. Dezember 2019.
       
       Es war der Tag, an dem Millionen Fernsehzuschauer rund um den Globus das
       Dorf Cobargo kennenlernen sollten. Verwackelte Bilder, mit dem Mobiltelefon
       aufgenommen, flackerten über die Bildschirme. Kurzvideos, die an Dantes
       Inferno erinnerten. Ein gigantischer Feuersturm hatte die Gegend überrollt,
       legte dutzende Häuser und Scheunen in Schutt und Asche. „Die Luft brannte“,
       erinnert sich ein Anwohner. Menschen in Panik, die mit Gartenschläuchen in
       der Hand ihre Häuser vor den Flammen schützen wollten. In den meisten
       Fällen war es ein hoffnungsloser Versuch, das unvermeidliche Schicksal
       abzuwenden.
       
       Kängurus, verwirrt und verängstigt, rannten vor 30 Meter hohen Flammen
       davon – die meisten schafften es nicht. Tausende Kühe und Schafe
       verbrannten bei lebendigem Leib. „Ihr verzweifeltes Schreien werde ich nie
       vergessen“, gab ein Mann zu Protokoll. Ein Vater und sein Sohn starben, als
       sie versuchten, ihr Haus vor den Flammen zu retten. Philippe: „Keiner, der
       damals nicht geflohen war, hatte geglaubt, dass er es überleben würde.“
       
       ## Das Feuer hat das Haus zerstört
       
       Philippe und Marie-Claude waren nicht zu Hause an diesem Tag. Sie hatten
       Freunde zum nächstgelegenen Bahnhof gebracht, eine mehrstündige Autofahrt.
       „Wir wussten, dass das Feuer in der Nähe war, in den benachbarten Wäldern“,
       erzählt der Mann, „aber wir alle hatten geglaubt, dass es noch Tage dauern
       würde, bis es auch für uns zur Gefahr werden könnte.“ Die Rückfahrt ließ
       Schlimmes erahnen. „Überall Feuer, überall Straßensperren.“ Eine
       normalerweise fünf Stunden dauernde Autofahrt wurde zur 17-stündigen
       Odyssee.
       
       Als die beiden am anderen Morgen endlich hoch nach Cobargo fahren konnten,
       durch dichten Rauch, ahnten sie, was kommen könnte. Bäume, die aussahen,
       wie wenn jemand abgebrannte Streichhölzer in den verbrannten Boden gesteckt
       hätte. Und „überall die Ruinen abgebrannter Häuser“, erinnert sich
       Philippe. Doch dann, in der Anfahrt zu ihrem eigenen Haus „sah ich am
       Horizont unsere beiden Kamine. Unser Haus steht noch, dachte ich.“
       
       Die Hoffnung zerschlug sich nur Sekunden später: „Es war alles abgebrannt.
       Alles am Boden. Die Trümmer rauchten nicht einmal mehr.“ Trotzdem schätze
       er sich „total glücklich“: die Schmiede, obwohl nur einen Steinwurf vom
       Haus entfernt, hatte das Feuer nur versehrt. Er sei, so Philipp, „sehr
       emotional“ gewesen.
       
       33 Tote, Tausende von zerstörten Gebäuden und eine Natur, die wohl noch
       Jahrzehnte brauchen wird, bis sie sich vom Inferno erholt. Falls sie das je
       können wird. Denn mindestens eine Milliarde Säugetiere, Vögel und Reptilien
       sind umgekommen – Milliarden mehr Insekten und andere Kleintiere.
       Wissenschaftler fürchten, dass einige Tierarten sich nicht mehr erholen
       werden und aussterben könnten. Es war eine Tragödie, welche die Welt für
       Wochen faszinierte.
       
       Journalisten aus aller Welt flogen nach Down Under. Fernsehteams stellten
       in Cobargo ihre Kameras auf, inmitten des Gerölls. Es war eine gute
       „Story“: Koalas mit verbrannten Pfoten wurden Stars im amerikanischen
       Frühstücksfernsehen, Feuerwehrleute mit rußgeschwärzten Gesichtern und
       blutunterlaufenen Augen als „Helden der Nation“ gefeiert. Millionen von
       Spendengeldern flossen nach Australien. Von Aachen bis Arizona nähten
       Frauen Stoffsäcke für verletzte Tiere aus abgebrannten Wäldern. Bis die
       Journalisten entschieden, jetzt sei genug. Und nach Hause flogen.
       
       Für die Menschen von Cobargo aber ist die „Story“ noch lange nicht zu Ende.
       
       Die Dorfstraße, am Montagmorgen. Zwei ältere Männer sitzen vor dem Coffee
       Shop und schlürfen ihren Cappuccino. Es ist fast unheimlich ruhig. Zwei
       Touristen mittleren Alters fotografieren die Trümmer. Zerstörte Häuser,
       ausgeglühtes Wellblech, die Überreste eines Bahnwaggons, der offenbar
       jemandem als Haus gedient hatte. Eine Telefonkabine, das orange Plastikdach
       geschmolzen. Es sehe noch genauso aus wie am Tag nach dem Feuer, erzählt
       eine Frau. Nur sind die zerstörten Häuser inzwischen von hohen Zäunen
       umgeben, abgeschirmt vor Plünderern und Lebensmüden: Fast vor jeder Ruine
       warnt ein Schild vor der tödlichen Gefahr von Asbestfasern, die sich darin
       verstecken.
       
       Weiterfahrt zu Tony Allen, Milchbauer und Ältester einer Familie, die seit
       Generationen in Cobargo lebt. Ein Zettel an der Küchenwand erinnert ihn
       daran, Kamelmist zum Düngen zu kaufen, „60 Dollar der Sack“. Tony Allen ist
       in den letzten Wochen zu einer Art Krisenkoordinator geworden für sein
       Dorf. Auf dem Sportplatz lebten jene, die kein Zuhause mehr haben, die
       alles verloren haben. Zelte, Wohnwagen, die meisten sind gespendet. „Egal
       welche Hautfarbe, welche Religion – wir helfen allen“, erzählt er. Einige
       der Betroffenen hatten nach dem Feuer nur die Kleider, die sie bei der
       Flucht trugen. Sie dürfen sich aus großen Säcken mit Altkleidern bedienen.
       
       Neben der Sachhilfe sei die psychologische Hilfe besonders wichtig. „Wir
       müssen sie unterstützen, weil sie schwer traumatisiert sind.“ Viele Opfer
       würden an Schlafstörungen leiden. Ein Problem sei vor allem der Lärm, den
       das herannahende Feuer gemacht habe. So laut wie ein Düsenflugzeug. „Wenn
       die Leute in der Nacht ein Geräusch hören, etwa eine Klimaanlage, wachen
       sie in Panik auf, weil sie glauben, das Feuer komme zurück.“
       
       Unterstützung für die Brandopfer kommt langsam und ist bürokratisch. Wer um
       Informationen für Hilfsangebote bitte, erhalte von drei Behörden drei
       verschiedene Antworten, klagen Betroffene. Kritiker geben Premierminister
       [1][Scott Morrison] die Schuld, einem Mann, der nur dann Empathie für die
       Opfer zeigt, wenn ihn Fernsehkameras dabei filmen. Es war in [2][Cobargo],
       als der Regierungschef vor laufenden Kameras von empörten Bewohnern
       angeschrien wurde, weil sie sich vergessen gefühlt hatten.
       
       Mitten in der Krise war Morrison nach Hawaii in Urlaub geflogen. Zuvor
       hatte er die Warnungen von Feuerwehrkommandanten vor einer Katastrophe und
       die Forderung nach mehr Unterstützung für die Brandbekämpfung
       abgeschmettert. Immerhin habe die Regierung des Bundesstaats New South
       Wales beschlossen, sämtliche Brandplätze zu räumen – kostenlos, sagt Tony
       Allen. „Dann haben die Leute wenigstens einen sauberen, frischen Ort, an
       dem sie wieder bauen können.“ Falls sie das können. Denn Tausende sind
       nicht versichert oder deutlich unterversichert.
       
       „Es ist erschreckend, wie weit verbreitet dieses Problem in Australien ist
       “, erklärt Amanda Chalmers, eine auf Versicherungen in ländlichen Gebieten
       spezialisierte Agentin. „Die Leute glauben immer, es würde sie nicht
       treffen, bis es dann zu spät ist.“ Sie habe während der Feuer Anrufe von
       Leuten erhalten, die in Panik noch rasch eine Versicherung abschließen
       wollten. „Doch bei jeder Katastrophe – etwa einem Feuer – verhängen die
       Versicherungsgesellschaften sofort ein Embargo über das betroffene Gebiet.
       Das bedeutet: keine neuen Policen, bis die Gefahr vorbei ist.“ Karitative
       Organisationen fürchten, dass Hunderte von Familien obdachlos sein könnten,
       wenn die Regierung in Canberra nicht eingreife und sie beim Bau eines
       Hauses unterstütze.
       
       Philippe stakst durch die Überreste seines Hauses und bückt sich. In der
       Hand hält er ein klumpiges Konvolut aus Metall. „Das ist unsere
       Käsefondue-Pfanne aus Gusseisen“, erzählt er, „und es ist geschmolzen. Das
       Feuer muss demnach mindestens 1.500 Grad heiß gewesen sein.“ Auch seinen
       verkohlten Schweizer Pass hat Philippe gefunden – „im feuersicheren
       Tresor“, schmunzelt er.
       
       Das frische Grün auf den umliegenden Wiesen, das Bild der wiederauflebenden
       Natur – es ist trügerisch. Denn auch Philippe und Marie-Claude wissen noch
       nicht, wie es weitergehen wird. Auch sie seien unterversichert gewesen. „Es
       ist halt immer ein Abwägen zwischen Risiko und Prämie.“ So warten sie in
       T-Shirts aus der Altkleidersammlung im Haus von Freunden auf den Anruf der
       Versicherung. Es sei aber klar, dass sie bleiben wollen, hier, in ihrem
       kleinen Paradies, sagt Philippe.
       
       Der Grund sei nicht nur die liebliche Landschaft. Solche Katastrophen
       würden die Bevölkerung zusammenschweißen. „Die Menschen unterstützen sich
       gegenseitig. Und das ist ein großartiges Gefühl.“
       
       14 Feb 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kritik-an-Australiens-Premier/!5653544
   DIR [2] https://www.theguardian.com/australia-news/2020/jan/02/scott-morrison-abused-by-bushfire-victims-in-nsw-town-of-cobargo
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Urs Wälterlin
       
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