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       # taz.de -- Berliner Reaktionen zur Thüringen-Wahl: CDU sieht kein Problem
       
       > Rot-rot-grün spricht von Tabubruch bei Wahl des FDP-Politikers Kemmerich
       > zum Thüringer Ministerpräsidenten. CDU: Demokratischer Vorgang.
       
   IMG Bild: Demo vor der FDP-Zentrale in Berlin am Mittwoch
       
       Berlin dpa | Die überraschende Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum
       Thüringer Ministerpräsidenten treibt auch die Berliner Politik um.
       Regierungschef Michael Müller (SPD) und andere Politiker der rot-rot-grünen
       Koalition zeigten sich am Mittwoch entsetzt darüber, dass [1][CDU und FDP
       Kemmerich gemeinsam mit der AfD ins Amt brachten]. Diese offenbar
       wohlkalkulierte Zusammenarbeit mit den – wie die Linke es formulierte –
       „Faschisten“ unter AfD-Landeschef und -Rechtsaußen Björn Höcke sei eine
       beispielloser Tabubruch in Deutschland. CDU und FDP sprachen hingegen von
       einem demokratischen Vorgang, die AfD von einer „bürgerlichen“ Wende in dem
       Bundesland.
       
       Die Wahl Kemmerichs im Landtag in Erfurt gilt als politische Kehrtwende.
       Der Unternehmer setzte sich bei der Abstimmung im entscheidenden dritten
       Wahlgang gegen den bisherigen Amtsinhaber Bodo Ramelow von der Linken
       durch. Ramelow hatte eine rot-rot-grüne Koalition geleitet, die seit der
       Landtagswahl im Herbst 2019 jedoch keine Mehrheit mehr hat. Allerdings
       wollten Linke, SPD und Grüne eine Minderheitsregierung bilden, der
       Koalitionsvertrag war schon unterzeichnet. Kemmerich will nun mit CDU, SPD
       und Grünen eine neue Regierung bilden – was die Sozialdemokraten und die
       Grünen ablehnen.
       
       Nach Einschätzung von Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller
       (SPD) ist die Wahl eine „einschneidende Zäsur für Deutschland und ein
       Tiefpunkt unserer parlamentarischen Demokratie“. „FDP und CDU haben den
       Konsens der Demokratie verlassen und machen sich mit Rechtspopulisten
       gemein. Wir müssen Deutschland jetzt noch mehr auf Kurs halten im Kampf
       gegen Rechts und als weltoffenes Land bewahren“ erklärte der
       SPD-Landesvorsitzende. „Was sind da die Worte und Sonntagsreden der
       CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer und der Bundeskanzlerin Angela
       Merkel wert, nicht mit den Rechten zusammenzuarbeiten, wenn in Thüringen
       die CDU gemeinsame Sache mit Leuten wie Höcke macht?“, fragte er. „Das
       nenne ich Weimarer Verhältnisse.“
       
       Berlins Linke-Vorsitzende Katina Schubert sagte der Deutschen Presse-
       Agentur, zwei bürgerliche Parteien hätten gemeinsame Sache mit „Faschisten“
       gemacht, die nun Einfluss auf die Regierungspolitik bekämen. Durch
       [2][diesen Tabubruch sei großer Schaden für die Demokratie in Deutschland]
       entstanden. „Wenn der Kandidat einer Partei, die gerade Mal fünf Prozent
       erreicht hat, Ministerpräsident wird, wird jedem klar, dass das unheilvoll
       für die Demokratie ist.“ Daher könne es nur einen Weg geben: Den Rücktritt
       Kemmerichs und eine Neuwahl. „Das Experiment von FDP, CDU und AfD in
       Thüringen mit einem Ministerpräsidenten einer Fünf-Prozent-Partei muss
       sofort beendet werden“, so Schubert.
       
       ## „Paktieren mit Rechtsextremisten“
       
       Dem schloss sich auch die Grünen-Landesvorsitzende Nina Stahr an, die sich
       „absolut fassungslos“ zeigte. „Für den eigenen Vorteil paktieren CDU und
       FDP offen mit Rechtsextremisten und treten demokratische Grundwerte mit
       Füßen“, sagte sie der dpa. Das sei ein Dammbruch in der
       Nachkriegsgeschichte Deutschlands. „Wer eine freie und offene Gesellschaft
       will, weiß in Zukunft, auf wen er sich verlassen kann, und auf wen nicht.“
       FDP und CDU auf Bundesebene und in Berlin müssten sich klar von ihren
       Thüringer Landesverbänden distanzieren.
       
       Das forderte auch SPD-Fraktionschef Raed Saleh. „Das ist ein Desaster für
       die Demokratie. Man kann sich nicht von Nazis wählen lassen und auch nicht
       mit ihnen zusammenarbeiten“, sagte er der dpa. „Was heute in Thüringen
       passiert ist, erinnert ganz stark an die schlimmsten Tage der deutschen
       Geschichte“, so Saleh. „Wer glaubt, die Nazis kontrollieren zu können, der
       irrt. FDP und CDU gefährden in ihrer Machtbesessenheit die deutsche
       Demokratie. Das ist längst mehr als zündeln.“
       
       CDU-Fraktionschef Burkard Dregger wies die harschen Attacken zurück. „Das
       ist eine demokratische Entscheidung, die nicht zu kritisieren ist“, sagte
       Dregger der dpa. Die [3][Abwahl Ramelows] sei zu begrüßen. Die CDU habe den
       aus ihrer Sicht besseren Kandidaten gewählt und sei nicht verantwortlich
       für das Abstimmungsverhalten anderer Parteien.
       
       „Einen Grund für Neuwahlen sehe ich nicht“, fügte Dregger hinzu. „Der
       Wähler hat entschieden, die Parteien müssen damit umgehen und haben das am
       Mittwoch im Landtag getan.“ Nun müssten dort alle Fraktionen das Gespräch
       suchen. Der CDU-Vorsitzende Kai Wegner sagte: „Die AfD darf unter keinen
       Umständen an der Regierung beteiligt werden.“ An seinem Kurs ändere sich
       nichts, so Wegner. „Es wird keine Zusammenarbeit mit Linken oder AfD
       geben.“
       
       FDP-Landeschef Christoph Meyer erklärte, sein Parteifreund Kemmerich könne
       Thüringen besser machen. Er habe sich vor der Landtagswahl klar von der AfD
       abgegrenzt. „Diese Position ist auch nach seiner Wahl nicht verhandelbar.“
       FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja plädierte für eine „starke Koalition der
       Mitte“ in Thüringen. „Aus diesem Grund gilt für uns nach wie vor, dass eine
       Regierungsbildung mit AfD oder Linken nicht in Frage kommt.“
       
       AfD-Fraktionschef Georg Pazderski richtete Glückwünsche nach Thüringen „für
       dieses unmissverständliche Zeichen“. Deutschland ist noch nicht verloren“,
       erklärte er. „Endlich wird deutlich, dass es eine Mehrheit gegen die
       linksrotgrüne Vorherrschaft nicht nur auf dem Papier gibt.“ Mit der AfD sei
       „eine Abkehr vom Kurs der Deindustrialisierung, des Autohasses, der
       Klimahysterie sowie von Gender-Gaga und Antifa-Gewalt“ möglich, sagte er
       weiter.
       
       ## Brandenburg: CDU gratuliert
       
       Die SPD in Brandenburg hat entsetzt auf die Wahl des FDP-Politikers Thomas
       Kemmerich reagiert, der mit den Stimmen von CDU und AfD zum neuen Thüringer
       Ministerpräsidenten gewählt wurde. „Ich bin schockiert über die Ereignisse
       in Thüringen“, erklärte SPD-Generalsekretär Erik Stohn. Die Thüringer FDP
       und die CDU seien damit zum Steigbügelhalter des rückwärts gerichteten und
       rechtsextremen Gedankenguts der Höcke-AfD geworden. „Dieses Gedankengut
       darf kein Zugang zur Regierungsverantwortung bekommen.“
       
       Die CDU gratulierte Kemmerich zur Wahl. Die Abgeordneten des Thüringer
       Landtags hätten Kemmerich in einer demokratischen Abstimmung zum
       Ministerpräsidenten gewählt. „Dazu gebührt ihm in seinem neuen Amt unser
       Glückwunsch“, erklärte Landeschef Michael Stübgen. Dass Thüringens Politik
       in keiner einfachen Lage sei, sei nach dem Ergebnis der Landtagswahl klar
       gewesen.
       
       Für die Grünen ist die Wahl Kemmerichs ein „absoluter Dammbruch“, wie
       Landeschefin Julia Schmidt erklärte. „Die FDP klammert sich verzweifelt an
       jeden Strohhalm, um nicht in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Die CDU
       Thüringen nimmt alles billigend in Kauf.“ Sie unterstütze damit
       parlamentarisches Paktieren mit Rechtsextremen, erklärte Schmidt.
       
       Die Landesvorsitzende der Linken, Anja Mayer, bezeichnete die Wahl
       Kemmerichs als einen „Erdrutsch für die Demokratie.“ Sie öffne die Tür für
       eine weitere Zusammenarbeit mit der offen faschistisch agierenden AfD. „Wer
       eine solche Wahl annimmt, hat jeden demokratischen Kompass verloren!“,
       erklärte Mayer.
       
       6 Feb 2020
       
       ## LINKS
       
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