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       # taz.de -- Kriminalisierung von Adbusting: Auf die linke Tour
       
       > Mit viel Aufwand verfolgen Behörden Adbusting – und legitimieren die
       > Praxis, indem sie einen linksextremistischen Hintergrund konstruieren.
       
   IMG Bild: Adbusting auf Kosten der Polizei am Alexanderplatz, hier eine Aktion von 2018
       
       Verfassungsschutz, Polizei und Bundesregierung schaffen es seit Jahren
       nicht, insbesondere die nichtweiße Bevölkerung vor rechtem Terror und
       Alltagsgewalt zu schützen – der [1][rassistische Anschlag in Hanau] hat das
       gerade erst wieder gezeigt. Zugleich verfolgen dieselben
       Sicherheitsbehörden mit unverhältnismäßig hohem Aufwand gewaltfreie linke
       Protestformen. Das ergibt sich aus einer Kleinen parlamentarischen Anfrage
       der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (Linke), die der taz vorliegt.
       
       Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und der Bundeswehrgeheimdienst
       MAD beschäftigen sich demnach systematisch mit Fällen von sogenanntem
       Adbusting, also dem kapitalismus- oder gesellschaftskritischen Überkleben
       von Werbeplakaten.
       
       In der Vergangenheit richteten sich Adbusting-Aktionen vor allem gegen
       Sexismus, unverhältnismäßige Polizeigewalt sowie institutionellen Rassismus
       in Geheimdiensten und Bundeswehr. Laut Anfrage zählen Sicherheitsbehörden
       und Bundesregierung seit 2016 über 20 solcher Aktionen, die sie teilweise
       sogar „Tätergruppen“ mit Spaßnamen wie „Billboard Liberation Front Stadt
       Rixdorf“ zuordnen. Selbst das länderübergreifende Terrorabwehrzentrum
       (GETZ) sei mit 4 Fällen beschäftigt gewesen, in denen Plakate satirisch
       überklebt wurden.
       
       Zur Erinnerung: Im Terrorabwehrzentrum stimmen sich Geheimdienste und
       Polizei der verschiedenen Bundesländer ab, um Anschläge zu verhindern.
       Gegründet wurde es explizit als Abwehrzentrum gegen rechts, nachdem der NSU
       aufgeflogen war. Wenig später wurden unter [2][Innenminister Hans-Peter
       Friedrich] (CSU) die Kompetenzen in Richtung links ausgeweitet. Und so
       beschäftigt man sich dort wohl mittlerweile auch mit übermalten
       Werbeplakaten. Die Linke Jelpke kritisiert die Praxis als „lächerlich“ und
       überzogen.
       
       In Berlin gab es mehrfach polizei- und geheimdienstkritische
       Adbusting-Aktionen, die sich an echte Werbekampagnen anlehnten. So klebten
       Aktivist:innen Plakate wie „Da für 5.003 Schlagstockeinsätze und die beste
       G20-Party. Da für Gewalt. Polizei Berlin.“, oder: „Rassismus schützen?
       Bewirb Dich beim Verfassungsschutz: Unsere Behörde wurde von Alt-Nazis
       gegründet.“
       
       Vergangenen Oktober hatte auch ein Gerichtsverfahren in Berlin für Aufsehen
       gesorgt. Gleich mehrere Polizeidienststellen hatten umfangreich gegen eine
       Person wegen Adbusting und Werbeplakatdiebstahl ermittelt – sogar eine
       Hausdurchsuchung hatten Fahnder:innen in dem Fall trotz des mutmaßlich
       geringen Sachschadens erwirkt. Das Verfahren wegen fünf in Werbevitrinen
       ausgehängten Plakaten mit Sprüchen wie „Nazis essen heimlich Falafel“ wurde
       schließlich unter [3][Auflage von 120 Sozialstunden] eingestellt.
       
       Allerdings warf dieser erste bekannte Prozess wegen Adbusting [4][ein paar
       Fragen] auf: Warum etwa führt der Verfassungsschutzbericht 2018 Adbusting
       im Kapitel [5][„gewaltorientierter Linksextremismus“] auf? Wieso verfolgen
       Polizei und Geheimdienst derartige Vergehen mit einer solchen Akribie?
       
       Die Kleine Anfrage der Linken gibt nun ein wenig Aufschluss:
       Bundesregierung und Verfassungsschutz verteidigen erstaunlicherweise die
       Einordnung von Adbusting im Bereich gewaltorientierter Linksextremismus.
       
       Zwar sei Adbusting keine direkte Gewalt, auch seien bei den bekannt
       gewordenen Taten keine Personen zu Schaden gekommen. Dennoch führe man
       diese Aktionen unter „gewaltorientierter Linksextremismus“, „um den
       thematischen Zusammenhang zwischen Adbusting als strafbarer Aktionsform zur
       Diskreditierung der Vertreter des Staates durch Linksextremisten und
       gewaltsamen Aktionsformen zu wahren“, wie es heißt.
       
       ## Die Antwort macht Staunen
       
       Im Klartext heißt das: Verfassungsschutz und Bundesregierung konstruieren
       diesen Zusammenhang mit dem gewaltorientierten Linksextremismus einfach.
       Als Begründung reicht da bereits, dass die geäußerte Kritik
       „verallgemeinernd“ sei und über „sachliche Kritik“ hinausgehe.
       
       Jelpke kommt angesichts dieser Antworten kaum raus aus dem Staunen: „Mit
       der Einstufung von Adbusting in den Bereich des ‚gewaltorientierten
       Linksextremismus‘ macht sich der Verfassungsschutz wieder einmal absolut
       lächerlich – und die Bundesregierung jetzt gleich mit.“
       
       Sie empfiehlt den Behörden, an ihrer Kritikfähigkeit zu arbeiten. Zumal
       Kritiker:innen an institutionellem Rassismus und unverhältnismäßiger
       Polizeigewalt nicht gleich gewaltorientierte Linksextremisten seien – so
       hatte die Linke ihre Anfrage auch begründet.
       
       [6][Amnesty International] etwa kritisierte die [7][überzogene
       Polizeigewalt beim G20-Gipfel]. Die Europäische Kommission gegen Rassismus
       war besorgt über „diskriminierende Praktiken“ und „Racial Profiling“ der
       deutschen Polizei bei [8][anlasslosen Personenkontrollen].
       
       „Das BfV tut gerade so, als stelle die massive Kritik durch Adbusting
       blanken Terrorismus dar“, sagt Jelpke. Vielleicht „weil die
       Adbusting-Künstler ins Schwarze getroffen haben“.
       
       „Es ist ganz herrlich, mit anzusehen, wie sich die Überwachungsbehörden
       hier lächerlich machen“, teilt ein Sprecher der Soligruppe Plakativ mit,
       der sich „Klaus Poster“ nennt. Ähnlich sieht das auch einer der Autoren des
       im Selbstverlag erschienenen Bildbands [9][„Unerhört! Adbusting gegen die
       Gesamtscheiße“], der sich als Boris Buster vorstellt: „Die Überreaktion
       zeigt, wie Sicherheitsbehörden völlig die Maßstäbe verloren haben. Wir
       reden hier über Plakate und ein bisschen Kleber. Wir freuen uns sehr, wie
       diese minimalinvasive Protestform dermaßen ins Ziel trifft.“
       
       Eine Person, die bei Adbusting-Aktionen gegen den Verfassungsschutz im
       Januar dabei war, stellt sich als Thomas vom Besonderen Amt für Veralberung
       vor. Er sagt: „Als Kommunikationsguerillero geht mir das Herz auf. Man
       sieht: Adbusting ärgert die wahnsinnig.“ Aber es könne einem auch schlecht
       werden: „Das wäre nicht mal uns als Satire eingefallen: Gerade ziehen Nazis
       mordend durchs Land, und die beschäftigen sich mit geklebten Postern.“
       
       24 Feb 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Nach-rassistischem-Anschlag-in-Hanau/!5665545&s=hanau/
   DIR [2] https://www.bpb.de/politik/extremismus/linksextremismus/263507/contra-extremismusmodell?rl=0.6568134389855906
   DIR [3] /Gerichtsverfahren-in-Berlin/!5628524/
   DIR [4] /Ermittlungen-gegen-Adbusting-in-Berlin/!5628984/
   DIR [5] /Fake-Verfassungsschutz-Plakate-in-Berlin/!5662099/
   DIR [6] /Nachwirkungen-des-G20-Gipfels/!5438369/
   DIR [7] https://www.youtube.com/watch?v=6sTJChDG9Rw
   DIR [8] https://rm.coe.int/fifth-report-on-germany-german-translation-/16808b5682
   DIR [9] https://bbsc.blackblogs.org/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gareth Joswig
       
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