# taz.de -- Parlamentswahl in Aserbaidschan: Alijew schreckt sie nicht ab
> Der aserbaidschanische Präsident İlham Alijew herrscht seit Jahrzehnten
> mit harter Hand. Junge AktivistInnen wie Togrul Iskenderli fordern ihn
> heraus.
IMG Bild: Tritt am Sonntag für die liberale ReAI-Partei an: Togrul Iskenderli beim Wahlkampf in Gandja
Berlin taz | Togrul Iskenderli verbringt derzeit seine Tage auf Straßen und
Schienen. Seit Mitte Dezember pendelt der Aserbaidschaner zwischen der
Hauptstadt Baku und der knapp 400 Kilometer entfernten zweitgrößten Stadt
Gandja, wo er aufgewachsen ist. Dort tritt Iskenderli bei den
Parlamentswahlen am Sonntag für die liberale ReAl-Partei an, eine von drei
oppositionellen Gruppierungen.
In Anspielung auf den Parteinamen lautet sein Wahlslogan: „Gandjas
wirklicher (realer) Vertreter“. „Falls ich denn ins Parlament komme, kann
ich wohl kaum auf Gesetze Einfluss nehmen. Ich sehe mich eher als
Interessenvertreter der Menschen in meinem Wahlkreis“, sagt der 34-Jährige,
der 2019 an der Freien Universität Berlin einen Master in Europastudien
gemacht hat.
Iskenderli ist einer von zahlreichen jungen AktivistInnen und unabhängigen
KandidatInnen, die sich erstmals um einen der 125 Parlamentssitze bewerben.
Eigentlich hätten die Wahlen erst gegen Jahresende stattfinden sollen. Doch
dann verfügte [1][İlham Alijew], der seit 2003 amtierende autokratische
Präsident, auf Initiative seiner übermächtigen Partei Neues Aserbaidschan
im Dezember die Auflösung der Volkskammer und setzte Neuwahlen an.
Böse Zungen behaupten, Alijew gehe es vor allem um die Übertragung von mehr
Kompetenzen an seine Frau Mehriban Alijewa – sie ist seit 2017 erste
Vize-Präsidentin – um so die Macht seiner Familie zu zementieren.
## KritikerInnen leben gefährlich
Der Alijew-Clan, dessen korrupte Machenschaften mutige
Investigativjournalisten mehrfach beschrieben haben, hat das Land fest im
Griff. Wer Alijew kritisiert, lebt gefährlich. 112 Personen sitzen aus
politischen Gründen im Gefängnis, fünf davon sind [2][JournalistInnen].
Oppositionelle Medien wie Radio Liberty werden regelmäßig landesweit
blockiert.
Unter Alijew verlief bislang keine Wahl frei und fair. Auch vor der
Abstimmung am Sonntag haben Organisationen, wie das in Aserbaidschan
ansässige EMDS (Election Monitoring and Democracy Studies Center),
zahlreiche Verstöße gegen die Wahlgesetze dokumentiert.
So wurden Kandidaten genauso unter Druck gesetzt wie deren
UnterstützerInnen, die halfen, die für eine Registrierung erforderlichen
450 Unterschriften zu sammeln. Studenten einer Hochschule wurde mit
Exmatrikulation gedroht, sollten sie die Unterstützung für ihren Kandidaten
nicht einstellen. Einem Bewerber schlug der Vertreter der örtlichen
Wahlkommission ins Gesicht, um ihn zur Rücknahme seiner Kandidatur zu
bewegen.
Rasul Jafarovw und Zaur Gurbanli verweigerten die zuständigen
Wahlkommissionen die Registrierung – mit der Begründung, es seien noch
strafrechtliche Fragen ungeklärt. Beide sind Menschenrechtsaktivisten,
wurden in zweifelhaften Prozessen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt
und vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen.
## Ignorante Wahlbehörden
Im Dezember forderte der Ministerrat des Europarates Aserbaidschans
Regierung auf, Jafarow und Gurbanli ihre bürgerlichen und politischen
Rechte wiederzugeben – damit auch das passive Wahlrecht. Diesen Beschluss
ignorierten die Wahlbehörden.
Wer außerhalb des Alijew-Lagers antreten darf, wird vom staatlichen
Rundfunk und Fernsehen ignoriert und muss den Wahlkampf vor allem in den
sozialen Medien bestreiten. Auch Togrul Iskenderli. Er glaubt, dass die
Wahlen diesmal allenfalls teilweise frei und fair verlaufen werden.
Dennoch sei für ihn und seine Partei ein Boykott keine Alternative gewesen.
„In einem Land wie Aserbaidschan ist das Parlament der beste Ort, um über
einen Dialog Reformen anzustoßen“, sagt er. „Darauf setze ich meine
Hoffnung.“
8 Feb 2020
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## AUTOREN
DIR Barbara Oertel
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