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       # taz.de -- Product-Placement beim Streaming: Der Irishman mit digitaler Rolex
       
       > Start-ups entwickeln eine künstliche Intelligenz, die in Serien und
       > Filmen für Produkte werben soll. Eine neue Einnahmequelle für
       > Streamingdienste.
       
   IMG Bild: Trägt Al Pacino diesen Anzug in The Irishman wirklich? Oder wurde er durch KI virtuell platziert?
       
       Berlin taz | Die Endszene von „Titanic“: Leonardo di Caprio als Jack treibt
       im Wasser, Rose (Kate Winslet) kann sich nur knapp auf das Billy-Regal von
       Ikea retten, um nicht unterzugehen. Moment mal, Billy-Regal?
       
       So könnte die Zukunft von Produktplatzierungen bei Streaming-Diensten
       aussehen – zumindest wenn es nach dem britischen Unternehmen Mirriad geht.
       Das arbeitet seit einigen Jahren an einer künstlichen Intelligenz, die
       Markenprodukte digital in Bewegtbild einfügt und an die jeweiligen
       Zuschauer*innen anpasst. So könnte [1][Robert De Niro in „The Irishman“]
       zum Beispiel eine Rolex am Handgelenk tragen, wenn Abonnent*innen zuvor
       nach den teuren Uhren im Netz gestöbert haben.
       
       Mirriad will aber noch weitergehen und Markenprodukte dahingehend anpassen,
       zu welcher Tageszeit der Film oder die Serie angeschaut wird: am Morgen
       könnte etwa bei „How I met your Mother“ eine Packung Orangensaft auf dem
       Bar-Tisch stehen, abends eine Flasche Bier. Auch das Start-up Triplelift
       arbeitet an KI-basierter Werbung. Aktuell laufe in den USA eine
       Testversion, in Deutschland und Europa beginne die aber erst im kommenden
       Jahr, sagte ein Triplelift-Sprecher der taz.
       
       Um mit seinem Geschäftsmodell zu expandieren, kooperiert Mirriad [2][mit
       dem chinesischen Konzern Tencent], der [3][das Programm WeChat entwickelt
       hat]. Beide Unternehmen haben beim Europäischen Patentamt zwei Patente
       beantragt, um [4][Objekte in Videostreams einzeln nachzuverfolgen] und
       daraus Videodaten zu produzieren.
       
       Für Streamingdienste wie Netflix wäre das eine Chance auf neues Einkommen.
       Gegenüber analogem Product-Placement ist das Unternehmen schon jetzt sehr
       offen: Für seinen Serienhit „Stranger Things“ [5][schloss es Deals mit 75
       Unternehmen ab] und präsentierte eine breite Palette an Krimskrams:
       Nike-Sneaker, Coca-Cola, Dungeons and Dragons und [6][Polaroid-Kameras im
       80er-Jahre-Look], um die Authentizität der damaligen Zeit zu erhöhen. Wegen
       der immensen Markenanzahl [7][tauften Kritiker*innen die Serie in
       „Sponsored Things“ um].
       
       Zwar verlangt der Streamingdienst laut eigener Aussage kein bis wenig Geld
       für präsentierte Marken. Doch die gezeigten Produkte werben in der echten
       Welt indirekt für die Netflix-Produktionen und gewinnen so neue
       Abonnent*innen. In Stellenausschreibungen schrieb Netflix deshalb kürzlich,
       man wolle seine Marketing-Kampagnen mit Marken weiter intensivieren.
       
       Neues Geld muss dringend her – denn zuletzt stand das US-Unternehmen unter
       Druck, weil die Zahl der Abonnent*innen in den USA rückläufig ist und
       [8][neue Anbieter*innen wie Disney+ mit Kampfpreisen auf den Markt
       drängen]. Analysten verlangten daraufhin von Netflix, doch endlich Werbung
       zu schalten, um mehr Einnahmen zu generieren. Doch Geschäftsführer Reed
       Hastings [9][lehnte ab], weil das Unternehmen dadurch die im Schnitt
       31-jährigen Zuschauer*innen verprellen würde, die Werbeunterbrechungen
       hassen.
       
       Produktplatzierungen hingegen stören den Streaminggenuss kaum, und so wäre
       interaktives Product-Placement für Netflix ein viel naheliegender Schritt
       als Werbepausen. Bereits bei der Serie „El Dragón“ [10][hat das Unternehmen
       mit Mirriad zusammengearbeitet]; alle Pepsidosen und -werbetafeln fügte das
       KI-Unternehmen digital in die Folgen ein.
       
       ## Was weiß Netflix über User*innen? Eine ganze Menge
       
       Schon innerhalb eines Jahres könnte es mit der interaktiven
       Produktplatzierung losgehen, sagt Stephan Beringer, Geschäftsführer von
       Mirriad. Doch verschiedene Marketingexperten bezweifeln das: „Erfolgreiches
       Product-Placement setzt ein sehr gutes persönliches Beziehungsnetzwerk der
       verantwortlichen Manager in die Filmlandschaft voraus“, sagt Christoph
       Burmann von der Universität Bremen mit dem Fachbereich Markenmanagement.
       Das hat Netflix aktuell zwar schon, aber Burmann bleibt skeptisch: „Ich
       kann mir nicht vorstellen, dass KI in näherer Zukunft diese beiden
       Herausforderungen besser wird erledigen können als Menschen.“
       KI-Unternehmen wie Mirriad oder Triplelift sind hingegen vom interaktiven
       Markenplatzieren überzeugt und entwickeln fleißig weiter.
       
       Um Markenprodukte bei einzelnen Abonnent*innen treffsicher platzieren zu
       können, braucht Netflix eine Menge an Daten. Schon jetzt weiß der
       Streamingdienst [11][eine ganze Menge] von Abonnent*innen: Was sie sich
       ansehen, wie oft, wann sie vorspulen, wie oft sie auf Play drücken. Dadurch
       können sie Nutzer*innen ein möglichst passendes Programm zuschneiden und
       gleichzeitig viel über sie herausfinden: Politische Einstellungen oder
       mögliche Krankheitsbilder durch Dokumentationen ableiten. Oder anhand der
       angeschauten Serien und Filme, [12][wie die Stimmungslage der
       Zuschauer*innen] über das Jahr verteilt ist.
       
       Zwar sagt Geschäftsführer Reed Hastings, Netflix sei Datenschutz besonders
       wichtig. [13][Eine Studie hat jedoch herausgefunden], dass das
       Streaming-Unternehmen nicht ausreichend über die Datensammlung durch Dritte
       informiert. Damit Kate Winslet künftig anstatt auf einer Holztür auf einem
       Billy-Regal in „Titanic“ treibt, müsste Netflix noch mehr Nutzer*innendaten
       sammeln oder sie Dritten umfangreich zur Verfügung stellen. [14][Nach dem
       „Speedwatching“], bei dem User*innen Filme und Serien doppelt so schnell
       abspielen, und dem Wegfall von Abspännen nimmt [15][die Ökonomisierung des
       Ästhetischen] immer größere Dimensionen an.
       
       12 Feb 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Neuer-Scorsese-Film-The-Irishman/!5638284
   DIR [2] http://www.netimperative.com/2019/10/tencent-uses-ai-to-put-product-placement-ads-into-old-movies/
   DIR [3] /Social-Scoring-in-China/!5480926
   DIR [4] https://worldwide.espacenet.com/patent/search/family/043440898/publication/EP2418593A1?q=pn%3DEP2418593B1
   DIR [5] https://www.reddit.com/r/StrangerThings/comments/brbg96/netflix_said_it_had_teamed_up_with_about_75/
   DIR [6] https://us.polaroidoriginals.com/collections/stranger-things
   DIR [7] https://www.fastcompany.com/90370526/netflixs-stranger-things-is-dangerously-close-to-becoming-sponsored-things
   DIR [8] /Streamingdienst-Disney-in-Deutschland/!5658872
   DIR [9] https://variety.com/2019/digital/news/netflix-not-selling-advertising-streaming-1203270773/
   DIR [10] https://www.nytimes.com/2019/12/20/business/media/streaming-product-placement.html
   DIR [11] https://help.netflix.com/de/node/100624
   DIR [12] https://www.thedrum.com/news/2016/01/06/netflix-wants-be-able-match-shows-peoples-moods-it-ramps-bid-become-global-tv
   DIR [13] http://www.eu.boell.org/sites/default/files/2019-12/TACD-HBS-report-Final.pdf
   DIR [14] /Die-Zukunft-des-Films/!5650820
   DIR [15] https://www.bpb.de/apuz/287317/die-oekonomisierung-des-aesthetischen
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Denis Giessler
       
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