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       # taz.de -- Leben auf dem Mars: Haribos gegen den Lagerkoller
       
       > In Bremen hat Geophysikerin Christiane Heinicke ein Modell für ein
       > Habitat gebaut, das Leben und Arbeiten auf dem Mars ermöglichen soll.
       
   IMG Bild: Computeranimierte Marsbasis: So könnte das Habitat mal aussehen
       
       Bremen taz | Der Vinylboden unterhalb des „Habitats“ zeigt den rostfarbenen
       Marsboden samt Geröll. An den Seiten sind Leinwände mit [1][Mars]-Panorama
       und Sternenhimmel angebracht. Schnell wird deutlich: In dieser Halle des
       [2][Bremer Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie] (ZARM) ist man
       eigentlich ganz weit weg.
       
       Im Mittelpunkt der bebilderten Marslandschaft steht das massive „Habitat“:
       ein sechs Meter hohes, silbernes Modell ohne Fenster, das so aussieht wie
       Tic-Tac-Lutschdragees in Groß. So oder so ähnlich könnte der Bau aussehen,
       der das Leben über Monate und auch Jahre auf einem anderen Planeten
       ermöglichen soll.
       
       „Erst Mond, dann Mars“, die Augen des Ingenieurs Marcus Stadtlander
       leuchten aufgeregt, wenn er über das Vorhaben spricht. Sechs Module sollen
       einmal gebaut werden: zum Schlafen, Kochen, Entspannen und vor allem zum
       Arbeiten. Miteinander verbunden ergeben die verschiedenen Module dann das
       „Habitat“.
       
       In Bremen steht das Modell des Labor-Moduls. Eine kleine Treppe führt in
       das Innere, wo es aussieht wie in einem Science-Fiction-Film: Metallische
       Schränke an der Wand, Mikroskope und ein Handschuhkasten. Eine steile
       Treppe führt in eine zweite Etage, herunter geht es per Rutschstange, wie
       bei der Feuerwehr. Marvin, ein Mini-Roboter, ist die künstliche Intelligenz
       im Habitat. Er soll eines Tages als Allwissender mit auf Mission gehen und
       alle offenen Fragen der Crew beantworten. Marvin kann aber auch Musik
       spielen, klar.
       
       ## Wichtig ist die Gruppendynamik
       
       Wie wichtig alltägliche Dinge wie Musik und Filme in der kompletten
       Isolation des Alls sein können, weiß Christiane Heinicke. Die Geophysikerin
       ist die Initiatorin des „Habitat“-Projekts und hat die Erde schon einmal
       für ein Jahr verlassen – fast zumindest: Als erste Deutsche nahm sie am
       Nasa-Projekt „HI-SEAS“ teil.
       
       Gemeinsam mit fünf anderen WissenschaftlerInnen [3][verbrachte Heinicke ein
       Jahr] in einem vergleichbaren Habitat auf 2.500 Metern Höhe auf dem
       hawaiianischen Vulkan Mauna Loa, der in diesem Fall den Mars simulieren
       sollte. Ihr Habitat durften sie nur im Raumanzug für angekündigte Missionen
       verlassen, das Wasser war knapp, alle frischen Nahrungsmittel waren
       gefriergetrocknet (staubtrocken) und die Kommunikation zur „Erde“ nur
       eingeschränkt möglich.
       
       Dieses Nasa-Experiment diente vor allem psychologischen Forschungszwecken:
       Was macht es mit Menschen, wenn sie ein Jahr lang auf engstem Raum abseits
       von anderem Leben eingesperrt werden? Die Frage ist, natürlich, nicht
       einheitlich zu beantworten.
       
       Für Heinicke ist nach diesem Jahr aber klar, dass die Dynamik unter den
       Crew-Mitglieder ausschlaggebend ist für eine erfolgreiche Mission: „Bei
       Streit und Uneinigkeiten muss man sich immer wieder daran erinnern, dass
       man ein gemeinsames Ziel und die gleiche Motivation hat. Damit lässt sich
       vieles klären.“
       
       Sehr wichtig sei auch, dass man die Launen der anderen akzeptiert und jedem
       die Möglichkeit des Rückzugs gibt, „soweit man auf dem engen Raum überhaupt
       davon sprechen kann“.
       
       Gegen Depressionen und Heimweh hätten die WissenschaftlerInnen den Einsatz
       von Virtual-Reality-Brillen getestet, zu sehen war der Lieblingsstrand oder
       die Heimatstadt. „Das macht im ersten Moment vielleicht glücklich, aber es
       ist auch sehr frustrierend, weil es am Ende doch auch zeigt, was man gerade
       verpasst.“ Ein paar Haribo-Tüten hatten die WissenschaftlerInnen dabei, die
       hätten laut Heinicke immer sofort einen positiven Effekt gezeigt.
       
       Christiane Heinicke hat das Nasa-Projekt vor allem auch für ihre eigene
       Forschung und ihre Pläne für das Habitat genutzt. Etwas, was ihr nach dem
       Jahr in der Isolation Kopfschmerzen bereitet: Wasser. Die Frage, wie man
       eine kleine Gruppe von Menschen über ein Jahr auf dem Mond oder Mars mit
       Wasser für Nahrung, Hygiene und Forschung versorgt, bleibt bisher
       ungeklärt.
       
       Beteiligte WissenschaftlerInnen wollen eine Filteranlage entwickeln, die
       nicht nur Abflusswasser wieder sauber bekommt, sondern auch Wasser, das
       beispielsweise mit toxischem Mondstaub kontaminiert ist. Dass diese
       Filteranlage beim Stichwort Wasserknappheit auch für irdische Zweck von
       Belang sein könnte, ist für Ingenieur Stadtlander ein Argument mehr, das
       Projekt zu unterstützen. Die Raumfahrt sei immer auch von Nutzen für die
       „irdische“ Wissenschaft. „Das erkläre ich auch immer Leuten, wenn sie
       fragen: ‚Wieso das Ganze?‘“, sagt er.
       
       Zurzeit wird das Habitat-Projekt mit rund 380.000 Euro von der Klaus
       Tschira Stiftung finanziert. Wann und wie das Habitat tatsächlich mal auf
       dem Mond oder Mars landen soll, ist bisher noch unklar. Kooperationen mit
       der Nasa beispielsweise seien wegen der aktuellen Regierung schwierig, sagt
       Stadtlander sagt. Unter Trump ist für 2024 eine neue, [4][rein
       amerikanische, Mondmission] geplant.
       
       „In der Community fragt man sich, ob das wirklich sein muss“, sagt
       Stadtlander, da die Mission namens Artemis keine neuen Erkenntnisse bringe.
       Und: „Wenn da was passiert, jemand verunglückt und das in die
       Öffentlichkeit kommt, ist auch unser Projekt erst mal auf Eis gelegt, dann
       können wir das nicht mehr rechtfertigen.“
       
       Aber für den Fall, dass ihr Projekt in die Tat umgesetzt wird, will
       Heinicke als Astronautin mitfliegen. Ingenieur Stadtlander zögert: „Mond
       auf jeden Fall, Mars bin ich mir nicht sicher.“ Heinicke lacht: „Das ist
       dann doch ein bisschen länger.“ Ein kleines bisschen.
       
       31 Mar 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /ExoMars-Mission-des-Esa/!5349440
   DIR [2] https://www.zarm.uni-bremen.de
   DIR [3] /Physikerin-auf-simulierter-Marsmission/!5335156/
   DIR [4] /Plaene-zur-bemannten-Raumfahrt/!5469767
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sophie Lahusen
       
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