# taz.de -- Türkei und Syrien: Der Krieg im Nachbarland
> Droht ein türkisch-syrischer Krieg? Mit der steigenden Zahl toter
> Soldaten gerät Erdoğan unter Druck, die türkische Armee direkt ins Feld
> zu führen.
IMG Bild: Mobilmachung in Idlib: von der Türkei unterstützte syrische Kämpfer am Montag in al-Mastuma
Istanbul taz | Die Türkei und das syrische Regime steuern in Syrien auf
einen direkten Krieg zu. Nachdem am Montagmittag [1][fünf türkische
Soldaten getötet] und fünf weitere bei ihrem Einsatz in der syrischen
Rebellenprovinz Idlib schwer verletzt wurden, reagierte die türkische Armee
mit einem massiven Vergeltungsschlag. Nach Angaben des türkischen
Verteidigungsministeriums wurden dabei mehr als 100 syrische Soldaten
„neutralisiert“ – also entweder getötet oder verwundet.
„Nach ersten Informationen aus verschiedenen Quellen wurden 101 Elemente
des Regimes außer Gefecht gesetzt“, teilte ein Militärsprecher am
Montagabend in Ankara mit. Es war bereits der zweite schwere Zusammenstoß
zwischen dem türkischen Militär und Truppen des Regimes von Baschar
al-Assad [2][innerhalb von wenigen Tagen].
Auf allen Titelseiten der türkischen Zeitungen waren am Dienstagmorgen die
Fotos der fünf in Idlib getöteten Soldaten abgebildet. „Es reicht“, titelte
das Massenblatt Sözcü, und der Chefkommentator von Hürriyet, Sedat Ergin,
spricht von der gefährlichsten Situation in Syrien überhaupt.
Auslöser für die Eskalation in Idlib war ein Vormarsch der syrischen
Regierungstruppen, denen es in den letzten zwei Wochen mit starker
russischer Luftunterstützung gelungen ist, den Süden der Provinz Idlib
wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Am Wochenende konnten sie auch die
strategisch wichtige Stadt Saraqeb erobern.
Saraqeb ist ein Verkehrsknotenpunkt, an dem die beiden Autobahnen M4 und M5
zusammentreffen, die Damaskus und Latakia jeweils mit Aleppo verbinden. Die
Kontrolle insbesondere der M5 von Damaskus nach Aleppo ist ein wichtiges
Ziel der Assad-Truppen.
Bei dem Vormarsch waren schon vor einer Woche sechs türkische Soldaten und
zwei zivile Fahrer der Armee getötet worden, die Nachschub zu einem der
zwölf türkischen Beobachtungsposten in Idlib bringen sollten. Seitdem hat
die türkische Armee ihre Präsenz in Idlib massiv verstärkt.
Pausenlos rollen seitdem Lastwagen und Panzertransporter über den
Grenzübergang bei Reyhanlı nach Idlib. Bis zu 6.000 türkische Soldaten
sollen bereits in Idlib sein. Türkische Medien zeigen den Vormarsch der
Soldaten auf der Straße von Reyhanlı in die Provinzhauptstadt Idlib. Der
Zusammenstoß vom Montag ereignete sich in unmittelbarer Nähe von
Idlib-Stadt, wo die türkische Armee auf dem ehemaligen Luftwaffenstützpunkt
Taftanas eine neue Basis aufbaut.
## Erdoğan fordert Rückzug
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte bereits vor Tagen
verkündet, er werde ein weiteres Vorrücken der Regimetruppen nicht dulden.
Die Assad-Armee [3][müsse sich auf eine Waffenstillstandslinie von Dezember
zurückziehen], andernfalls werde die türkische Armee in die Kämpfe
eingreifen. Stattdessen verstärkten aber die Regimetruppen ihre Angriffe
und eroberten noch Saraqeb.
Die Rebellenmilizen in Idlib, unter ihnen die mit al-Qaida verbündete
islamistische Hai'at Tahrir al-Scham (HTS), konnten dem Druck der
Assad-Truppen und den russischen Bombenangriffen nicht mehr standhalten und
haben sich weitgehend nach Idlib-Stadt zurückgezogen. Das zuletzt von den
Assad-Truppen eroberte Saraqeb ist nur noch 15 Kilometer von der
Provinzhauptstadt entfernt.
Erdoğan, der die Rebellengruppen seit Jahren mit Waffen, Munition und Geld
unterstützt, ist jetzt gezwungen, die türkische Armee direkt ins Feld zu
führen, um den völligen Zusammenbruch der Islamisten und der wenigen noch
vorhandenen säkular-demokratischen Aufständischen zu verhindern.
Doch mit der steigenden Zahl toter türkischer Soldaten gerät er immer
stärker unter Druck. In der türkischen Öffentlichkeit ist der Krieg in
Syrien denkbar unpopulär, die Opposition fordert schon lange direkte
Gespräche mit Assad, um den Krieg zu beenden. Nur um zu verhindern, dass
erneut tausende syrische Flüchtlinge über die Grenze in die Türkei kommen,
wird in der türkischen Bevölkerung der Einsatz der Armee in Syrien noch
unterstützt.
Seit Tagen versucht Erdoğan deshalb, seinen „Kooperationspartner“ Wladimir
Putin dazu zu bringen, dass dieser seinen Protegé Assad daran hindert, in
Idlib weiter vorzurücken. Bislang vergeblich. Eine russische Delegation
verhandelt zwar seit drei Tagen mit Unterbrechungen in Ankara, doch es
konnte „keine Einigung erzielt werden“, wie Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu
am Montagabend zugab. Angestrebt wird jetzt, dass sich Erdoğan mit Putin in
den nächsten Tagen direkt trifft.
11 Feb 2020
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## AUTOREN
DIR Jürgen Gottschlich
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