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       # taz.de -- „Švejk/Schwejk“ in Augsburg: Dieser Schelm ist nicht zu fassen
       
       > Ein Antiheld als ewige Baustelle: Armin Petras inszeniert „Švejk/Schwejk“
       > beim Augsburger Brecht-Festival mit einem deutsch-tschechischen Ensemble.
       
   IMG Bild: Die Castingshow zur Frage, „Wie lavieren wir heute?“
       
       Da steht er auf einem niedrigen Sockel: Ein Mann wie ein Standbild, das
       noch am Werden ist. Feuchter Lehm pappt ihm am antiheldenhaft pummeligen
       Körper, in den jeder mit seinen Fingern und Fantasien Spuren ziehen kann.
       Tomáš Milostný ist Švejk oder Schwejk auf der Martini-Park-Bühne des
       Staatstheaters Augsburg, das sich anlässlich des [1][alljährlichen
       Brecht-Festivals] gemeinsam mit den Städtischen Bühnen Prag auf eine
       „Spurensuche“ begeben hat.
       
       In deren Zentrum steht die literarische Figur, die den Tschechen das ist,
       was den Deutschen der Faust bedeutet: „Švejk/Schwejk“, wie der Abend heißt,
       trägt diesen „Faust von unten“ im Doppel-Titel, der je nach Gesinnung als
       „Anti-Bürger“ gilt, als Anarchist oder als größter Trottel der
       Weltliteratur.
       
       Sein Erfinder Jaroslav Hašek hat dem Soldaten, der durch wortwörtliche
       Befehlsbefolgung das Getriebe der monströsen Kriegsmaschinerie zersetzt,
       einige seiner eigenen Erfahrungen im Ersten Weltkrieg mitgegeben. Mehr als
       ein Jahrzehnt schrieb er an seinem Schelmenroman, der 1923 erschien, aber
       unvollendet blieb. Auch Bertolt Brecht, der seit den dreißiger Jahren
       versuchte, Schwejks subversive Schlitzohrigkeit von der Donaumonarchie in
       ein NS-Szenario zu transplantieren, wurde damit nie fertig.
       
       ## Zunehmende Verzweiflung
       
       Darum macht der lehmbeschmierte Golem doppelt Sinn, der auf seinem
       Söckelchen duldsam vor sich hin lächelt, während Eva Salzmannová aus
       Brechts Briefwechsel mit „Erwin“ (Piscator), „Ruth“ (Berlau) und „Kurt“
       (Weill) vorliest, der von Brechts zunehmender Verzweiflung an diesem Stoff
       kündet. Er kann nicht vollendet werden, dieser Schwejk, so in etwa lässt
       sich wohl die Grundidee des [2][Regisseurs Armin Petras] lesen, weil jeder,
       der sich an ihm versucht, seine eigene Zeit- und Weltwahrnehmung in ihn
       hineinschreibt.
       
       Damit steht er für den permanenten Wandel wie das kreative Scheitern
       selbst. Was das Augsburger Lehm-Standbild allerdings nicht wahrhaben mag.
       Denn als es hört, dass das Stück mit seinem Namen zu Brechts Lebzeiten nie
       zur Aufführung kam, entfährt ihm ein „Scheiße“ – mit böhmisch-weichem „s“.
       
       Und auch nach diesem Abend könnte es noch einmal „Scheiße“ sagen. Denn die
       Aufführung erzählt in drei Teilen und zwei Sprachen wieder nicht von den
       Abenteuern des „braven Soldaten“, sondern von schwejkschen Zügen in Brecht,
       Hašek und zuletzt in uns allen. Das tut sie mit unterschiedlichem Erfolg.
       
       Nach dem Einblick in die Psyche des Augsburger Kommunisten Brecht im
       amerikanischen Exil gibt es drei musikalische Kostproben aus dessen Feder.
       So etwa das „Lied vom Weib des Nazisoldaten“, das inhaltlich steil vom
       frohlockenden Kriegsprofiteur-Gebahren ins Witwendasein abstürzt und formal
       vom fast clownesken Überschwang zu Zombie-Gesten.
       
       ## Widerstand-Castingshow
       
       Das ist Brecht, wie er immer geht, wenn sich die morbide Schönheit seiner
       Sprache mit den Melodien Hanns Eislers vereint. Der herumeiernde
       „Schweykismus“, den er zum Beispiel [3][1947 vor dem McCarthy-Ausschuss für
       unamerikanische Tätigkeiten] an den Tag legte, ist da schon weniger
       attraktiv.
       
       Wie lavieren wir heute? Auf welche Weisen leisten wir Widerstand? Zu diesen
       Fragen hat die tschechische Schriftstellerin Petra Hůlová eine Mini-Farce
       geschrieben: In einer Castingshow stehen drei weibliche beziehungsweise
       Trans-Juroren 21 Aspiranten auf den Schwejk der Gegenwart gegenüber. Mit
       welchen „Tugenden“ sie gegen die wiederaufflammende (Bürger-)Kriegsstimmung
       anzutreten gedenken, geht allerdings im chorischen Gebrüll unter. Auch vom
       Nachlesen wird man wenig schlauer. Hůlovás gnadenlos assoziativer Text
       verleibt sich allerlei Geschlechter- und National-Klischees ein.
       
       Man erfährt von putzigen Schwejks auf Bierkrügen („Wie rührend, wie süß,
       wie böhmisch, wie typisch tschechisch“), von deutschen Hirnen und schwer zu
       dechiffrierenden tschechischen Interna. Doch Petras und sein in bunten
       Fahrradtrikots steckendes, um Statisten ergänztes Ensemble kippen ohnehin
       alles mit grellem Aktionismus zu.
       
       ## Sieben kurze Filme über Jaroslav Hašek
       
       Bleibt der Mittelteil, für den das binationale Team in Prag sieben kurze
       Filme über [4][das Leben Jaroslav Hašeks] gedreht hat. Die werfen
       stilistisch vielfältige Schlaglichter auf Hašeks Kindheit, seine
       Alkoholsucht, seine Fahnenflucht, seine parallel geführten Ehen und seinen
       Tod mit 39 Jahren.
       
       Auf der Bühne wird wie in einem zweiten Layer die Filmebene ergänzt oder
       konterkariert. So schlägt ein Schauspieler mit geballten Fäusten
       Flickflacks, wenn der Film von Misshandlungen erzählt. Zu fantastischen
       Tierbild-Collagen, mit denen sich Hašek auch beschäftigte, macht ein realer
       Hund, wie ihn Schwejk hätte fangen können, Kunststücke. In diesen extrem
       komprimierten filmisch-szenischen Kollisionen steckt der Stoff für
       mindestens einen weiteren 100-minütigen Theaterabend. Der würde sicher gut.
       
       24 Feb 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Sabine Leucht
       
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