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       # taz.de -- Antisemitismus in der Kirche: „Judensau“ darf hängen bleiben
       
       > Das Oberlandesgericht Naumburg urteilt, dass die mittelalterliche
       > Darstellung an der Wittenberger Stadtkirche keine Beleidigung darstellt.
       
   IMG Bild: Die mittelalterliche Schmähskulptur an der Außenwand der Stadtkirche in Wittenberg
       
       Naumburg taz | Das antisemitische Relief einer „Judensau“ [1][an der
       Stadtkirche von Wittenberg] muss nicht entfernt werden. Das entschied am
       Dienstag das Oberlandesgericht Naumburg in der Berufungsverhandlung. Wegen
       der grundsätzlichen Bedeutung des Falls ließ das Gericht die Möglichkeit
       einer Revision zu.
       
       Der jüdische Kläger Michael Düllmann hatte von der Stadtkirchengemeinde
       verlangt, das Relief zu entfernen, da er sich durch die mittelalterliche
       Darstellung von Juden beleidigt sieht. Die gut 700 Jahre alte Darstellung
       zeigt eine Sau, an deren Zitzen an ihren spitzen Hüten erkenntliche Juden
       saugen, sowie einen Rabbiner, der dem Tier in den Anus schaut. Das Relief
       ist nur eines von etwa 20 antisemitischen Darstellungen aus dem
       Mittelalter, die bis heute an oder in Kirchen in Deutschland gezeigt
       werden.
       
       Der Vorsitzende Richter sagte in seiner Urteilsbegründung, dass dieses
       Relief früher zweifellos dazu gedient habe, Juden verächtlich zu machen und
       herabzuwürdigen. Auch sei die Stadtkirche für die Darstellung
       verantwortlich. Diese habe sich bewusst dafür entschieden, die „Judensau“
       nicht zu entfernen.
       
       Dennoch, so der Vorsitzende Richter Volker Buchloh, stelle das Relief heute
       keine Beleidigung mehr dar, denn die Darstellung habe durch das Hinzufügen
       einer Erklärtafel und eines Mahnmals einen anderen Charakter erhalten. So
       sei die „Judensau“ zu einem Teil von „Gedenk- und Erinnerungskultur“
       geworden. Die zur Erläuterung unterhalb des Reliefs angebrachte Tafel, so
       das Gericht, erwähnt die Judenverfolgungen im 15. und 16. Jahrhundert sowie
       den judenfeindlichen Charakter bestimmter Schriften Martin Luthers. Damit
       mache die Kirche deutlich, dass sie sich von „dem ehrverletztendem und
       verspottendem Charakter des Reliefs distanziert“.
       
       ## Museum keine Alternative
       
       In der Forderung des Klägers, das Relief in ein Museum zu verbringen und es
       dort entsprechend kommentiert auszustellen, vermochte der Richter keinen
       grundsätzlichen Unterschied gegenüber dem jetzigem Zustand der öffentlichen
       Zurschaustellung erkennen. Denn auch dort würde es im Sinne des Klägers
       seine beleidigende Wirkung fortsetzen. Somit müsste der Betreiber des
       Museums ebenfalls das Risiko eingehen, eine beleidigende Darstellung
       auszustellen.
       
       Von entscheidender Bedeutung aber sei, dass die Stadtkirche deutlich mache,
       dass sie „nicht beleidigen will“. Insofern sei die antisemitische
       „Judensau“ durchaus vergleichbar mit Nazi-Inschriften wie „Jedem das Seine“
       an den Toren von Konzentrationslagern. Auch diese hätten durch die
       Umgestaltung der ursprünglichen Lager zu Mahn- und Gedenkstätten ihren
       ursprünglich ehrverletztenden Charakter verloren.
       
       Das Verfahren um die „Judensau“ an der Kirche, an der Martin Luther einst
       seine Predigten hielt, hatte zu einer teils hitzigen Debatte in- und
       außerhalb der Evangelischen Kirche geführt. Der mitteldeutsche
       Landesbischof Friedrich Kramer empfahl eine Entfernung des judenfeindlichen
       Reliefs. Auch der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix
       Klein, äusserte sich in diesem Sinne.
       
       Der Streit dürfte mit dem Urteil nicht ausgestanden sein, zumal der
       77-jährige Kläger Michael Düllmann schon vor dem Urteil angekündigt hatte,
       notfalls durch alle Instanzen bis zum Europäischen Gerichtshof für
       Menschenrechte zu gehen, um die Entfernung der „Judensau“ zu erzwingen. Die
       nächste Instanz der Revision wäre der Bundesgerichtshof in Karlsruhe.
       
       4 Feb 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Prozess-gegen-Judenhass-Symbol-an-Kirche/!5654859
       
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   DIR Klaus Hillenbrand
       
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