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       # taz.de -- Weitergabe von Abtreibungsadressen: Beihilfe zur Straftat
       
       > Ärzt*innen, die Daten einer ausländischen Abtreibungsklinik nennen,
       > können verurteilt werden. Frauen nur, wenn sie sich nicht haben beraten
       > lassen.
       
   IMG Bild: Ärzt*innen, die Adressen weitergeben, können verurteilt werden. Müssen sie aber nicht
       
       Amsterdam/Bremen taz | Nach dem [1][Paragrafen 218a] des deutschen
       Strafgesetzbuchs ist es nicht strafbar, in den Niederlanden eine
       Schwangerschaft abbrechen zu lassen. Die Voraussetzung ist, dass die Frau
       sich vorher in Deutschland von einer anerkannten Stelle hat beraten lassen.
       Dies gilt bis zur 22. Woche nach Empfängnis – also bis zur 24. Woche nach
       der letzten Regelblutung. In Deutschland bräuchte sie ab der 12. Woche nach
       Empfängnis zusätzlich eine medizinische Indikation – die nicht alle
       bekommen.
       
       Nach niederländischem Gesetz sind Abtreibungen bis zur 24. Woche nach der
       letzten Regelblutung legal. Vorgeschrieben ist ein Beratungsgespräch mit
       einer Ärztin oder einem Arzt sowie eine Bedenkzeit von fünf Tagen. Nach der
       24. Schwangerschaftswoche, dem Beginn der Lebensfähigkeit außerhalb des
       Mutterleibs, gelten Abtreibungen auch in den Niederlanden als Straftat.
       Ausnahmen sind nur nach eingehender Prüfung möglich.
       
       Deutsche Ärzt*innen und Berater*innen dürfen gegenüber Betroffenen angeben,
       dass in anderen Ländern andere Abtreibungsgesetze gelten. Wer aber einer
       Frau die Adresse einer holländischen Abtreibungsklinik nennt, kann wegen
       Beihilfe zu einer Straftat verurteilt werden – denn eine solche bleibt der
       Schwangerschaftsabbruch, selbst wenn die Frau sich nach §218a nicht
       strafbar macht.
       
       Das erklärt der Strafrechtsprofessor Hans Kudlich von der Universität
       Erlangen-Nürnberg. Kudlich hat in den Juristischen Arbeitsblättern ein
       [2][Urteil des Oberlandesgerichts Oldenburg] kommentiert. Dieses hatte 2013
       den Fall eines Arztes verhandelt, der einer in der 17. Woche schwangeren
       Patientin einen Zettel mit der Adresse der Klinik in Utrecht gegeben hatte.
       
       ## Freispruch vor dem Landgericht Aurich
       
       Der Arzt wurde letztendlich vom Landgericht Aurich, wohin der Fall zurück
       verwiesen worden war, freigesprochen. Das sagte ein Sprecher der
       Staatsanwaltschaft der taz. Nach Kudlichs Einschätzung kann ein Gericht zu
       dem Schluss kommen, dass ein Arzt adäquat im professionellen Sinne – und
       damit nicht strafrechtlich relevant – handelt, wenn er einer Patientin
       einen medizinischen Rat gibt, wo sie die beste Behandlung erfahren würde.
       
       Laut der [3][Polizeilichen Kriminalstatistik] ermittelt die Polizei seit
       2009 jährlich in 70 bis 80 Fällen wegen des Verstoßes gegen den Paragrafen
       218. Hinzu kommen weitere Verfahren bei den Staatsanwaltschaften. In vielen
       Fällen handelt es sich nach taz-Recherchen um Untersuchungen nach
       Fetoziden, wenn also Föten vor dem Abbruch getötet werden.
       
       Wenn Staatsanwaltschaften die rechtsmedizinischen Akten nach einem Fetozid
       nicht reichen, leiten sie von Amts wegen ein Ermittlungsverfahren ein. Aus
       diesem Grund hat die Universitätsklinik Gießen nach Angaben des Direktors
       des rechtsmedizinischen Instituts, Reinhard Dettmeyer, 2012 ein
       [4][systematisches Verfahren] eingeführt, das die Anforderungen der
       Staatsanwaltschaft erfüllt. „Seitdem haben wir keine strafrechtlichen
       Ermittlungsverfahren und Beschlagnahmungen von Föten gehabt.“
       
       12 May 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__218a.html
   DIR [2] http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=KORE208012013&st=null&showdoccase=1
   DIR [3] https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/PolizeilicheKriminalstatistik/2018/BKATabellen/FaelleLaenderKreiseStaedte/BKA-LKS-F-01-T01-Laender_excel.xlsx?__blob=publicationFile&v=3
   DIR [4] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5406231/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eiken Bruhn
   DIR Tobias Müller
       
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