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       # taz.de -- Buch über Frauen in der Minderheit: Alleine zwischen Männern
       
       > Die ersten Frauen im Deutschen Bundestag hatten es nicht gerade leicht.
       > Aber mit ihnen zog glücklicherweise auch der Alltag in die Politik ein.
       
   IMG Bild: Joschka Fischer nannte sie „gequetschte Schwanzträger“: die Fraktionssprecherinnen der Grünen, 1984
       
       Sie war eine klassische Sarghüpferin. So werden Abgeordnete genannt, die im
       Bundestag den Platz von verstorbenen Abgeordneten einnehmen. [1][Ursula
       Männle], die 1979 für den CSU-Mann Heinrich Reichold nachrückte, nahm es
       sarkastisch-gelassen: „Die Frauen werden nur was über die Leichen der
       Männer.“
       
       Ein wenig später, am 24. Januar 1980, hält Männle ihre erste
       Bundestagsrede. Sie trägt ein knallrotes Kleid, ganz bewusst, sie will
       auffallen zwischen all den dunklen Anzügen. Sie weiß: Anders könnte sie zum
       „schmückenden Beiwerk“ verkommen in der „Bonner Republik“ vor 40 Jahren. So
       wie das nicht wenigen Frauen in den 1960er, 1970er und 1980er Jahren im
       Bundestag passierte, die in jener Zeit ihr politisches Dasein als Alibifrau
       fristeten. Die Süddeutsche Zeitung wird nach Männles „Jungfernrede“
       schreiben, die CSU-Frau habe „witzig und selbstbewusst“ gesprochen.
       
       Heute ist Männle nahezu vergessen, mittlerweile ist sie 76 Jahre alt. Aber
       sie lebt „In der Männerrepublik“, einem gerade erschienenem Buch des
       Journalisten Torsten Körner, weiter. Das Werk ist eine wissensvermittelnde
       wie unterhaltsame Abhandlung über „Die Kämpfe deutscher Politikerinnen um
       Macht und Gleichberechtigung“, wie der Untertitel des Buchs lautet.
       
       Als Männle 1979 zum ersten Mal in den Bundestag einzog – von 1983 bis 1994
       war sie erneut Bundestagsabgeordnete – waren gerade mal 7 Prozent der
       Parlamentarier weiblich. Die Frauen wurden häufig verlacht, ihnen wurden
       politisches Verständnis und Geschick abgesprochen, manche erlitten sexuelle
       Übergriffe.
       
       ## Komisches Dramolett
       
       Da ist zum Beispiel Elisabeth Schwarzhaupt, die 1961 als erste Frau ein
       Ministeramt bekleidete. Wie sie ins Kabinett gehievt wurde, galt als
       komisches Dramolett: Frauenverbände und Frauenabordnungen machten beim
       damaligen Kanzler Konrad Adenauer so viel Druck, dass für Schwarzhaupt ein
       neues Ressort geschaffen wurde, das (damals überflüssig erscheinende)
       Gesundheitsministerium. Denn Adenauer weigerte sich vehement, irgendein
       Ressort an eine Frau abzugeben.
       
       Die Frauen indes hatten auf das Justizministerium für Schwarzhaupt
       gedrängt. Aber das wischte Adenauer mit dem Satz vom Tisch: „Das jeht nich.
       Da drüben in der Deutschen Demokratischen Republik haben se Hilde Benjamin,
       da können wir hier nich ne Frau als Gegenüber brauchen; gerade wo ich
       meine, dass hier die Justiz strenger werden muss.“
       
       Auch als Familienministerin hätten Schwarzhaupts Unterstützerinnen die
       Juristin gern gesehen. Das fiel jedoch aus, weil die Abgeordnete keine
       Kinder hatte. Als Adenauer die erste Kabinettssitzung einberief, begrüßte
       er die Abgeordneten wie gewohnt mit „Morjen, meine Herren!“ Schwarzhaupt
       protestierte – und Adenauer sprach sie fortan als „Fräulein Schwarzhaupt“
       an.
       
       Oder Marie-Elisabeth Lüders, nach der heute eines der Bundestagsgebäude
       benannt ist. Die FDP-Abgeordnete besaß die Gabe, Alltag zur Politik zu
       machen. Als sie am 14. Juni 1955 im Bundestag ihre erste Rede hielt, ging
       es ums Essen in der Bundestagskantine. Ein absolutes Novum damals.
       
       ## Equal pay
       
       In die Geschichte eingegangen ist der Teil der Lüders-Rede, der heute
       durchaus als einer der ersten Einsätze für equal pay bezeichnet werden
       kann. Lüders beschrieb, wie die jungen „Essenträgerinnen“ genauso flink wie
       deren männliche Kollegen die Abgeordneten bedienten, dafür aber ein
       Grundgehalt von 250 Mark bekamen – statt 350 Mark wie die Herren. Das Thema
       drängt bis heute, die unbereinigte Lohnlücke beträgt immer noch rund 21
       Prozent.
       
       Aus ihrem Alltag machten auch grüne Frauen Politik, als sie 1984 im
       Bundestag eine sechsköpfige weibliche Fraktionsspitze installierten, das
       „Feminat“, wie Medien daraufhin süffisant schrieben. Joschka Fischer,
       damals einfacher Abgeordneter im Parlament, nannte die sechs, darunter die
       späteren Grünen-Promis Antje Vollmer, Waltraud Schoppe und Christa Nickels,
       „gequetschte Schwanzträger“.
       
       Die weibliche Sechserspitze hatte damals schon erkannt, dass es von Vorteil
       ist, Aufgaben zu teilen. Vier der Frauen hatten Kinder, zwei von ihnen
       waren alleinerziehend. Sie wussten, was ein Leben mit Kindern bedeutet, und
       konnten sich solidarisch miteinander verhalten.
       
       Das „Feminat“ stand unter erheblichem Erfolgsdruck,
       Politikbeobachter*innen sprachen von der „Hausfrauisierung“ der
       Politik. Auch die taz fragte: „Ob die das wohl schaffen? Sind sie nicht
       vielleicht zu mittelmäßig?“ Solche Zuschreibungen erscheinen angesichts des
       heutigen Grünen-Spitzenduos Annalena Baerbock und Robert Habeck, die wie
       selbstverständlich kooperativ miteinander arbeiten, komplett aus der Zeit
       gefallen.
       
       Dass Frauen in der Politik dennoch einen nach wie vor steinigen Weg gehen
       müssen, zeigt allein der aktuelle Frauenanteil im Bundestag: Er ist mit 31
       Prozent so gering wie zuletzt in der Legislaturperiode von 1998 bis
       2002.
       
       19 Feb 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Ursula_M%C3%A4nnle
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schmollack
       
       ## TAGS
       
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