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       # taz.de -- Parteienforscher über CDU: „Führungsvakuum schnell beenden“
       
       > Nach Thüringen und Kramp-Karrenbauers Rücktritt ist die CDU in der Krise.
       > Der Politologe Oskar Niedermayer spricht über die Folgen für die
       > Demokratie.
       
   IMG Bild: Angela Merkel zieht sich in ihr Büro zurück
       
       taz: Herr Niedermayer, die CDU-Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer
       hat angekündigt, auf die Kanzlerkandidatur sowie den Parteivorsitz zu
       verzichten. War diese Entscheidung folgerichtig, nachdem sie sich im
       Thüringer Landesverband mit ihrer Position nicht durchsetzen konnte? 
       
       Oskar Niedermayer: Sie war schon folgerichtig, kam jedoch etwas
       überraschend. Letztendlich führte wohl kein Weg daran vorbei.
       Kramp-Karrenbauer hat von Anfang an nicht sehr glücklich agiert und einige
       Fehler gemacht. In der Thüringen-Frage hat sie zwar durchaus eine klare
       Haltung vertreten, aber das Problem war eben, dass sie sowohl vor als auch
       nach der Wahl in Thüringen nicht die Autorität hatte, diese Haltung dem
       Thüringer Landesverband so zu verdeutlichen, dass er ihr gefolgt wäre.
       
       Armin Laschet oder Friedrich Merz – wer hat die größten Chancen auf
       Kramp-Karrenbauers Nachfolge? 
       
       Es dreht sich ja bekanntlich um vier Leute, wobei ich den Vierten, Herrn
       Söder, gleich ausnehmen würde. Ich sehe nicht, dass er das Risiko eingehen
       würde, jetzt zu kandidieren. Bei Herrn Spahn glaube ich, dass seine Zeit
       noch nicht gekommen ist; also wird es auf [1][Laschet oder Merz]
       hinauslaufen.
       
       Das Problem ist, dass beide ganz klare Exponenten der beiden Teile der
       Partei sind, die sich jetzt noch unversöhnlicher gegenüberstehen. Auf der
       einen Seite der eher wirtschaftspolitisch soziale und
       gesellschaftspolitisch liberale Teil und auf der anderen Seite der
       marktfreiheitliche und konservative Teil der CDU.
       
       Diese Spaltung zeigt sich auch im Umgang mit der AfD. Einerseits schließt
       die Bundes-CDU eine Zusammenarbeit mit der AfD grundsätzlich aus.
       Andererseits werden insbesondere in den ostdeutschen Landesverbänden
       Stimmen lauter, die sich eine Zusammenarbeit durchaus vorstellen können.
       Droht sich die CDU an dieser Frage zu spalten? 
       
       Ich glaube nicht, dass eine Spaltung der CDU droht, aber es ist natürlich
       eine ganz schwierige inhaltliche Frage. Diese Frage wird von der Führung
       der Bundes-CDU ganz eindeutig beantwortet, aber in den Ländern und auch in
       Teilen im Bund sieht es ein bisschen anders aus.
       
       Ich glaube, dass es ganz wesentlich für den neuen Vorsitzenden sein wird,
       hier klare Kante zu zeigen und nicht auf den Vorwurf reinzufallen, dass die
       CDU nun einen Rechtsruck mache. Man kann durchaus in vielen
       gesellschaftlichen Bereichen konservativere Positionen einnehmen und
       dennoch eine ganz klare Abgrenzung zu einer Partei vertreten, die in Teilen
       und in den ostdeutschen Landesverbänden mehrheitlich rechtsextrem ist.
       
       Durch das Erstarken der AfD werden Koalitionen zwischen zwei oder drei
       Parteien zunehmend unwahrscheinlicher. Welche Folgen hat diese Entwicklung
       auf die parlamentarische Demokratie? 
       
       Zunächst einmal ist es nicht schlimm für die parlamentarische Demokratie,
       wenn es statt der traditionellen Zwei-Parteien-Regierung mit einer großen
       und einer kleinen Partei jetzt Koalitionen mit mehr Parteien gibt.
       Problematisch wird es dann, wenn diese Koalitionen aus Parteien bestehen,
       die eigentlich nicht zueinander passen und sich nur als Gegenpart zur AfD
       zusammenfinden. Dann wird die AfD in ihrer Opferrolle bestärkt und kann von
       einem „Altparteienkartell“ gegen sie sprechen.
       
       Sind Minderheitsregierungen das Modell der Zukunft? 
       
       Neben den angesprochenen lagerübergreifenden Koalitionsoptionen gibt es
       auch noch eine andere Möglichkeit – und das ist eine Minderheitsregierung.
       Das ist in Deutschland auf der Bundesebene noch schwer durchzusetzen, aber
       auf der Landesebene hat es die schon gegeben. Die waren zum Teil allerdings
       nicht erfolgreich. Es spricht parlamentarismustheoretisch jedoch nichts
       gegen eine Minderheitsregierung, die sich für ihre politischen Vorhaben die
       Mehrheiten von Fall zu Fall suchen muss. Und das wäre die Option gewesen,
       die für Thüringen hätte funktionieren können.
       
       Was bedeutet diese Entwicklung der Parteienlandschaft für zukünftige
       Koalitionsoptionen im Bund? 
       
       Das hängt davon ab, inwieweit sich diese Zersplitterung der
       Parteienlandschaft im Bund jetzt fortsetzt. Wir sehen schon jetzt, dass wir
       nicht mehr drei große Volksparteien haben, sondern nur noch zwei oder
       vielleicht sogar nur noch eine – in Gestalt der CSU. Die SPD kann diese
       Eigenschaft zumindest im letzten Jahr mit 13, 14 Prozent nicht mehr für
       sich in Anspruch nehmen.
       
       Die CDU gerät in die Gefahr, auch deutlich zu verlieren. Insbesondere wenn
       sie dieses Führungsvakuum nicht möglichst schnell und in einer sinnvollen
       Weise beendet. In einem stark fragmentierten Parteiensystem wird die
       Regierungsbildung immer schwieriger und es leidet vor allem auch die
       Regierungsstabilität, wie es in anderen Ländern der Fall ist.
       
       Die CDU steht unter Druck, da sie zunehmend Wähler*innen an die Grünen auf
       der einen und an die AfD auf der anderen Seite verliert. Wie muss sich die
       CDU positionieren, damit sie diese Entwicklung umkehrt? 
       
       Die entscheidende Frage ist, inwieweit die CDU es schaffen kann, [2][keinen
       Rechtsruck zu vollführen], aber trotzdem ihr Wertefundament wieder in eine
       sinnvolle Balance zubringen. Die drei Säulen der CDU sind der
       wirtschaftspolitische Liberalismus, der gesellschaftspolitische
       Konservatismus und das christliche Menschenbild. Unter Frau Merkel hat sich
       die CDU wirtschafts- und auch gesellschaftspolitisch – in Anführungszeichen
       – nach links bewegt. Das hat sehr lange sehr gut funktioniert und neue
       Wählerschichten erschlossen, aber es ist eben an eine Grenze gekommen.
       
       Jetzt ist die Frage: Kann man die konservative gesellschaftspolitische
       Seite wieder so weit stärken, dass die CDU die Chance hat, diejenigen
       Wähler zurückzugewinnen, die die AfD aus Protest wählen und nicht weil sie
       ideologische Hardliner sind, ohne dass man gleichzeitig die klare Kante
       gegen Rechtsextremismus aufgibt? Das ist die wesentliche Aufgabe, die der
       neue Vorsitzende der CDU hat.
       
       Wird dies gelingen, wenn es vonseiten der Werteunion oder von
       Landesverbänden wie Sachsen-Anhalt Bestrebungen gibt, mit der AfD
       zusammenzuarbeiten? 
       
       Das ist genau das Problem. Man hat ja in einer Bundespartei keine
       Durchgriffsmöglichkeit, da wir hier in Deutschland keine zentralistisch
       gesteuerten Parteien haben, in denen der Parteivorsitzende Befehle erteilen
       kann und die regionalen Gliederungen sich danach zu richten haben. Man muss
       eine persönliche Autorität haben, um die Leute inhaltlich zu überzeugen.
       [3][Diese Autorität hatte Kramp-Karrenbauer nicht.] Ob der nächste
       Vorsitzende sie haben wird, steht offen. Wenn man die harte Linie
       durchziehen will, darf man in letzter Konsequenz auch nicht vor
       Parteiausschlussverfahren zurückschrecken, wenn bestimmte Mitglieder diese
       Linie offensichtlich überschreiten.
       
       Was bedeutet der Rückzug von AKK für die Große Koalition? 
       
       Ich glaube nicht, dass das jetzt noch als Grund genommen werden kann, um
       die Koalition zu beenden. Es ist jedoch eine weitere Schwierigkeit, weil
       das Vertrauen der Parteien weiter darunter leidet. Es wird auch nicht
       einfacher werden in der Regierung, wenn sich die CDU jetzt fast ein Jahr
       lang mit sich selbst beschäftigt und in einen innerparteilichen Wahlkampf
       kommt. Deswegen würde ich nicht dazu raten, bis zum nächsten ordentlichen
       Parteitag im Dezember zu warten. Das muss alles viel früher geregelt
       werden.
       
       11 Feb 2020
       
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